Auswirkung von A45-Brückensperrung bei Lüdenscheid „Als ob wir plötzlich an einem Rollfeld wohnen“

Lüdenscheid · Die Sperrung der Autobahn A45 hat Folgen für Lüdenscheid und seine Bewohner: Die Umleitungsstrecke führt mitten durch ihre Stadt. Vor allem nachts donnern die Lastwagen mit Tempo 70 ins Tal. Und das könnte mindestens fünf Jahre so bleiben.

 Die Anwohner des Siedlungsweg in Lüdenscheid haben seit der Sperrung der A45 nachts keine ruhige Minute mehr. Auch tagsüber fahren Hunderte Lastwagen unterhalb ihrer Häuser vorbei. Von links: Martin Krings, Cornelia und Olaf Schüttler und Werner Schüttler.

Die Anwohner des Siedlungsweg in Lüdenscheid haben seit der Sperrung der A45 nachts keine ruhige Minute mehr. Auch tagsüber fahren Hunderte Lastwagen unterhalb ihrer Häuser vorbei. Von links: Martin Krings, Cornelia und Olaf Schüttler und Werner Schüttler.

Foto: RPO/Claudia Hauser

Nachts ist es am schlimmsten. Einmal ist Martin Krings gegen Mitternacht aufgestanden und runter zur Straße gegangen, um die Lastwagen zu filmen. Schlafen konnte der 66-Jährige wegen des Lärms ohnehin nicht. Sein Handyvideo zeigt die Laster im Stop-and-Go-Modus, Stoßstange an Stoßstange, wie sie sich aus der Talsenke hochquälen. Und auf der Spur, die ins Tal runterführt, ist es genauso voll. Hochbetrieb mitten in der Nacht. Krings hat auch schon um zwei und um vier Uhr gefilmt. „Das zischt und heult und dröhnt“, sagt er. „Und wenn die Strecke frei ist, geben sie Gas, dann baut sich der Schall auf wie bei einem Flugzeug.“ Mit Tempo 70 donnern die Lastwagen dann durch die Talsenke. „So viel ist erlaubt, oft fahren sie noch schneller“, sagt Krings. „Es ist, als ob wir plötzlich an einem Rollfeld wohnen.“

Martin Krings lebt mit seiner Frau in einem Haus oberhalb der Straße. Ihr großer Garten grenzt daran. Vor 30 Jahren hat Krings das Haus gekauft, die beiden Söhne sind inzwischen erwachsen und ausgezogen. „Eigentlich wollte ich im Sommer im Garten mein Rentnerdasein genießen“, sagt er. Seine Nachbarn, Cornelia und Olaf Schüttler, leben noch näher an der Straße. Sie werden wohl ihr Schlafzimmer auf die andere Seite des Hauses verlegen, sobald die Tochter ausgezogen ist. „Es ist nachts, als fahren die Lastwagen mitten durchs Zimmer“, sagt Cornelia Schüttler.

Seit Anfang Dezember geht das so. Und es könnte die nächsten fünf Jahre so bleiben, mindestens. Die Laster, die aus ganz Europa kommen, fahren mitten durch die Stadt, seit die Rahmede-Talbrücke auf der Autobahn A 45 zwischen den Anschlussstellen Lüdenscheid und Lüdenscheid-Nord Anfang Dezember 2021 gesperrt wurde. „Die Brücke wurde nachmittags gesperrt – und zehn Minuten später brach hier das Chaos los“, sagt Krings. Die 453 Meter lange Brücke muss abgerissen und neu gebaut werden. Bei einer Routineuntersuchung hatte die zuständige Autobahn GmbH Verformungen in einem Stahlträger der Brücke festgestellt. Hoffnungen, die Brücke sanieren zu können, zerschlugen sich schnell, als deutlich wurde, dass die Schäden weitaus größer sind. Neben Rissen an den Längsträgern gibt es erhebliche Korrosionsschäden an der Brücke. Noch nicht mal ein Baufahrzeug darf nun noch drauf. Bundesweit muss der Verkehr jetzt umgesteuert werden.

Neben dem Siedlungsweg, in dem die Familien Krings und Schüttler leben, gibt es vor allem in der Lennestraße chaotische Zustände. Hier fahren die 40-Tonner dicht an den Häusern vorbei, stehen auch an Werktagen mittags schon vor den Kreuzungen Schlange. In einem anderen Stadtteil hat ein Lkw-Fahrer eine enge Kurve nicht erwischt, den Zaun mit seinem Laster mitgerissen und den Vorgarten zerstört, wie Krings erzählt. „Der war natürlich danach über alle Berge.“ Unten am Siedlungsweg stoppen die Fahrer oft in einer Einbuchtung und erleichtern sich hinter zwei Garagen. Und wer hier morgens zur Arbeit oder zum Einkaufen will, fährt inzwischen mindestens eine halbe Stunde früher los, um nicht im Rückstau zu landen.

 Die Talbrücke Rahmede bei Lüdenscheid. Die Autobahn 45 zwischen dem östlichen Ruhrgebiet und Frankfurt ist derzeit wegen des Brückenschadens voll gesperrt.

Die Talbrücke Rahmede bei Lüdenscheid. Die Autobahn 45 zwischen dem östlichen Ruhrgebiet und Frankfurt ist derzeit wegen des Brückenschadens voll gesperrt.

Foto: dpa/Kay-Helge Hercher

Eine regionale Taskforce wurde eingerichtet, um Lösungen für das Chaos zu finden. Darin sind unter anderem die Städte Lüdenscheid, Altena und Hagen vertreten, außerdem der Märkische Kreis sowie Polizei und Feuerwehr. Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr in Lüdenscheid haben manchmal Probleme, bei einer Alarmierung überhaupt zur Wache zu kommen, weil die Straße dicht ist. Nach Angaben von Straßen NRW wird es wahrscheinlich aber keine andere Umleitungsstrecke geben, wobei die bestehende immer weiter optimiert werden soll. Um den Verkehrsfluss zu verbessern, wurden nun etwa die Ampeln anders programmiert.

Damit der Brücken-Neubau möglichst zügig beginnen kann, hat NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes (CDU) einen Zehn-Punkte-Plan mit Forderungen an den Bund vorgelegt. Um Zeit zu sparen, soll unter anderem auf eine erneute Umweltverträglichkeitsprüfung und ein Planfeststellungsverfahren verzichtet werden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat nun für den Neubau der maroden Brücke eine möglichst beschleunigte Planung zugesagt. „Ich glaub‘ da noch nicht dran“, sagt Martin Krings. „Außerdem sind auch fünf Jahre noch kein ambitioniertes Ziel – in Italien stand die neue Autobahnbrücke in Genua zwei Jahre nach dem Einsturz.“

In dieser Woche hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) einen Ersatzneubau ohne vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung mit dem Verweis auf Umweltstandards bereits abgelehnt. „Ich habe großes Verständnis für den BUND“, sagt Lüdenscheids Bürgermeister Sebastian Wagemeyer (SPD). „Aber man muss sich fragen, was besser ist: Ein schneller Neubau der Brücke oder täglich mehr als 20.000 zusätzliche Fahrzeuge in der Stadt, davon 6500 Lkw.“ Er habe in der Bürgersprechstunde verzweifelte, weinende Menschen sitzen. „Und wir reden hier von einer Situation, die erst seit acht Wochen besteht – wir haben noch Jahre vor uns.“ Wagemeyer will den Schwerlast- und Transitverkehr dringend aus Lüdenscheid raus haben. „Es wird keine andere Umleitung geben, da muss man sich keine Illusionen machen“, sagt er. Er denkt etwa an eine City Maut für Lkw, die nicht zum Speditionsverkehr der Region gehören. Letztlich gehe es darum, die Umleitung über Lüdenscheid unattraktiver zu gestalten, so dass die Laster die großräumigeren Umleitungsstrecken auf den Autobahnen nutzten, wie Wagemeyer sagt.

Der „Sauerland Kurier“ berichtete am Mittwoch über eine Population von Fledermäusen, die in einem der Brückenpfeiler lebt. Vor einer Sprengung des Pfeilers müssten die Tiere erst umgesiedelt werden. Noch ist unklar, ob die Brücke überhaupt gesprengt werden kann oder ob eine Behelfsbrücke gebaut werden muss, um sie nach und nach abzubauen – auch das würde den Zeitplan deutlich verzögern.

 Seit der Sperrung der A45 nutzen Lkw-Fahrer die Umleitungsstrecke mitten durch Lüdenscheid. Besonders belastet ist die Lennestraße.

Seit der Sperrung der A45 nutzen Lkw-Fahrer die Umleitungsstrecke mitten durch Lüdenscheid. Besonders belastet ist die Lennestraße.

Foto: RPO/Claudia Hauser

Die Anwohner des Siedlungswegs fordern unter anderem eine Temporeduzierung auf der Umleitungsstrecke, finanzielle Hilfen für Lärmschutz und mindestens ein Nachtfahrverbot für den Transit-Verkehr. Wenn Martin Krings morgens auf seiner Terrasse steht, riecht die Luft inzwischen nach Abgasen. Er denkt zum ersten Mal seit 30 Jahren darüber nach, ob es nicht besser wäre, sein Haus zu verkaufen und wegzuziehen. Nur, wer sollte das Haus jetzt kaufen?

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