Modelleisenbahnerin aus Wuppertal Der Zauber der kleinen Züge

Wuppertal · Regina Diesel ist eine der wenigen Frauen in der Welt der Modelleisenbahner. In nur zwei Jahren Mitgliedschaft ist sie zu einem der wichtigsten Mitglieder ihres Wuppertaler Vereins geworden.

 Regina Diesel wurde in kürzester Zeit zu einem der wichtigsten Mitglieder in ihrem Wuppertaler Modelleiseinbahn-Verein.

Regina Diesel wurde in kürzester Zeit zu einem der wichtigsten Mitglieder in ihrem Wuppertaler Modelleiseinbahn-Verein.

Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen (ort)

Das wohl bekannteste Modelleisenbahn-Video in Deutschland hat eigentlich wenig mit dem Hobby zu tun. Hauptprotagonist ist Horst Seehofer, er zeigt einem Journalisten seinen Hobbykeller, in dem seine Modelleisenbahn ihre Runden dreht. Es geht dabei vor allem um die Technik. Wie es drumherum aussieht, spielt fast keine Rolle. Man sieht in dem berühmten Video, 1,6 Millionen Klicks auf Youtube, eine karge Anlage mit nackten Holzplatten und ein paar verloren wirkenden Spielzeugautos. Es geht dabei auch um Eitelkeit. Über eine Figur von Angela Merkel sagt Seehofer: „In entspannten Zeiten zwischen der Kanzlerin und mir ist sie die Chefin der Anlage. In schwierigen Zeiten: Fensterbank.“ Auch Regina Diesel kennt das Video. Fragt man sie danach, rollt sie mit den Augen.

Regina Diesel, 56, ist eine von zwei Frauen im Modell-Eisenbahn-Club (MEC) Wuppertal, und eine der aktivsten Mitglieder dort. Sie arbeitet an dem, was Seehofers Bahn fehlt: einer Welt, in der sie zur Geltung kommen kann. Das sieht man gut an der Anlage im Maßstab H0, wo jedes Ding 87-mal kleiner als sein reales Vorbild ist. Es ist die größte Anlage des Vereins mit einer Fläche von 70 Quadratmetern auf zwei Ebenen. 700 Meter lang sind die Gleise in Summe, 30 Züge stehen dort bereit. Nackte Holzplatten gibt es nicht. In fast jeder Ecke kann man ein kleines, faszinierendes Detail entdecken, man muss nur gut genug hinschauen. Regina Diesel hat überall Figuren in Szene gesetzt, in Kleinstarbeit Bäume verteilt, sich Geschichten ausgedacht. „Ich will diesem Zauber Leben einhauchen“, sagt die Modelleisenbahnerin.

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Lange Zeit hat dem Verein in Wuppertal so jemand wie Regina Diesel gefehlt. Sogenannte Landschaftsbauer gab es im Verein schon davor, aber die Kreativität und die Energie von Diesel sind einmalig. „Sie schlug hier ein“, sagt der Vorsitzende Andreas Hölschen. In den Hochzeiten der Pandemie wollte sie immer mehr machen, also gab ihr Andreas Hölschen den Schlüssel. Den haben nur vier andere Mitglieder, der Vorsitzende inklusive. Seitdem Regina Diesel Teil dieses kleinen Kreises wurde, kam sie manchmal schon um acht Uhr ins Vereinsheim und ging erst um 17 Uhr wieder nach Hause. Für die selbstständige Lehrerin, deren Aufträge weggebrochen waren, war die Modelleisenbahn die Rettung aus der Krise.

Dabei passt das mit Regina Diesel und der Modelleisenbahn auf den ersten Blick gar nicht. „Ich weiß nicht einmal, wie eine Lok funktioniert“, sagt sie. Dem Klischee der Modelleisenbahner, so wie man es aus dem Video mit Horst Seehofer kennt, entspricht sie nicht. Das Hobby ist da schon weiter.

Erstens sind viele Modelleisenbahner eher in Vereinen aktiv als in ihrem eigenen Hobbykeller. Nicht jeder habe so viel Platz, Zeit oder das technische Know-How für eine eigene Anlage, sagt Andreas Hölschen. Zweitens sind die Vereinsmitglieder nicht alle Technikfreaks. „Es gibt die sogenannten Nietenzähler. Die sagen: Wenn die Lok im Vorbild 200 Nieten hat, dann muss auch das Modell so viele haben.“ Aber es gebe eben auch diejenigen, für die Kreativität im Mittelpunkt steht. Drittens ist die Welt der Modelleisenbahn keine reine Männerdomäne mehr. Und das ist auch sehr gut so, findet Hölschen.

Von paritätischen Zuständen kann aber nicht die Rede sein. 50 Mitglieder gibt es im Verein, die Hälfte sind reine Fördermitglieder, die andere Hälfte arbeitet aktiv an den Anlagen. Zwei davon sind Frauen. 2019 kam Regina Diesel dazu, nun Schlüsselbesitzerin, kreativer Kopf des Vereins und „emanzipierte Wuchtbrumme“, wie sie sich selbst nennt.

Es mag sein, dass sich Regina Diesel für die Anzahl der Nieten nicht interessiert. Die Züge liebt sie aber. „Es gibt nichts Schöneres als eine Dampflok. Die Kraft, die lauten Geräusche, die Geschmeidigkeit… Das fasziniert mich.“

Den Verein lernte sie beim Pfingstfest kennen. Eine traditionelle Veranstaltung, bei der die Modelleisenbahner die Türen zu den Anlagen öffnen und die Außenwelt reinschauen lassen. „Aus jeder Ecke kam ein Zug, fuhr irgendwo rein, kann dann anderswo wieder raus. Das fand ich genial“, sagt Regina Diesel. Sie weiß noch, wie aufgeregt sie damals war. Ausgerastet sei sie, an jeder Ecke. Ihrem Mann sei das peinlich gewesen, er habe die Begeisterung einfach nicht verstanden. „Aber ich habe sofort Blut geleckt“, sagt Diesel. Also ging sie zu Hölschen, der gerade am Bierwagen Getränke einschenkte und sagte ihm, dass sie Mitglied werden will. Der Vorstandsvorsitzende freute sich, dafür ist ja das Pfingstfest da. Dass mit Regina Diesel auch noch eine Frau in den Verein wollte, an denen es im Männerclub fehlte, war für ihn ein doppelter Gewinn.

Das Pfingstfest war am Montag, in der Woche darauf kam Diesel zu ihrem ersten Clubabend. „Es fühlte sich total richtig an“, sagt sie. Auch wenn der Ton bei den Modelleisenbahnern „teilweise sehr barsch“ sei. „Es sind halt alles Männer, die schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben.“

Auf der großen Anlage des Vereins sieht man jetzt überall die Handschrift von Regina Diesel. Dazu gehört viel Humor. Vor dem Modell-Hauptbahnhof, der dem Wuppertaler nachempfunden ist, haben mehrere Polizisten eine Figur von Donald Trump umzingelt. Der ehemalige US-Präsident, verhaftet in der Miniaturwelt. Einige Meter weiter pflegen Kleingärtner ihren Vertikalgarten, ein Mann fotografiert seine Partnerin für das Fotoalbum aus dem Urlaub, eine Ziege ist auf einer Fensterbank stecken geblieben. Und ja, da sind noch die Züge, die Gleise, die Loks. Aber erst durch die Arbeit von Diesel wird die Anlage zu einer Miniaturwelt.

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