9-Euro-Ticket-Generalprobe nach Sylt Ab Hamburg konnte ich nicht mehr sitzen

Düsseldorf · Mit dem 9-Euro Ticket steht uns die ganze Bahnwelt in Deutschland offen. Zumindest im Nahverkehr. Jeder Nahverkehrszug ist inklusive und damit kann man fast jedes Ziel erreichen. Auch Sylt? Ja, wenn man Sitzfleisch und starke Nerven hat.

Der Strand von Westerland

Der Strand von Westerland

Foto: Michael Höing

Wer vom Rhein ans Meer will, muss früh aufstehen. Um 06.17 Uhr beginnt meine Reise mit dem Nahverkehr der Bahn von Grevenbroich nach Westerland. Die Insel Sylt glaubt, mit Einführung des 9-Euro-Tickets von Tagestouristen aus ganz Deutschland überrannt zu werden. Schon beim Blick in den Reiseplan bin ich skeptisch. Die Fahrt vom Rheinland bis nach Westerland dauert mit reinen Nahverkehrszügen 10 Stunden und 48 Minuten. Ich muss 6-mal umsteigen und eigentlich ständig Angst haben, dass irgendein Zug Verspätung hat und ich in Norddeutschland eine ungeplante Pause von einer Stunde machen muss. Ich mache die Generalprobe mit dem „Quer-durchs-Land-Ticket“ der Bahn. Nur Nahverkehrszüge für 42,00 Euro am Tag. Das sind die Leitungen die es ab dem 01. Juni für 9,00 Euro pro Monat gibt.

Die erste Etappe ist leicht. Von Grevenbroich nach Neuss dauert es 15 Minuten. Die Umstiegszeit von 4 Minuten ist allerdings sportlich. Mit dem großen Koffer renne ich durch den Hauptbahnhof meiner Nachbarstadt und verfluche das Gepäck schon jetzt. Für einen Aufzug fehlt die Zeit. Der Zug kommt pünktlich und ist voll. Pendler wollen nach Düsseldorf. Ich quetsche mich mit Koffer in den Regionalexpress und habe das Vorderrad eines Rentners in den Kniekehlen.

Ich stehe bis Düsseldorf und schwinge mit der Masse im Zug. Festhalten geht nicht. Bremst der Zug, bremst mich das E-Bike. In Düsseldorf angekommen spiele ich kurz mit dem Gedanken, den Koffer einzuschließen und ohne Gepäck nach Sylt zu fahren. Zu groß und zu sperrig. Die Aussicht, ohne Wechselkleidung und Waschzeug in Westerland zu sein, ermutigt mich dann aber, den Koffer weiter mitzunehmen. Mitgehangen, mitgefangen. Die 20 Minuten Zeit am Bahnhof nutze ich für Frühstück. Ein Brötchen im Stehen und ein Kaffee, bis der nächste Regionalexpress mit leichter Verspätung in den Bahnhof einrollt. Der RE2 fährt durch das Ruhrgebiet bis Osnabrück und ich bekomme mit Koffer einen Sitzplatz.

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Foto: dpa/Sven Hoppe

Endlich ein bisschen entspannen. Ich habe 2 Stunden auf diesem Sitzplatz vor mir und ich mache all das, was man im Zug so machen kann. Ich höre Musik, ich lese, ich beobachte meine Mitreisenden. Pendler sind langweilig, stören mich aber auch nicht. In Gelsenkirchen steigt eine Schulklasse in den Zug ein. Das ist die Action, die man sich nun aber auch nicht gewünscht hat. Musik dröhnt aus Handys, Kinder unterhalten sich und wechseln minütlich den Platz. In Recklinghausen steigt die Schulklasse aus und mehrere Pendler ebenso. Jetzt wird es tatsächlich leer im Zug und ich versinke in meinem Buch.

