Von Autobauern finanziert RWTH Aachen verteidigt Stickoxid-Test an Menschen

Düsseldorf · 25 Menschen inhalierten an der RWTH Aachen zu Testzwecken Stickstoffdioxid - dieser von Autobauern finanzierte Versuch hat Empörung ausgelöst. Politiker fordern eine schnelle Aufklärung. Die Uni wehrt sich gegen Vorwürfe.

 Abgase strömen aus dem Auspuff eines Fahrzeugs (Symbolbild).

Abgase strömen aus dem Auspuff eines Fahrzeugs (Symbolbild).

Foto: dpa, dan ent rho kre

VW, Daimler und BMW hatten über die inzwischen aufgelöste Forschungsvereinigung EUGT (Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor) 2013 und 2014 eine Studie finanziert, bei der Menschen Stickstoffdioxid einatmeten. An der Uniklinik Aachen in der Abteilung Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin waren dabei 25 Probanden jeweils drei Stunden lang Stickoxid (NO2) in unterschiedlichen Konzentrationen ausgesetzt. Die Belastungen, denen die Probanden ausgesetzt waren, hätten allerdings deutlich unter den Konzentrationen gelegen, die an vielen Arbeitsplätzen in Deutschland auftreten können, teilte die Uniklinik inzwischen mit. Grenzwerte für den Menschen seien nicht überschritten worden.

Der zuständige Institutsleiter Thomas Kraus betonte am Montag, dass die Studie trotz der Finanzierung durch die Autobauer nichts mit dem Dieselskandal zu tun habe. Sie sei zudem vor Bekanntwerden des Dieselskandals durchgeführt worden. Die Studie stehe auch in keinem Zusammenhang mit den in den USA durchgeführten und von der EUGT finanzierten Versuchen an Affen.

Anlass für die Studie war laut Uniklinik Aachen eine Diskussion um die Absenkung der sogenannten Maximalen Arbeitsplatz-Konzentration (MAK) für Stickstoffdioxid, sie habe sich mit dem Stickstoffdioxidgrenzwert am Arbeitsplatz befasst, teilte die Uniklinik Aachen schriftlich mit.

"Typischerweise liegt die Belastung mit Stickstoffdioxid an stark befahrenen Straßen im Jahresdurchschnitt bei uns zwischen 40 und 100 microg/m3, ländlich unter 40. Einzelne Tageswerte können aber deutlich höher liegen und Stundenwerte können 200 microg/m3 überschreiten", sagte Barbara Hoffmann, Leiterin der Abteilung Umweltepidemiologie an der Universität Düsseldorf am Montag auf Anfrage. Gesetzlich erlaubt seien bis zu 18 Überschreitungen pro Jahr in der Umwelt. Am Arbeitsplatz gebe es deutlich höhere Grenzwerte.

Um Kurzzeitwirkungen untersuchen zu können, müssten bei einem Versuch Konzentrationen genutzt werden, wie sie im normalen Leben beispielsweise am Straßenrand vorkommen, etwa ein bis zwei Stunden bei 200 microg/m3 NO2.

Die Ethikkommission der Uni Aachen hatte dem Versuch zugestimmt. Doch welche Voraussetzungen müssen erfüllt werden, damit Versuche an Menschen durchgeführt werden dürfen? Forschungsethikkommissionen setzen sich zusammen aus unabhängigen und ehrenamtlich tätigen Ärzten oder Wissenschaftlern, Juristen, Pharmakologen und Apothekern, Ethikern und darüber hinaus auch medizinischen Laien. Sie sollen eine umfassende und objektive Bewertung ermöglichen, sagt Thomas Hohlfeld, Vorsitzender der Ethikkommission an der Uniklinik Düsseldorf.

Ethikkommissionen bewerten jedes Forschungsprojekt, das am Menschen durchgeführt wird. Forschende Ärzte sind verpflichtet, sich vor Beginn der Versuche durch eine Ethikkommission beraten zu lassen. Erst danach - und gegebebenfalls nach Änderungen am Forschungsvorhaben - gibt es ein Go von der Ethikkommission. "Es kommt aber durchaus vor, dass Ethikkommissionen ihre Zustimmung nicht erteilen", sagt Hohlfeld.

Die Kriterien, an denen Ethikkommissionen sich orientieren, sind in vielen Regelwerken niedergelegt. Einer der wichtigsten Maßstäbe ist die Deklaration von Helsinki, die der Weltärztebund formuliert hat. Dazu gehören der Respekt vor der Autonomie von Versuchspersonen (Freiwilligkeit, umfassende Information der Versuchsteilnehmer sowie Möglichkeit des Widerrufs der Teilnahme). Die Forschung darf den Versuchspersonen keinen Schaden zufügen, ihnen muss zudem Fürsorge und Hilfe gewährt werden.

