Interview mit Johannes Remmel "Wir brauchen mehr Tierschutz statt Turbomast"

Berlin · NRW-Landwirtschaftsminister Johannes Remmel (Grüne) kritisiert zum Auftakt der Grünen Woche die Tierhaltung in Deutschland.

So werden Tiere für billige "Bio"-Produkte gehalten.
13 Bilder

So werden Tiere für billige "Bio"-Produkte gehalten.

13 Bilder

Herr Remmel, am Freitag beginnt die Grüne Woche in Berlin. Zeigt sie ein realistisches Abbild der Landwirtschaft in Deutschland?

Remmel Dort finden die richtigen Diskussionen statt. Neben den offiziellen Foren gibt es zahlreiche Demonstrationen und Debatten, die auch auf Fehlentwicklungen hinweisen und Kontroversen aufzeigen.

Was sind die drängendsten Probleme in Deutschland?

Remmel Wir brauchen mehr Regionalität statt Weltmarkt. Wir brauchen mehr bäuerliche Strukturen statt immer größerer Agrarfabriken und wir brauchen mehr Tierschutz statt Turbomast. Die Tierhaltung und der Verbraucherschutz stehen ganz oben auf der Tagesordnung. Die Politik muss dem Verlangen der Verbraucher nachgeben, dass die Tiere mehr Raum erhalten, besser und artgerecht gehalten werden. Die Diskussion um eine artgerechte Tierhaltung findet mittlerweile auch bei den Bauern selbst statt. Diejenigen, die Verbesserungen einführen wollen, haben aber kaum eine Chance, wenn andere mit der Massentierhaltung und Gewinnoptimierung einfach weitermachen.

Woher wissen Sie, dass die Verbraucher eine artgerechte Tierhaltung wollen?

Remmel Die Tatsache, dass sogar Discount-Supermärkte Eier aus Käfig-Haltung aus ihrem Sortiment genommen haben, zeigt, dass die Verbraucher sehr bewusst einkaufen. Sie sind bereit, einen etwas höheren Preis für Eier zu bezahlen, wenn dafür die Tiere besser gehalten wurden. Zudem steigt die Nachfage nach Bio-Produkten schneller als das Angebot.

Kann das auch in anderen Bereichen funktionieren?

Remmel Selbstverständlich. Es ist eine Frage guter Kennzeichnung, die dem Verbraucher hilft, bewusste Entscheidungen zu treffen. Auch Produkte mit Eiern wie Nudeln oder Kuchen sollten gekennzeichnet sein, mit welchen Eiern sie hergestellt wurden. Wichtig ist dabei aber, dass man sich auf eine einheitliche Kennzeichnung mit klar festgelegten Kriterien einigt.

Also mehr Aufklärung, dann lösen sich die Probleme von alleine?

Remmel Transparenz ist zumindest ein wichtiger Beitrag, die Haltung von Tieren zu verbessern. Wenn den Puten die Schnäbel gekürzt werden, wenn den Schweinen die Schwänze amputiert werden, wenn den Ferkeln die Hoden abgeschnitten werden ohne Betäubung, wenn die männlichen Küken aussortiert werden, dann sind das tierschutzwidrige Zustände, über die Verbraucher informiert werden müssen. Ich bin überzeugt, dass die Verbraucher Produkte aus dieser Art von Tierhaltung nicht kaufen würden, wenn sie es wüssten. Zumal diese Methoden europarechtlich eigentlich nicht erlaubt sind, in Deutschland aber geduldet werden.

Wird der nächste Fleischskandal mit Sicherheit eines Tages in Deutschland aufgedeckt werden?

Remmel Wenn die Bundesregierung und Ministerin Ilse Aigner so weitermachen wie bisher, kann man das nicht ausschließen. Der Verbraucherschutz ist unter Schwarz-Gelb nicht gewachsen. Der Lebensmittelmarkt ist so groß, dass wir ihn nicht immer mit unseren Kontrolleuren voll überblicken können, obwohl wir die Kontrollen deutlich ausgeweitet haben. Wichtig ist, die Marktstrukturen zu beobachten, also von der Tierhaltung bis zur Schlachtung, und das tun wir. Aber in vielen Bereichen müssen die Verbraucherrechte deutlich gestärkt werden.

Wann können Sie für NRW garantieren , dass kein Huhn und kein Schwein mehr zu viele Antibiotika bekommt?

Remmel Das kann ein Land alleine nicht garantieren, dazu muss auch die Bundesregierung die Weichen stellen und Kontrollinstrumente einführen. Auf Drängen von NRW wurden 2012 erstmals die Antibiotika-Mengen, die verabreicht werden, veröffentlicht. Zu dem Thema gibt es zwei zentrale Forderungen an den Bund: Mehr Transparenz, das heißt, Tierhalter und Tierärzte müssen verpflichtet werden, die Antibiotika-Mengen, die sie geben, in Datenbänke einspeisen. Nur so kann der Konsum überprüft werden. Das Zweite ist, dass wir klare gesetzliche Regelungen brauchen, um von den hohen Antibiotikagaben in der Tierzucht wegzukommen. Ministerin Aigner aber duckt sich weg und hat auf diese Fragen bisher keine Antworten geben können.

Eva Quadbeck führte das Interview

(qua)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort