Laschet in den Flutgebieten Ein unangenehmer Besuch für den Kanzlerkandidaten

Swisttal/Schleiden · In den Hochwasser­gebieten kämpft man weiterhin mit den Folgen der Flut. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ist erneut vor Ort – und bekommt den Unmut der Betroffenen zu spüren.

   Armin Laschet (r.) muss sich bei seinem Besuch im Hochwassergebiet Swisttal-Heimerzheim kritischen Fragen stellen.

Armin Laschet (r.) muss sich bei seinem Besuch im Hochwassergebiet Swisttal-Heimerzheim kritischen Fragen stellen.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Zweieinhalb Wochen sind vergangen, seit Stark­regen, Hochwasser und Flutwellen aus Swist und Orbach reißende Ströme machten. In den anliegenden Orten Heimerzheim und Odendorf starben Menschen, Häuser und Existenzen sind zerstört. Am Tag 18 nach der Flut besucht NRW-Ministerpräsident Armin Laschet die Dörfer. In Odendorf weinen Betroffene, in Heimerzheim fordern sie wütend Antworten von der Politik.

Filmteams, Fotografen, Radiojournalisten versammeln sich. Die Odendorfer selbst halten sich erst einmal im Hintergrund. Sie sind noch zu beschäftigt mit den Aufräumarbeiten, wie bei Familie Kringels in der Orbachstraße. Zu Laschets Besuch sind einige Bewohner zwiegespalten. Eine Helferin im Spendenzentrum sagt sogar: „Es ist gut, dass er nicht vorher gekommen ist. Die stehen nur im Weg rum.“ Und ergänzt: „Mir fehlt die Fantasie, welchen Effekt das auslösen könnte.“

Swisttals Bürgermeisterin Petra Kalkbrenner hofft auf einen Effekt. Sie hat einen Brief mit den vielen Punkten vorbereitet, die die Gemeinde angehen muss. Schulen, Kindergärten, Straßen, Brücken sind zerstört. Laschet nimmt diesen Brief an und lässt sich von Kalkbrenner und dem ehrenamtlichen Helfer-Koordinator Kai Imsande durch den Ort führen. Dort sind die Schäden noch deutlich – und doch schon nicht mehr mit dem Zustand von vor zwei Wochen zu vergleichen. Der Ministerpräsident spricht mit Anwohnern wie Familie Meis, die ihm Videos der Flut zeigen. Und mit Daniel Lutterbeck, der seinen gesamten Hausrat verloren hat. Hasan Uzungelis, Inhaber des Odendorfer Bodrum-Grills, kommen die Tränen: „Ich habe in drei Minuten alles verloren, was ich in 30 Jahren aufgebaut habe“, sagt er weinend. Der Landesvater nimmt den Betroffenen in den Arm.

Es sind viele Fragen offen, Imsande hat über 250 gesammelt. Gestellt habe er am Ende nur eine, sagt er: „Wie kann der Ministerpräsident den Menschen die Hoffnung und die Perspektive wiedergeben?“ Die Antwort sei länger, freundlich und interessiert gewesen, so Imsande nach einem persönlichen Gespräch mit Laschet. Er habe das Gefühl, der Ministerpräsident habe zugehört. Die übrigen Fragen soll er einschicken. Die zuständigen Ministerien sollen sich darum kümmern.

Ebenfalls emotionsgeladen, aber deutlich aggressiver ist anschließend die Stimmung in Heimerzheim. Menschen haben sich versammelt und lautstark etwas zu sagen. Paul Greve, Anwohner der Pützstraße, beginnt mit den vielen Hilfen: „Beim Aufräumen waren Hunderte junger Leute da, bei denen wir uns alle zu bedanken haben.“ Und bekommt dafür Applaus.

Dann spart er nicht mit Kritik an der Verwaltung und den Ergebnissen eines solchen Besuches: „Von dem, was hier großartig versprochen wird, auch politisch, wird nichts ankommen.“ Fragen werden oft laut wiederholt: „Wo war die Warnung einen halben Tag vorher?“ Die Nerven entlang der Swist liegen blank. „Unsere Verwaltung ist ein riesengroßer Versager“, heißt es in Kalkbrenners Richtung. Und in Laschets Richtung: „Sie werden es bei der Wahl merken.“ Am 26. September ist Bundestagswahl. Laschets Besuch sei zu spät, rufen andere. „Haben Sie einmal eine Woche im Schlamm gelebt?“, fragt Greven.

Laschet versucht zu reden, spricht von Milliarden Euro, die zu akquirieren sind. Der geplante Wiederaufbaufonds soll nach seinem Willen per Bundesgesetz geregelt werden. Den Beschluss solle die Ministerpräsidenten-Konferenz am 10. August fassen, so Laschet. Die Schätzung der Schäden solle bis zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sein. Der Ministerpräsident verspricht schnelle und unbürokratische Hilfe. „Das ist entsetzlich. Vor allem die vielen Einzelbeispiele, die die Menschen einem schildern. Man merkt, dass die Leute mit den Nerven am Ende sind“, sagt er.

Die lauten Forderungen der Betroffenen begleiten ihn bis in sein Auto, mit dem Laschet schließlich zu seinem dritten Ortsbesuch nach Schleiden in der Eifel aufbricht. Dort spricht Laschet sich für eine Sonderregelung der Insolvenzordnung zugunsten der Hochwasseropfer aus. Wer seine Zahlungsfähigkeit infolge der Unwetterkatastrophe kurzfristig verloren habe, sollte nicht zum Insolvenzrichter gehen müssen, sagt Laschet bei seinem Besuch in der Gemeinde im Kreis Euskirchen.

An diesem Dienstag macht sich der Kanzlerkandidat der Unionsparteien gemeinsam mit seinem Kontrahenten, dem sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, in Stolberg bei Aachen ein Bild von der Lage und den Aufräumarbeiten. Anschließend wollen sich Laschet und Scholz mit Unternehmern treffen, die besonders von der Hochwasserkatastrophe betroffen sind.

Mit Material der dpa

Dieser Text erschien zuerst im Bonner Generalanzeiger

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