Mühsame Aufarbeitung Ein Jahr Loveparade-Prozess - Aufklärung steht im Vordergrund

Düsseldorf · Schon fast 90 Mal wurde im Loveparade-Strafprozess verhandelt. Es geht um Schuld, aber auch um die Aufklärung der Gründe für die Katastrophe. Beobachter und Beteiligte bescheinigen dem Richter einen guten Job.

 Kreuze und Blumen erinnern an die Loveparade-Tragödie in Duisburg, NRW (Archiv).

Kreuze und Blumen erinnern an die Loveparade-Tragödie in Duisburg, NRW (Archiv).

Foto: dpa/Martin Gerten

Der Vorsitzende Richter Mario Plein braucht auch am 84. Verhandlungstag des Loveparade-Prozesses nur zwei Sekunden für sein „Guten Morgen, bitte nehmen Sie Platz“. Unaufgeregt und freundlich-bestimmt wie immer führt er auch an diesem Tag durch die Sitzung. Vor einem Jahr, am 8. Dezember 2017, hatte der Strafprozess begonnen. Ein Ende ist bislang nicht in Sicht. Bis zum 26. April 2019 sind Termine angesetzt. Das Verfahren ist eines der aufwendigsten der Nachkriegszeit - gemessen an der Dauer und der Zahl der Beteiligten. Aus Platzgründen hat das Landgericht Duisburg die Hauptverhandlung in eine Kongresshalle nach Düsseldorf verlegt.

Worum geht es? Weiterhin darum, ob und gegebenenfalls welche persönliche Schuld zehn Angeklagte daran tragen, dass bei der Loveparade in Duisburg im Juli 2010 in einem tödlichen Gedränge 21 Menschen erdrückt und viele hundert verletzt wurden. Vor allem aber geht es um Aufklärung, wie es zu der Katastrophe kommen konnte. Auf der Anklagebank sitzen sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier des Veranstalters Lopavent. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vor.

Gerichtssprecher Matthias Breidenstein ist zufrieden mit dem bisherigen Verlauf: „Der Prozess kommt zügig voran. Sämtliche Verfahrensbeteiligte arbeiten konstruktiv an einer Aufklärung der Geschehnisse mit“, sagt er. Eine Verzögerungstaktik sei bei niemandem erkennbar.

Aufklärung ist ein Schlüsselwort für den Prozess. Vor einigen Monaten hatten Nebenklage-Anwälte Sorge vor einer vorschnellen Einstellung des Verfahrens geäußert, nachdem der Richter für das Frühjahr ein sogenanntes Rechtsgespräch angekündigt hatte. Dabei tauschen sich alle beteiligten Juristen ergebnisoffen über den Stand der Beweisaufnahme und die rechtlichen Bewertungen aus. Plein versprach daraufhin Anfang Oktober: „Mir ist es ein großes Anliegen, dass wir nach dem Ende des Verfahrens sagen können, warum die Kinder der Nebenkläger gestorben sind und warum da viele verletzt worden sind. Wir werden die Fragen, die dringend zu beantworten sind, hier beantworten. Wir werden sagen, was die Ursache für die Katastrophe war.“

Eine Einstellung hatte er allerdings nicht ausgeschlossen: „Wenn wir der Auffassung sind, dass eine Einstellung das Richtige ist, dann ist kein Raum mehr für eine andere Entscheidung, also für eine Verurteilung oder einen Freispruch. Dann gebietet es der Rechtsstaat, dass wir genau so verfahren. Wenn das nicht so ist, werden wir selbstverständlich weiterverhandeln.“

Das Rechtsgespräch findet am 16. Januar statt. Es werden Hinweise dazu erwartet, ob der Prozess anschließend bis zu einem Urteil fortgesetzt oder vorher ohne Urteil eingestellt wird. Daran teilnehmen können bis zu 75 Juristen: Verteidiger, Nebenklage-Anwälte, Staatsanwälte und Juristen der Strafkammer. Grundlage des Rechtsgesprächs ist auch ein im Auftrag der Staatsanwaltschaft erstelltes Gutachten zum Hergang und zu den möglichen Ursachen der Tragödie. Wichtige Erkenntnis des Gutachters: Das Unglück hätte schon in der Planungsphase verhindert werden können.

Rechtsanwalt Gerd-Ulrich Kapteina vertritt einen der angeklagten Mitarbeiter der Stadt. „Nach knapp einem Jahr Verhandlungsdauer ist festzustellen, dass die Komplexität des Falles weit über das hinausgeht, was in der Anklageschrift zugrunde gelegt wurde“, sagt er. Dies gelte unter anderem für die Einschätzung der Rolle der Polizei mit ihren Kommunikationsproblemen und deren Entscheidungen vor Ort. „Wir sind aber noch nicht am Ziel. Wir hoffen, dass die gründliche Aufklärungsarbeit des Gerichts weiteren Aufschluss erbringen wird.“

Weiterhin begleiten Psychologen und Notfallseelsorger den Prozess, organisiert von der Duisburger Loveparade-Stiftung. Fast an jedem Sitzungstag werde das Angebot wahrgenommen, sagt Ulrike Stender vom Stiftungsvorstand. Sie habe einen guten Eindruck vom Prozessverlauf. „Der Prozess geht sehr in die Breite im Sinne von Aufklärenwollen.“

Unter den aktuell 58 Nebenklägern sind auch mehrere Angehörige. Einer von ihnen ist Manfred Reißaus. Vor acht Jahren verlor der 56-Jährige bei der Techno-Party seine Tochter Svenja. 35 Mal sei er schon beim Prozess gewesen, sagt er. Er kritisiert, dass sich viele Zeugen auf Erinnerungslücken berufen hätten. „Das ist traurig und belastend für die Eltern.“ Dem Richter stellt er ein gutes Zeugnis aus: „Plein gibt sich sehr viel Mühe, er nimmt auch kein Blatt vor den Mund und geht auch bis ins kleinste Detail.“

Reißaus' Anwalt, der Bochumer Kriminologe Prof. Thomas Feltes, hält eine Einstellung des Verfahrens für „durchaus sinnvoll“. Als einen Grund führt er die Belastung seines Mandanten durch den Prozess an. Vor allem das Gutachten des Sachverständigen und die Aussagen der Polizeibeamten machten deutlich, dass am Tag des Ereignisses entscheidende Fehler gemacht worden seien, „für die wahrscheinlich die Angeklagten keine Verantwortung tragen“. Vor diesem Hintergrund sei es umso unverständlicher, „dass alle Ermittlungen gegen Polizeibeamte im Vorfeld des Verfahrens eingestellt worden waren“.

Auch Feltes bescheinigt dem Richter einen guten Job: „Er führt ruhig, sachlich und souverän durch das Verfahren und sichert eine hohe Transparenz und Aufklärung, so dass alle Beteiligten den Gang des Prozesses gut verfolgen können.“

(özi/dpa)
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