Osnabrück um 09.10 Uhr hat fast etwas Gemütliches. Es sind nicht mehr so viele Pendler unterwegs und nach und nach kommen Touristen zum Vorschein. Die meisten von ihnen haben einen kleineren Koffer als ich und vor allem einen leiseren Koffer. Mein schwarzer Trolley hat harte Räder und macht entsprechende Geräusche beim Ziehen.

Ich werde mir einen neuen Koffer kaufen und nutze die nächste Fahrt nach Bremen für eine ausgiebige Recherche. Knapp eineinhalb Stunden ist der RE 9 bis Bremen unterwegs. Wenn alles gut läuft. Tut es aber nicht. Zwischen Diepholz und Barnstorf (Han) bleibt der Zug stehen. Einfach so auf freier Strecke. Minutenlang ist Stille in der Bahn bis der Lokführer sagt, dass es bald weitergeht. Es dauert 10 Minuten und der Zug setzt sich wieder in Bewegung. Allerdings im Schritttempo und nicht in der gewohnten Geschwindigkeit. Das ist der Moment, wo man als Reisender irgendwie nervös wird. In Bremen habe ich zwar laut Fahrplan einen Aufenthalt von 42 Minuten.

Jedoch sind daraus nun nur noch 28 geworden und ich bin noch nicht da. 5 Minuten später stehen wir schon wieder. Wahrscheinlich überholt uns gleich ein ICE. Den darf ich ja nicht nutzen, weil das Ticket nur für Nahverkehrszüge gilt und die warten irgendwie immer. Ich schaue verträumt aus dem Zugfenster und mache mir bewusst, dass es noch über 7 Stunden dauern wird, bis ich in Westerland ankomme. So langsam werden die Sitze unbequem und ich rutsche unruhig hin und her. Der Zug rollt wenig später wieder und Bremen kommt ein Stückchen näher.

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Foto: Pixabay/Gruendercoach

11.15 Uhr bin ich in der Hansestadt und aus der Mittagspause wird nicht viel. Statt 42 Minuten, habe ich nur noch 15 Minuten zum Umsteigen. Ich lege mit Proviant nach und zahle für ein Brötchen und eine Flasche Wasser 7 Euro.

Der Zug von Bremen nach Hamburg sieht anders aus. Es ist der Metronom, eine Norddeutsche Privatbahn. Das bringt Abwechslung in den Reisetag. Nur 45 Minuten sind es bis Hamburg, wenn der Zug nicht vor Rotenburg an der Wümme stehen bleiben würde. Ich ärgere mich nicht. Man wird genügsam und stumpft mit der Zeit ab. Draußen regnet es jetzt aus Eimern und ich bin froh, im Zug zu sitzen und nicht nass zu werden. Als Motivationshilfe schaue ich in den Wetterbericht für Sylt: 22 Grad und Sonne. Kurz vor Hamburg stelle ich mich in den Gang des Zuges. Ich kann nicht mehr sitzen.

Gerne würde ich einfach mal eine Runde durch den Zug laufen. Aber der Koffer hält mich ab und so mache ich nur ein paar Dehnübungen am Nachbarsitz. Das sieht zwar albern aus, bringt aber kurzzeitig eine Entlastung für die Beine und den Rücken. Der Umstieg in Hamburg ist hektisch. Aus den geplanten 23 Minuten sind durch die ungeplanten Verzögerungen vor Rotenburg nur noch 3 Minuten geworden. Zum Glück muss ich nur auf den gegenüberliegenden Bahnsteig und dort wartet bereits der Zug nach Elmshorn. Es ist 13.06 Uhr und von hier aus sind es noch 4 Stunden bis Westerland und 6 Stunden bin ich schon gefahren. Die Strecke habe ich unterschätzt. Der Zug ist völlig überfüllt.

