Prozess um Anschlag auf BVB "Der Mannschaftsbus war immer ein Rückzugsort"

Ungewöhnlich kritisch gegen ihren Verein äußern sich BVB-Spieler am Montag im Prozess wegen des Anschlags auf ihre Mannschaft. Thomas Tuchel sieht darin den Ursprung für das Zerwürfnis mit der Vereinsführung.

Ungewöhnlich kritisch gegen den Verein äußern sich aktuelle und ehemalige Spieler im Prozess um den Anschlag auf die BVB-Mannschaft. Thomas Tuchel sieht in der Haltung des Vereins nach dem Anschlag einen Auslöser für das Zerwürfnis mit der Führung.

18 Spieler und neun Betreuer saßen hinter Busfahrer Christian S., als die Bombe mit einem ohrenbetäubenden Knall neben dem schwarzen Mannschaftsbus von Borussia Dortmund hochging. Der ganze Bus wurde von der Druckwelle erfasst, Stahlstifte bohrten sich durch die Busscheiben. Wer es noch konnte, warf sich auf den Boden. Sie hörten die Schmerzensschreie des verletzten Mannschaftskollegen Marc Bartra - und wussten minutenlang nicht, ob der Knall erst der Anfang war.

Dortmund: BVB-Spieler als Zeugen im Gerichtssaal
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BVB-Spieler sagen im Prozess um Bombenanschlag aus

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Foto: Bernd Thissen/dpa

"Der Bus war immer ein Rückzugsort, dort hatten wir ein Gefühl von Sicherheit und Ruhe, die man vor so einem wichtigen Spiel wie an diesem Tag braucht", sagt BVB-Torwart Roman Weidenfeller. Die Mannschaft war am 11. April 2017 auf dem Weg ins Dortmunder Stadion, um im Champions-League-Viertelfinale gegen den AS Monaco zu spielen. Der Bus war gerade am Mannschaftshotel L'Arrivée abgefahren, als die drei Sprengsätze explodierten.

Vier Spieler und Ex-BVB-Trainer Thomas Tuchel haben am Montag im Prozess gegen Sergej W. vor dem Dortmunder Landgericht ausgesagt. Sehr offen schildern sie, wie sie das Attentat auf die Mannschaft erlebt haben. Es ist nicht üblich, dass Profisportler über Ängste und Schwächen sprechen. Und schon gar nicht, dass sie den Verein kritisieren.

"Das Spiel am nächsten Tag nachzuholen, war unverantwortlich"

"Aus meiner Sicht war es unverantwortlich, das Spiel gleich am nächsten Tag nachzuholen", sagt Weidenfeller. "Wir sind alle trainiert und gewohnt, das Bestmögliche rauszuholen. Wir können einiges aushalten. Aber wir sind alle keine Maschinen, sondern Menschen." Er habe psychologische Hilfe in Anspruch genommen. "Man ist immer noch unglaublich schreckhaft", sagt der 37-Jährige und meint sich selbst.

Thomas Tuchel hat kurz vor der Explosion im Bus versucht, seine Frau anzurufen. "Es gab einen riesengroßen Knall, es wurde warm, ich spürte die Druckwelle und hatte ganz am Anfang das Gefühl, wir hätten jemanden überfahren."

Auf die Frage von Oberstaatsanwalt Carsten Dombart, wie die Mannschaft den Anschlag aufgenommen habe, antwortet er: "Wir waren erstmal in Schockstarre. Wie viel Glück wir hatten, welche Tragweite das Ganze hatte — das wurde uns erst am nächsten Morgen klar."

Er sei davon überzeugt, dass sich der Anschlag auf das Leistungsvermögen der Mannschaft ausgewirkt habe. Der BVB holte nicht nur das Champions-League-Spiel am nächsten Tag nach, sondern spielte auch am Wochenende nach dem Attentat in der Bundesliga gegen Frankfurt. Das Spiel gegen den AS Monaco ging mit 2:3 verloren. Die Partie gegen Frankfurt gewann der Verein 3:1.

Anschlag war auch ein Grund für Zerwürfnis mit Watzke

"Nach dem Wochenende hatten wir Kontakt zu einem Psychologen, der uns gesagt hat, dass Anschlagsopfer in den ersten Tagen nicht in eine Situation gebracht werden sollten, die sie daran erinnert", sagt Tuchel. "Aber da saßen wir ja schon längst wieder im Bus."

Ihm selbst sei der Anschlag bis heute nicht so nahe gegangen, er habe sich am nächsten Tag bereit gefühlt, das Spiel gegen Monaco zu coachen. "Aber der Zustand der Mannschaft war am nächsten Morgen so, dass es keinen Sinn gemacht hat, zu spielen." Was die Mannschaft geschafft habe, sei sehr erstaunlich und bemerkenswert.

"Wären Sie, wenn es den Anschlag nicht gegeben hätte, zumindest noch über den Sommer hinaus Trainer beim BVB geblieben?", fragt der Staatsanwalt. "Davon würde ich ausgehen", sagt Tuchel. Ein Grund für die Trennung sei der Umgang des Vereins mit dem Anschlag gewesen, sagt Tuchel. "Es gab einen großen Dissens, das hat Watzke ja auch öffentlich gesagt. Der Dissens bestand darin: Ich saß im Bus, er nicht. Dadurch hatten wir eine komplett andere Herangehensweise — ohne ihm einen Vorwurf machen zu wollen."

Spieler schildern Folgen des Anschlags

Mittelfeldspieler Sven Bender, inzwischen bei Bayer Leverkusen, erzählt, wie er unmittelbar nach der Explosion reagiert hat. "Ich hab gerufen: Jungs, hier ist grad ne Bombe hochgegangen." Dem Fahrer habe er zugerufen: "Fahr mit dem Scheißbus weiter!" Der 28-Jährige entschuldigt sich beim Vorsitzenden Richter Peter Windgätter für seine Ausdrucksweise, aber so sei es gewesen.

Explosionen an BVB-Bus vor Champions League Spiel
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April 2017: Explosionen an BVB-Mannschaftsbus

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Foto: rtr, gb

Bender, aber auch die Spieler Felix Passlack und Marcel Schmelzer berichten von Schlafstörungen, die sie nach dem Anschlag hatten. "Wir mussten sehr schnell wieder in unseren Alltag rein", sagt Bender. Das Thema sei für ihn zu schnell abgehakt worden. Er glaube, viele Spieler hätten Schwierigkeiten, sich zu öffnen. "Dabei kann man das ja auch als Stärke sehen." Auch er denkt, es sei ein Fehler gewesen, das Spiel am nächsten Tag nachzuholen. "Wir waren aber auch alle zum ersten Mal in so einer Situation."

BVB-Kapitän Schmelzer erzählt später: "Wir sind noch in der Nacht zu Marc ins Krankenhaus. Keiner hat geschlafen." Die Busfahrt zum Spiel am nächsten Tag sei schlimm gewesen. "Da hat keiner an das Spiel gedacht. Wir waren danach einfach nur froh, zu unseren Familien nach Hause zu können."

(hsr)
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