Nach diesen Kriterien der Ethikkommission sei auch die Stickstoffdioxid-Studie in Aachen genehmigt worden, teilte die RWTH Aachen am Montag mit.

VW-Aufsichtsratschef Pötsch verspricht Aufklärung

Stickstoffdioxid ist der Schadstoff, dessen Messwerte von VW in den USA jahrelang manipuliert worden waren, um die gesetzlichen Grenzwerte für Dieselfahrzeuge offiziell einzuhalten. Vergangene Woche war bekannt geworden, dass 2014 in den USA bei einer Versuchsreihe Affen Auspuffgasen ausgesetzt wurden, um zu beweisen, dass die Schadstoffbelastung dank moderner Abgasreinigung erheblich abgenommen habe.

Am Montag wurde die Studie an Menschen an der RWTH Aachen publik und löste Empörung aus. Volkswagen-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch kündigte umfassende Aufklärung an, die Vorgänge seien in keiner Weise nachvollziehbar. "Im Namen des gesamten Aufsichtsrates distanziere ich mich mit allem Nachdruck von derlei Praktiken", sagte er.

Auch die Bundesregierung verurteilte die Abgasversuche scharf. "Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen und werfen viele kritische Fragen an diejenigen auf, die hinter diesen Tests standen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.

Auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) verurteilte die Schadstofftests: "Hier zeigt sich einmal mehr: Technik und Wissenschaft müssen sich grundsätzlich im Rahmen des gesellschaftlich und ethisch Verantwortbaren bewegen", sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann. Dies sei eine ständige Aufgabe für jede Industrie. "Ohne ethisches Fundament gewinnt man keine Zukunft."

Auch Daimler distanzierte sich ausdrücklich von den Studien und der EUGT. "Wir sind über das Ausmaß der Studien und deren Durchführung erschüttert", hieß es in einer Stellungnahme. Daimler verurteile die Versuche auf das Schärfste. "Auch wenn Daimler keinen Einfluss auf den Versuchsaufbau hatte, haben wir eine umfassende Untersuchung eingeleitet, wie es dazu kommen konnte."

BMW erklärte, an den genannten Studien nicht mitgewirkt zu haben. "Wir haben umgehend mit einer internen Untersuchung begonnen, um die Arbeit und Hintergründe der EUGT sorgfältig aufzuklären", teilte der Autobauer mit. Dazu zähle auch ein umfassender und sachlicher Abgleich der Studienmethodik mit vergleichbaren wissenschaftlichen Untersuchungen.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) verurteilt die Affen- und Menschenversuche mit Diesel-Abgaben "aufs Schärfste". Das teilte ihr Geschäftsführer Jürgen Resch auf Anfrage mit. Er ergänzt allerdings: "Noch schlimmer ist die schon lange erfolgte Schädigung vieler Hunderttausend Menschen, die in unseren Städten dem weitgehend ungefilterten Dieselabgasgift ausgesetzt sind. Das ist der viel schlimmere Menschenversuch." In Aachen hätten 25 gesunde Menschen für vier Stunden die Belastung durch Diesel erlitten. "Aber hunderttausende Asthmatiker oder Lungenkranke leiden seit Jahren unter zu hohen Stickstoffdioxiden."

Resch fordert die künftige Bundesregierung auf, aktiv zu werden: "Die Koalitionsgespräche bieten jetzt die einmalige Möglichkeit, diesen Betrug an neun Millionen Besitzern von Euro 5 und Euro 6 Diesel Pkw zu beenden." Die Hersteller müssten diese Fahrzeuge auf eigene Kosten technisch so nachrüsten, dass sie die Grenzwerte auf der Straße auch im Winter einhalten.

"Der neue Skandal bestärkt uns in unserem Kampf für die saubere Luft in Deutschland", sagte Resch. "Er bestätigt, mit welch schmutzigen Methoden die Autokonzerne seit Jahren arbeiten."

Dass Menschen absichtlich giftigen Stoffen ausgesetzt werden, um deren Wirkung zu erforschen, ist laut einem Experten im Umweltbundesamt "ungewöhnlich" und eher selten. "Im Umwelt-Bereich ist es völlig unüblich", sagte der Leiter der Abteilung Umwelthygiene, Wolfgang Straff. Anders sei es vielleicht im Bereich Arbeitsschutz. "Wir brauchen solche Studien nicht", sagte Straff: "Es ist klar, dass Stickoxid eine schädliche Wirkung hat."

Mit Material von dpa

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