Ich finde keinen Sitzplatz und bleibe im Fahrradabteil stehen. Um mich herum sind Reisende, die auf ein Kreuzfahrtschiff wollen. Jeder hat einen Koffer und schon die passende Kleidung an. Bunte Chinos, karierte Hemden und lässige Pullover über den Schultern. Es geht mit dem Schiff „Rund um Oslo“, verrät mir eine Reisende aus Hannover. Viele Fahrgäste sind körperlich nicht in der Lage, ihre Koffer zu bewegen. Ich helfe aus, wo ich kann und bin froh, in Elmshorn wieder umsteigen zu können. Hier wartet der letzte Zug für heute.

Der RE6 fährt bis Westerland und ist ebenfalls voll bis oben hin. Zweieinhalb Stunden ist diese Bahn jetzt unterwegs und fährt einmal durch Schleswig-Holstein. Ich will nicht sitzen, will aber auch nicht bis Westerland stehen. Eine Zwickmühle. Ich suche mir einen der wenigen Sitzplätze, die noch frei sind und richte mich ein. Bei zweieinhalb Stunden habe ich dem Koffer einen guten Platz sichern können und auch für mich einen recht gemütlichen Platz gefunden.

Ich mache langsam die Augen zu und versuche zu schlafen. Ich döse sehr schnell weg, bis 10 Minuten nach der Abfahrt ein ohrenbetäubender Gong durch den RE schallt. Die Schaffnerin begrüßt uns zugestiegene Fahrgäste und wünscht eine angenehme Fahrt. Leider wird daraus nicht viel, da die Lautsprecheranlage so laut eingestellt ist, dass ich regelmäßig aus dem Schlummermodus hinauskatapultiert werde. Heide, Lunden, Friedrichstadt, Husum, Bredstedt, Langenhorn – jede Haltestelle kündigt sich per Gong an. An einigen Haltestellen steht der Zug sehr lange. Das ist geplant und steht auch so im Fahrplan. Perfekte Gelegenheit, sich auf dem Bahnsteig mal die Füße zu vertreten. Die Sonne ist da und hat den Zug inzwischen aufgeheizt. Da in allen Bahnen nach wie vor Maskenpflicht besteht, wird es vor allem im Gesicht nun auch langsam unangenehm. Die Gummibänder meiner FFP-2 Maske haben sich schon in meine Ohren geschnitten. Nun kommen leichte Luftprobleme dazu. Klanxbül ist die letzte Station auf dem Festland. (Vielen Dank an die Hinweise. Zunächst hatten wir hier Morsum als letzte Festlandstation deklariert.)

Alle Reisenden drücken sich ab jetzt die Nase am Fenster platt. Es ist eben doch was Besonderes, wenn der Zug über den Hindenburgdamm nach Sylt fährt. Wir sehen das Meer und bei allen ist Erleichterung im Gesicht zu sehen, trotz Maske. Das Meer ist für mich gerade der Lohn für über 10 Stunden Zugfahrt. Dafür die Sitzerei im Zug, die Rennerei am Bahnsteig, die Schlepperei mit dem verdammten Koffer. Ach, was ist das schön. So schnell wir auf den Hindenburgdamm gefahren sind, so schnell sind wir auch wieder von ihm runter.

Nach Keitum kommt Westerland und um 17.05 Uhr planmäßig das Ende der langen Zugfahrt. Massen strömen aus der Bahn. Alle mit Rollkoffern, die laut über das Kopfsteinpflaster beben. Alle wollen so schnell wie möglich ins Hotel. Ich auch. Meinen steif gesessenen Körper bring ich in der Fußgängerzone von Westerland in Schwung. Der laute Koffer löst allerdings genervte Blicke bei den vielen Touristen in den Straßencafés auf. Das ist mir jetzt egal und ich gehe einen Schritt schneller. Nach 10 Minuten Fußweg habe ich mein Hotel erreicht. Über 11 Stunden nach Abfahrt im Rheinland bin ich platt und habe keine Lust mehr. Die Schönheit der Insel ist mir gerade völlig egal. Sylt ist eine Reise wert. Aber bloß nie wieder mit dem Nahverkehr!

Info Mein Trip nach Sylt und Tipps für den Kurzurlaub, in unserem neuen Podcast „Trip-Tipps für 9“

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