Online-Petition beweist Unmut unter Schülern Das NRW-Mathe-Abi im Check

Düsseldorf · In Bayern war der Aufschrei groß, in NRW waren die Aufgaben im Abitur wohl machbar. Wir haben sie uns angeschaut.

 Ausrisse aus den landeseigenen Matheaufgaben für das Abitur 2019 (Montage).

Ausrisse aus den landeseigenen Matheaufgaben für das Abitur 2019 (Montage).

Foto: NRW-Schulministerium

Katja scheint ein Vielfraß zu sein. Laut ihrer Mutter isst sie zu viele Gummibärchen. Deshalb haben Mutter und Tochter ein Spiel vereinbart, um Katjas Gummibärchen-Konsum zu senken. Sie spielen mit einem Glücksrad und einem Spielbrett. Das Glücksrad hat vier gleich große Sektoren mit den Farben Rot, Gelb, Grün und Blau. Das zugehörige Spielbrett besteht aus vier Feldern in den gleichen Farben. Zu Beginn des Spiels ist das Brett leer. Mit dem Glücksrad wird eine der vier Farben bestimmt. Ist das Feld mit dieser Farbe leer, so wird es mit einem Gummibärchen belegt. Liegt bereits ein Gummibärchen in diesem Feld, dann erhält Katja das Gummibärchen, und das Feld ist wieder leer. Das Spiel endet, wenn alle vier Felder belegt sind und Katja erhält die vier auf dem Spielbrett liegenden Gummibärchen.

Es wird hierzulande wenige Mütter und Töchter geben, die sich derart Kompliziertes für eine Diät ausdenken. Aber Katja und ihre Mutter sind ja auch rein fiktiv. Einige Schüler aus NRW kennen sie jetzt trotzdem, denn die Gummibärchen-fixierte Katja war in NRW Teil des landeseigenen Aufgabenpools im Fach Mathematik, Wahrscheinlichkeitsrechnung.

In Bayern löste eine Stochastik­aufgabe aus dem Bundespool für Matheaufgaben eine Empörungswelle aus. Zehntausende Schüler protestieren gegen das diesjährige Matheabitur. Für den brandenburgischen Pädagogenverband ist das nachvollziehbar. „Das Abitur war zu umfangreich, zu unterrichtsfremd und an manchen Stellen bei Fragestellungen ungeschickt formuliert“, sagte Präsident Hartmut Stäker, der auch als Zweitkorrektor bei den Prüfungen eingesetzt ist.

In NRW haben bisher rund 5200 Schüler eine Online-Petition gegen das Matheabitur unterzeichnet, deutlich weniger als in Bayern oder im Saarland. Doch es scheint vereinzelt großen Unmut zu geben, auch hierzulande. Eine ähnliche Problematik wie in Bayern gab es in NRW aber offenbar nicht. Unsere Redaktion hat sich die landeseigenen Matheaufgaben aus diesem Jahr zusammen mit Franz-Reinhold Diepenbrock, emeritierter Mathematikprofessor von der Universität Wuppertal, angesehen. Diepenbrock hat sich in den vergangenen Jahren schon häufig mit den Abiklausuren beschäftigt. 2008 schrieb er aufgrund der Ungenauigkeiten bei der „Nowitzki-Aufgabe“ einen offenen Beschwerdebrief an das Schulministerium. Im selben Jahr fand sich auch der berüchtigte „Oktaeder des Grauens“ in den Aufgaben.

„Beim diesjährigen Matheabitur gibt es allerdings keinen Grund für Alarm“, sagt Diepenbrock. „Beispielsweise gibt es in der Gummibärchen-Aufgabe zu Übergangsmatrizen genügend Ähnlichkeiten in der logischen Struktur der jeweils betrachteten Vorgänge mit der Parkhaus-Aufgabe des vorigen Jahres, um die Schüler nicht vor völlig unerwartete Probleme zu stellen. Vorausgesetzt, dass sie in der Schule genügend vorbereitet wurden“, so Diepenbrock. Genau diese Vorbereitung bemängeln jedoch einige der NRW-Schüler. In der Online-Petition kommentiert zum Beispiel ein Schüler aus einem Leistungskurs: „Die Aufgaben im Stochastikteil enthielten im Unterricht nie besprochene Aufgabentypen und waren daher für den gesamten Kurs nicht zielsicher lösbar.“

Zeitraubend und verunsichernd ist zumeist die Menge des Textes. Auch Diepenbrock sagt: „Die Textlastigkeit kommt durch die angestrebte – natürlich oft an den Haaren herbeigezogene – ,Realitätsnähe’ und die durchaus sinnvolle Gliederung in so viele Aufgabenteile.“ Für den Mathematiker viel ärgerlicher sind fachliche Fehler beziehungsweise Unfeinheiten. Bei der Kritik an Mathematik-Abituraufgaben in verschiedenen Jahren sei vom Schulministerium immer darauf hingewiesen worden, dass die Aufgaben von erfahrenen Lehrern erstellt worden seien und eine mehrstufige gründliche Kontrolle durchlaufen hätten. „Deshalb wundert man sich“, sagt Diepenbrock, „wenn dann in den Texten fachliche Fehler auftauchen, die offensichtlich wohl niemandem aufgefallen seien“.

Zugegebenermaßen sei es beispielsweise für die Lösung durch den Schüler irrelevant, ob im Text der Schwimmbad-Aufgabe dieses Jahres die Hilfe gegeben wird, dass „die Zufallsgröße für alle reellen Zahlen definiert ist“ oder die mathematisch korrekte Formulierung „die Zufallsgröße als Wertebereich alle reellen Zahlen umfasst“. „Aber die Aufgabensteller sollen doch den Lehrern und Schülern, die später in Abiturvorbereitungsbüchern und auf Internetseiten die Texte lesen, kein schlechtes Beispiel liefern“, sagt Diepenbrock. Die Sorgfalt bei der Entwicklung der Aufgaben sei im Laufe der Zeit seit Beginn des Zentralabiturs aber gestiegen.

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