Urteil in Aachen Blinde Seniorin muss mehr als 13.000 Euro Blindengeld zurückzahlen

Aachen · Eine 90-jährige blinde und nach eigenen Angaben mittellose Frau aus dem Kreis Düren muss 13.111 Euro Blindengeld zurückzahlen, weil sie es versäumt hatte mitzuteilen, dass sie pflegebedürftig geworden war. Das hat das Verwaltungsgericht Aachen geurteilt.

 Ein Mensch mit Blindenbinde steht an einer Ampel. (Symbolbild)

Ein Mensch mit Blindenbinde steht an einer Ampel. (Symbolbild)

Foto: dpa

Die Frau ist 90 Jahre alt, befindet sich mittlerweile in vollstätionärer Pflege, ist nach eigenen Angaben völlig mittellos und außerdem blind. Das bedeutet unter anderem, dass sie amtliche Schreiben, die sie erreichen, gar nicht lesen kann. Trotzdem gelten für sie die Buchstaben des Gesetzes. Man könnte aus ihrer Position heraus auch sagen: sie trifft die Härte des Gesetzes.

Das zeigt sich an diesem Dienstagmorgen vor der 2. Kammer des Aachener Verwaltungsgerichts, wo die hochbetagte Nideggenerin mit ihrer Klage gegen den Landschaftsverband Rheinland (LVR) unterliegt. Dieser fordert von ihr 13.111 Euro Blindengeld zurück. Begründung: Die blinde Frau hatte es versäumt, dem LVR rechtzeitig mitzuteilen, dass sie zwischenzeitlich pflegebedürftig geworden war. Und wer Pflegegeld erhält, dem wird das Blindengeld gekürzt. Ergo habe die Frau über Jahre zu viel Blindengeld erhalten, begründet der LVR die Rückforderung.

„Leider“ alles rechtens

Alles rechtens, weist Verwaltungsrichterin Gabriele Runte die Klage der Frau nach kurzer Verhandlung ab – auch wenn man spürt, dass sie diese Entscheidung nicht gerne trifft. Das Wörtchen „leider“ kommt in ihren Ausführungen an diesem Morgen überproportional oft vor. Und auch dem Anwalt der Frau sagt sie, dass sie seine Argumentation durchaus verstehen und nachvollziehen könne.

Bloß sind da noch die Buchstaben des Gesetzes, genauer gesagt des § 48 des Sozialgesetzbuchs. Dort steht unter anderem, dass ein Verwaltungsakt – also zum Beispiel die Gewährung von Blindengeld – auch rückwirkend wieder aufgehoben werden kann, wenn der Betroffene seiner Pflicht zur Mitteilung einer Änderung seiner Verhältnisse „grob fahrlässig“ nicht nachgekommen ist.

Und an dieser groben Fahrlässigkeit führt nach Ansicht von Richterin Runte kein Weg vorbei. Denn auch wenn man bei blinden Menschen eine gewisse Beeinträchtigung beim Verstehen von Schriftstücken annehmen könne, sei die Frau ja doch in der Lage gewesen, das Blindengeld zu beantragen. Und dabei sei ihr auch vorgelesen worden, dass sie Änderungen sofort mitzuteilen habe.

Dass die Frau die Briefe des LVR in den vergangenen Jahren nicht habe lesen können, weil sie blind sei, dass sie auch nicht mit der Kürzung von Leistungen gerechnet habe, wo es ihr doch von Jahr zu Jahr gesundheitlich schlechter gegangen sei – all das zählt da nicht. „Sie müssen auch als ein in seinem Rechtsverkehr beeinträchtigter Mensch einen Modus finden, ihren Pflichten nachzukommen“, sagt die Richterin. Unter dem Strich habe die Frau „Leistungen in Anspruch genommen, die ihr nicht zustanden“.

Die für die mittellose Pflegebedürftige horrende Summe von 13.111 Euro ergibt sich aus dem langen Zeitraum, in dem zu viel Blindengeld gezahlt wurde. Im Oktober 2007 hatte die Frau Blindengeld beantragt, im Monat darauf wurde es bewilligt. Erst im Mai 2016 teilte sie dann dem LVR auf formularmäßige Anfrage mit, dass sie seit August 2015 in Pflegestufe 2 eingestuft sei. Damals habe seine Mandantin Unterstützung bei der Regelung dieser Dinge gehabt, deshalb sei da auch alles ordnungsgemäß gemeldet worden, argumentiert der Anwalt der Frau. Die Frage der Richterin, ob sie in all den Jahren vorher keine Hilfe genossen hatte, kann er allerdings nicht beantworten.

Keine „besondere Härte“

Tatsache ist, dass die ordnungsgemäße Meldung im Jahr 2016 den Stein ins Rollen bringt. Der LVR setzt sich mit der Krankenkasse in Verbindung, man erfährt, dass die Frau schon seit Oktober 2008 Pflegegeld für Pflegestufe 1 erhalten hat, der Bewilligungsbescheid wird aufgehoben, die Rückforderung berechnet. Eine etwaige Verjährung, die die Klägerin ebenfalls mit Blick auf den lange zurückliegenden Zeitraum anführt, sieht das Gericht nicht. Keine Frist sei verletzt worden, stellt die Richterin fest, alles entspricht den Buchstaben des Gesetzes.

Und auch der letzte Rettungsanker greift nicht. Die Rückforderung stelle für sie in ihrer Situation eine besondere Härte dar, hatte die Frau argumentiert. Auch dafür gibt es Buchstaben im Gesetz, ist doch der besagte Paragraph im Sozialgesetzbuch nur eine „Soll-Vorschrift“. Das heißt: Ganz seltene Ausnahmen sind möglich. „Aber dass jemand kein Geld hat, reicht da auf keinen Fall aus“, sagt die Richterin.

Für das Urteil äußert der Anwalt der Frau Verständnis. Aber er sagt auch, dass seine mittellose Mandantin das Geld nicht zurückzahlen könne. Und dass der alten Dame dies „sehr, sehr unangenehm“ sei.

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