Prozess wegen Anschlags auf BVB-Bus "Mein Mandant wollte nicht töten, nur erschrecken"

Der Prozess gegen Sergej W. ist mit einem Schlagabtausch zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft in Dortmund gestartet. Der Angeklagte soll im April einen Sprengstoffanschlag auf die Mannschaft des BVB verübt haben. Sein Verteidiger setzt im Prozess auf Provokation.

Als erstes musste der Vorsitzende Richter Peter Windgätter den Frieden im Gerichtssaal wiederherstellen. "Wir wollen in Ruhe und normal verhandeln, wie wir das immer tun." Der Richter musste Staatsanwalt und Verteidiger zu mehr Sachlichkeit ermahnen. Verteidiger Carl W. Heydenreich, Anwalt von Sergej W., ergriff noch vor der Verlesung der Anklage das Wort und warf der Staatsanwaltschaft Befangenheit vor. "Vorverurteilungskampagne" und "Geheimnisverrat" lauteten die Kampfbegriffe, die die Verteidigung zunächst vorbrachte.

Heydenreich hatte bereits am Mittwochabend in den ARD-Tagesthemen das Sprengstoffattentat mit einem misslungen Torschuss verglichen. "Nur ein einziger Metallstift ist im Bus gelandet, nur ein einziger hatte nachweislich Kontakt mit dem Bus. Wenn ein Spieler unbedrängt aus fünf Metern das leere Tor nicht trifft, fragen Sie sich zwangläufig: Wollte er nicht oder konnte er nicht?", hatte der Anwalt gesagt. Am Donnerstag betonte er, sein Mandant habe nicht töten, sondern die Mannschaft nur "erschrecken" wollen.

Der 28-jährige Russlanddeutsche Sergej W. muss sich seit Donnerstag wegen 28-fachen versuchten Mordes vor der 39. Strafkammer des Dortmunder Landgerichts verantworten. Ihm wird vorgeworfen, heimtückisch, aus Habgier und mit gemeingefährlichen Mitteln am 11. April 2017 das Sprengstoffattentat auf die Mannschaft von Borussia Dortmund (BVB) verübt zu haben. Bei dem Anschlag auf den Bus kurz vor dem Champions-League-Spiel gegen den AS Monaco waren zwei Menschen verletzt worden - ein Polizist erlitt ein Knalltrauma, und der Abwehrspieler Marc Bartra brach sich den Arm. Er lässt sich im Prozess von BVB-Anwalt Alfons Becker vertreten. Batra fordert Schmerzensgeld von mindestens 15.000 Euro.

Drei Sprengsätze mit Metallsplittern soll W. an einer Hecke angebracht haben. Laut Anklage soll er diese gegen 19.16 Uhr ferngezündet haben, als der BVB-Mannschaftsbus auf dem Weg ins Stadion an der Hecke vorbeifuhr. Drei Sprengsätze zündeten, einer davon verfehlte aber das Ziel, weil er zu hoch angebracht worden war. Einer der Metallstifte aus der Bombe schlug in die Kopflehne des Sitzes ein, auf dem Marc Batra saß.

Am 20. April nahm die Polizei W. fest, nachdem man zuvor von einem möglichen IS-Attentat ausgegangen war. W.s mutmaßliches Motiv: Er hatte einige Tage vor der Tat 26.000 Euro auf den Kursverlust der BVB-Aktie gesetzt. Mehr als eine halbe Million Euro hätte er durch die Wette gewinnen können, wenn bei dem Anschlag mehr Spieler verletzt oder gar getötet worden wären, heißt es in der Anklage.Tatsächlich gewann er knapp 5800 Euro, das Geld hat die Staatsanwaltschaft bereits eingezogen.

Bislang hat W. das Attentat abgestritten. Ob er sich im Prozess äußern will, ist noch unklar. Der gebürtige Russe lebte zuletzt in Rottenburg. Vor Gericht erschien er am Donnerstag in blauem Kragenhemd und Jeans. In Handschellen führten die Justizbeamten den kleinen Mann mit blonden Haaren und weichen Gesichtszügen herein. Als er saß, streckte er seine gefesselten Handgelenke über den Kopf, damit der Beamte ihm die Schellen abnehmen kann. Am ersten Prozesstag blieb er absolut unscheinbar, über eine Dolmetscherin bestätigte er auf Russisch nur seine Personalien.

Vorwurf: einseitige Ermittlungen

Verteidiger Heydenreich war verärgert darüber, dass Prozessbeteiligte offenbar vor Verhandlungsbeginn Teile der Ermittlungsakten an die Presse durchgestochen hatten. Das habe zu einer "beispiellosen Medienkampagne" geführt. Und das Medieninteresse am ersten Prozesstag war riesig, doch gerade mal eine Handvoll Besucher nahm hinter den versammelten Journalisten Platz. Die Staatsanwaltschaft habe zudem einseitig ermittelt und sich nicht bemüht, auch Entlastendes herauszufinden.

Schließlich gehe der Staatsanwalt von einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe für seinen Mandanten aus. "Ein Staatsanwalt, der vor Verhandlungsbeginn ausschließlich ein Lebenslänglich als Strafmaß akzeptiert, ist untragbar", sagte Heydenreich.

Gegen diese Vorwürfe wehrte sich Oberstaatsanwalt Carsten Dombart. Er sprach von "einseitiger unseriöser Stimmungsmache". "Ich fühle mich nicht befangen", sagte er. Und hinsichtlich des Vorwurfs angeblicher tendenziöser Ermittlungen erklärte er: "Ich hätte gerne auch entlastende Beweise ermittelt, aber es gab keine entlastenden Umstände."

(heif)
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