300.000 Demenzkranke in NRW Alzheimer-Gesellschaft fordert Krisendienste für pflegende Angehörige

Düsseldorf · Die Pflege alter Menschen ist meist Familiensache. Viele Angehörige sind aber überfordert, vor allem wenn sie Demenzkranke pflegen. Experten fordern Demenz-Hotlines für überforderte Pflegende.

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Foto: dpa, Jan-Philipp Strobel

Die Alzheimer-Gesellschaft fordert umfassende Hilfsangebote für Zehntausende Menschen, die ihre pflegebedürftigen Angehörigen zu Hause betreuen. Nordrhein-Westfalen brauche dringend Krisendienste und Hotlines, an die sich Angehörige vor allem von Demenzkranken in Überforderungssituationen wenden könnten, sagte die Vorsitzende des Alzheimer-Landesverbandes, Regina Schmidt-Zadel, am Freitag in Düsseldorf. Sie forderte einen Landesdemenzplan für NRW nach dem Vorbild Bayerns und Schleswig-Holsteins. Auch Krisendienste für Angehörige gebe es in Bayern schon seit Jahrzehnten. In NRW leben nach Schätzungen rund 300.000 Demenz-Kranke. Rund drei Viertel der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt.

Die Altenhilfe-Forscherin, Professorin Cornelia Schweppe, forderte bei einem Symposium im Landtag ein Gewaltschutzkonzept für ältere pflegebedürftige Menschen. Gewalt in der Pflege sei „kein persönliches, sondern ein gesellschaftliches Problem“. Darauf wiesen viele Studien hin. „Gewalt fängt nicht erst beim Schlagen an.“ Auch Beschimpfen, Aggression, Einschüchtern sowie Vernachlässigung und das Einsperren von Demenz-kranken Menschen seien Formen der Gewalt. Grund seien oft Pflegestress, Überforderung, aber auch nicht verarbeitete Konflikte etwa zwischen Kindern und pflegebedürftigen Eltern. Hinzu komme mangelndes Wissen über die Krankheit. „Demenz ist ein Risikofaktor dafür, dass Menschen in der Pflege Gewalt erfahren“, sagte Schweppe.

Als Grund für die Überlastung von pflegenden Angehörigen nennt die Alzheimer-Gesellschaft auch den Mangel an Pflegediensten. Besonders auf dem Land sei es schwierig, ambulante Dienste zu bekommen. Pflegedienste müssten Hilfesuchende häufig wegen mangelnder Kapazität abweisen. Laut einer Umfrage der Wohlfahrtsverbände erhielten 2018 pro Pflegedienst mehr als zehn Menschen im Monat eine Absage. Manche Pflegedienste gäben aus Mangel an Personal auf. Denn viele Altenpflegekräfte wechselten in Krankenhäuser, weil sie dort besser bezahlt würden.

Angehörige seien „der größte Pflegedienst der Nation“, sagte Schmidt-Zadel. „Ohne sie würde der Pflegedienst in diesem Land zusammenbrechen.“ Auch in der Kurzzeitpflege gebe es zu wenig Plätze, beklagt die Alzheimer-Gesellschaft. Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte angekündigt, Kurzzeitpflege künftig auch in Krankenhäusern zu ermöglichen.

Ursula Sottong, Leiterin Fachstelle Demenz der Malteser Deutschland, sagte: „Demenz ist nicht allein über Ärzte und Angehörige zu bewältigen.“ Die alternde Gesellschaft müsse sich insgesamt mehr auf Menschen mit Demenz einstellen. „Busfahrer, Verkäuferin, Bankkauffrau oder Nachbar: Alle benötigen wir ein Verständnis davon, wie wir mit dementiell erkrankten Menschen im Alltag umgehen.“

Nicht nur die pflegenden Angehörigen, auch Menschen mit Demenz seien von Situationen oft überfordert und könnten übergriffig werden. „Gewalt in der Pflege geht nach beiden Seiten.“ In Pflegestationen könnten schon „Alltagsbegleiter“ helfen, Menschen bei der Orientierung oder beim Essen unterstützten und so für Beruhigung sorgen. „Ich muss verstehen, was passiert“, sagte Sottong. Oft sei mangelndes Wissen der Grund für Überforderung.

Fast 2,6 Millionen Menschen wurden bundesweit im Jahr 2017 nach Angaben des Statistischen Bundesamts zu Hause versorgt. Das sind 76 Prozent der Pflegebedürftigen. Der Großteil dieser Menschen wird allein von Angehörigen ohne Hilfe eines Pflegedienstes betreut. In NRW werden laut Gesundheitsministerium knapp 600 000 Menschen zuhause gepflegt.

Die Versorgung durch Angehörige sei „eine Leistung, die nicht hoch genug geschätzt werden kann“, hatte auch Bundesseniorenministerin Franziska Giffey (SPD) gesagt. Die bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf sei eine wichtige Zukunftsaufgabe. Neben dem bereits bestehenden Anspruch auf Familienpflegezeit prüfe ihr Ministerium ein Konzept für ein Familienpflegegeld.

(ham/dpa)
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