Schüler in NRW 2773 Gymnasiasten scheitern nach zwei Jahren

Düsseldorf · Nach Klasse 6 ist für viele Schüler Schluss. Die Quote der Kinder in NRW, die das betrifft, steigt. Sie wechseln meist an die Realschulen. Eltern sind besorgt, die Gymnasien fordern bessere Auswahl.

 Immer mehr Schüler müssen das Gymnasium vorzeitig verlassen. (Symbol)

Immer mehr Schüler müssen das Gymnasium vorzeitig verlassen. (Symbol)

Foto: dpa, Tobias Kleinschmidt

In NRW ist in den vergangenen fünf Jahren die Zahl der Schüler deutlich gestiegen, die nach der Erprobungsstufe das Gymnasium verlassen. 2016 wechselten nach Angaben des Schulministeriums 2773 Jungen und Mädchen nach Klasse 6 an eine andere Schulform, 27 Prozent mehr als fünf Jahre zuvor. Weil zugleich die Gesamtzahl der Schüler sank, stieg die Wechslerquote von 3,3 auf 4,5 Prozent. Die meisten der Wechsler wurden zugleich in die siebte Klasse versetzt; nur 2,5 Prozent sind Sitzenbleiber.

Vor 2011 waren die Zahlen deutlich gefallen, sodass inzwischen wieder der Stand von vor zehn Jahren erreicht ist. Der Anstieg fällt zusammen mit der Abschaffung der verbindlichen Grundschulgutachten 2010 durch die rot-grüne Landesregierung. Seither entscheiden in letzter Instanz die Eltern, welche Schule ihr Kind besucht.

Eignung sicherer machen

In unserer Region ist der Anstieg noch stärker: 29,6 Prozent mehr Schüler verließen das Gymnasium. Das geht aus Zahlen hervor, die der Landesbetrieb IT NRW für unsere Redaktion zusammengestellt hat. In Geldern, Leverkusen und Mönchengladbach haben sich die Wechsler-Zahlen sogar verdoppelt; in Düsseldorf und Dormagen stiegen sie um zwei Drittel.

Das Schulgesetz formuliert als Ziel, während der Erprobungsstufe, also in den Klassen 5 und 6, "die Entscheidung über die Eignung der Schüler für die gewählte Schulform sicherer zu machen". In Klasse 6 gehen noch alle Schüler ohne Versetzung über. Erst danach besteht also die erste echte Gelegenheit zu einer Zwischenbilanz. Die Entscheidung über den Wechsel eines Schülers liegt bei der Klassenkonferenz, also den unterrichtenden Lehrern.

Der weitaus größte Teil derer, die das Gymnasium dann verlassen, wechselt an die Realschule - in unserer Region gut 70 Prozent. 19 Prozent wechseln zur Gesamt-, knapp neun Prozent zur Sekundarschule, weniger als zwei Prozent an die Hauptschule. Der Trend zur Realschule ist in den Großstädten noch stärker — in den 25 größten Städten des Landes wechseln sogar 81 Prozent an diese Schulform; Gesamt- und Sekundarschule kommen hier zusammen nur auf gut 17 Prozent. Das dürfte daran liegen, dass in den Städten noch viele Realschulen erhalten geblieben sind, während sie in ländlichen Gebieten häufig zugunsten von Gesamt- oder Sekundarschulen aufgegeben wurden.

"Systematisch schlechtgeredet"

Elternvertreter sehen die Entwicklung mit Sorge. Von einer "Fehlleitung der Schüler" spricht etwa Johannes Papst, Vorsitzender der Landeselternschaft der Realschulen. Viele Eltern könnten sich für ihr Kind überhaupt nur noch eine gymnasiale Bildung vorstellen, auch weil die Realschule "systematisch schlechtgeredet" worden sei.

Papst kritisierte auch die Gymnasien: "Viele Schulleiter haben dieses Spiel mitgespielt, ohne ihrer Verantwortung gerecht zu werden, genau hinzuschauen, ob diese Kinder alle am Gymnasium richtig aufgehoben sind." Zwar nähmen die Realschulen gern Wechsler vom Gymnasium auf - es sei aber nicht sinnvoll, "dass ganze Jahrgangsstrukturen noch einmal komplett verändert werden". Die 57 Schüler, die zum Beispiel zuletzt in Mönchengladbach vom Gymnasium zur Realschule wechselten, entsprechen rechnerisch einer halben neuen Klasse an jeder der vier Realschulen vor Ort.

"Zu viele Anmeldungen"

Papst will das Thema in den Gesprächen mit der neuen Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) "ganz oben auf die Tagesordnung" setzen. Gebauer selbst sagte: "Wir werden darüber reden müssen, ob am Gymnasium manche Kinder überfordert sind." Das habe auch mit "mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung für andere Abschlüsse als das Abitur" zu tun: "Wir müssen weg vom Akademisierungswahn." Es gehe nun darum, Eltern besser bei der Wahl der weiterführenden Schule zu beraten.

Auch die Schulleiter sehen Handlungsbedarf. Zwar lasse sich aus den Grundschulgutachten immer noch viel herauslesen, sagte Ingrid Habrich, Vorsitzende der Rheinischen Direktorenvereinigung: "Trotzdem müssen wir überlegen, wer ans Gymnasium kommt." Eine Lösung könne etwa Probeunterricht für Interessenten sein - der wurde 2010 abgeschafft. "Und wir müssen", ergänzte Habrich, "Kinder auch nach Leistung abweisen dürfen, wenn wir zu viele Anmeldungen haben." Bisher geht das nicht - es zählen Kriterien wie das Geschlechterverhältnis, die Geschwisterkinder an der Schule oder der Wohnort.

(fvo)
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