Oberhausen NRW-Grüne wollen Kohlestrom bis 2037

Oberhausen · Die Landesebene will den Parteitagsbeschluss der Bundesgrünen kippen, der den Ausstieg schon in acht Jahren vorsieht.

Es war eine eigentümliche Mischung aus knallharter Parteiprogrammatik und Nostalgie, als das grüne Urgestein Reiner Priggen (63) gestern beim Landesparteitag in Oberhausen auf die Bühne trat. Geplant war ein dreiminütiges Statement. Geworden sind daraus fast 20 Minuten. "Flammende Minuten", wie man bei gelungenen Reden auch sagt.

Denn es ging um den Kohleausstieg und damit um Priggens politisches Herzblut. Und es ging unausgesprochen auch um ihn selbst, denn nach 16 Jahren als Grüner im Landtag, fünf davon als Fraktionschef, wird der Aachener sich im kommenden Jahr zurückziehen. Am Sonntag hielt er seine inoffizielle Abschiedsrede. "VW droht das Schicksal, zum RWE der Automobilindustrie zu werden", rief Priggen in den begeisterten Saal. Denn genau wie der Energieriese zum Sanierungsfall wurde, weil er die Energiewende verschlief, drohe Europas Autobauer die Elektromobilität zu verpassen.

Aber Priggen wäre nicht Priggen, wenn er nicht auch seiner eigenen Partei mahnende Worte mit auf den Weg geben würde: "Was die Bundespartei da in Münster gemacht hat, ist Unsinn", kommentierte er einen nur wenige Wochen alten Parteitagsbeschluss, demzufolge Deutschland schon 2025 aus der Kohleverstromung aussteigen soll. So etwas könnten sich nur Länder ausdenken, wo die Kohleverstromung heute schon nachrangig sei. "In NRW haben wir 76 Prozent Stromerzeugung aus Kohle. Das kann man nicht in acht Jahren abwickeln. Nicht einmal mit einer absoluten Mehrheit", so Priggen. Die NRW-Grünen müssten in dieser Frage deshalb die parteiinterne Federführung übernehmen und auf ein "realistisches Ausstiegsdatum im Jahr 2037" hinarbeiten. Bei der anschließenden Abstimmung über das entsprechende Kapitel im Parteiprogramm setzte Priggen sich mit großer Mehrheit durch.

Ebenso wie Spitzenkandidatin Silvia Löhrmann, die ihren Plan für eine Gymnasialreform verteidigen konnte. Im Streit um das Turbo-Abi will die amtierende NRW-Bildungsministerin, dass die Gymnasien gleichzeitig ein Abitur nach acht und nach neun Jahren anbieten, so dass jeder Schüler an jeder Schule die Wahl hat. Ein Gegenantrag forderte hingegen die generelle Abkehr vom Turbo-Abi - er wurde nach kurzer Diskussion aber zurückgezogen.

Gleich ganz zu Beginn des Grünen-Parteitages in Oberhausen machte Löhrmann schon am Freitag deutlich, dass es bei dieser NRW-Wahl um mehr geht: "Lasst uns 2017 in NRW auch den Anfang vom Ende der Bundesregierung einleiten." An elf von 16 Landesregierungen seien die Grünen bereits beteiligt, "das ist eine grandiose Erfolgsgeschichte", rief die Spitzenkandidatin der NRW-Grünen ihren Parteifreunden zu.

Doch für die Wahlkämpferin Löhrmann macht das die Sache nicht leichter. Auf Bundesebene muss sie die SPD als Teil der Großen Koalition angreifen, auf Landesebene regiert sie hingegen mit den Sozialdemokraten. In ihrer Rede bewältigte sie diesen Spagat, indem sie die SPD auf Bundesebene harsch angreift ("das unsägliche Agieren der SPD in Berlin") und auf Landesebene am besten gar nicht erwähnte.

Umgekehrt machte sie es mit der CDU. Auf Landesebene geht sie in die Offensive, rückte CDU und FDP gar in die Nähe populistischer Parteien: "Wenn CDU und FDP postfaktisch unser Land beschimpfen, dann treffen sie damit nicht uns - dann treffen sie die Menschen, die hier in NRW arbeiten, leben und ihre Heimat schützen." Der Angriff gegen die Bundes-CDU hingegen fiel vergleichsweise harmlos aus: "An der Eiszeit zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer, da ändert auch der schönste Sommer nichts."

Nur bei der FDP nahm Löhrmann keinerlei Rücksichten: Politik sei keine One-Man-Show, sagte sie und spielte damit auf die Doppelrolle des Spitzenkandidaten Christian Lindner im Land und im Bund an. Die FDP kümmere sich vor allem "um den schnellsten Weg des Spitzenpersonals von Düsseldorf nach Berlin", so sagte Löhrmann in Oberhausen.

Neben dem eigenen Programm für die Landtagswahl stellten die Grünen in Oberhausen auch ihre NRW-Liste für die Bundestagswahl 2017 zusammen. Der langjährige Grünen-Abgeordnete Volker Beck, zuletzt vor allem wegen einer Drogenaffäre in den Schlagzeilen, verzichtet darauf, sich doch noch auf die Landesliste für den Bundestag wählen zu lassen. Der 55-Jährige war am Freitagabend in einer Kampfkandidatur um einen der letzten aussichtsreichen Plätze unterlegen. Auf Platz 12 wurde stattdessen der agrarpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff, gewählt.

(RP)
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