Unterschätzte Risiken im Braunkohlerevier Wie gefährlich ist der Tagebau?

Düsseldorf · Im Braunkohlerevier bei Inden soll der größte See von NRW entstehen. Jetzt warnt ein Gutachten vor bisher unterschätzten Risiken des Projekts. Der Tagebau Garzweiler II bleibt ebenfalls umstritten und beschäftigt Karlsruhe.

Chronik des "Rheinischen Reviers"
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Das Gewässer soll größer als der Tegernsee in Bayern werden. Wenn der Tagebau Inden II im Jahr 2030 ausgekohlt ist, wird im rheinischen Braunkohlerevier der größte See von Nordrhein-Westfalen entstehen. Dort, wo jetzt die Bagger graben, soll ein attraktives Freizeitparadies mit Surf- und Tauchschulen entstehen. Doch jetzt warnt ein Gutachter vor erheblichen Risiken des Großprojekts, die bislang nicht im Fokus standen. Die Grünen verlangen, dass die Landesregierung den Vorgang zur Chefsache macht. Zuständig ist Wirschaftsminister Garrelt Duin (SPD).

Eine Prognos-Studie hatte den Befürwortern des Projekts bislang gute Argumente geliefert. Bis zu 3000 neue Jobs würden durch die See-Lösung in der Region entstehen, frohlockten die Gutachter. Bergbau-Betreiber RWE soll durch den Verzicht auf die Befüllung mindestens 300 Millionen Euro sparen. Die Planer glaubten an die "Win-Win-Situation". Ist die Vision vom Urlaubsidyll nur ein Trugbild?

In Sachsen-Anhalt rutschten 350 Meter einfach so weg

Das Gutachten des Ingenieurs Michael Lersow, das die Fraktion der Grünen im Regionalrat Köln in Auftrag gegeben hat, ist 80 Seiten lang. "Bewertung der notwendigen Vorkehrungen zur Herstellung eines dauerhaft standsicheren Teilrestsees Inden II", steht auf dem Titelblatt. Welche Folgen mangelnde Standfestigkeit haben kann, wurde im Jahr 2009 in Sachsen-Anhalt deutlich. Dort rutschte im Ort Nachterstedt ein rund 350 Meter breiter Uferstreifen in den Concordiasee, der durch den Bergbau entstanden war. Drei Menschen starben bei dem Unglück.

Nach Einschätzung des Gutachters hängt die Standfestigkeit des Ufers am Inden-See in hohem Maße davon ab, ob das Bergbauloch, das bis zu 182 Meter tief sein soll, zügig befüllt werden kann. Der "Indesche Ozean" soll nach den bisherigen Plänen mit dem Wasser aus dem Eifelfluss Rur gespeist werden. Reicht diese Menge aus? Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) befürchtet bereits, dass der Fluss in den Sommermonaten austrocknen kann. Dies sei ein klarer Verstoß gegen die europäische Wasserrahmenrichtlinie. Selbst eine "Turbo-Befüllung" würde nach Ansicht von Experten mindestens 20 bis 25 Jahre dauern. Die Landtagsabgeordnete Gudrun Zentis (Grüne) warnt: "Wir müssen uns die Erfahrungen aus Sachsen-Anhalt sehr genau ansehen." Die Tatsache, dass dort Uferbereiche zum Teil nicht betreten werden können, sei ein Grund mehr, "frühzeitig mit der Planung zu beginnen und alle Risiken und Möglichkeiten auszuwerten".

Auch das Wasser könnte gefährdet sein

Mit Sorge erfüllt den Gutachter auch die Möglichkeit von "dynamischen seismischen Ereignissen". Im März 1951 hat sich am Südwestrand der Niederrheinischen Bucht bei Euskirchen ein Erdbeben der Stärke 5,7 ereignet. Das bisher letzte starke Beben bei Roermond wurde mit einer Magnitude von 5,9 registriert. Die seismische Aktivität sei ein "nicht zu unterschätzender Risikofaktor", heißt es in dem Gutachten. Als flankierende Maßnahmen werden Alarmsysteme und Notfallpläne genannt. Tektonische Risse könnten bislang zu wenig beachtete Gefahren herbeiführen, sagt die Grüne Gudrun Zentis: "Wir müssen die Gefahr ausschließen, dass Landstriche überflutet werden."

Neben den Sicherheitsaspekten gerät auch die zu erwartende Wasserqualität zunehmend ins Visier kritischer Experten. Auch in dem Bereich gebe es Risiken, die "bisher nicht ausreichend benannt sind", heißt es im Gutachten. Es könne es zu einer problematischen Übersäuerung kommen. Der Blausteinsee bei Eschweiler (ereichte erst im Jahr 2005 seine endgültige Größe) sei ein Negativbeispiel, erklären die Grünen. Sulfate im Wasser hätten die Vögel vertrieben. "Der See ist umgekippt", sagt Gudrun Zentis. "Das darf in Inden nicht passieren." Auch die Auswirkungen der großen Wasserfläche auf das Klima sind noch unklar.

RWE weist Einwände zurück

Der Erftverband hält Kritikern entgegen, dass das hochwertige Wasser aus der Rur sich gut zur Befüllung des Sees eignen wird. Die geringe Nährstoffkonzentration werde allenfalls zu einem "mäßigen Algenwachstum" führen. Der Restsee sei für "vielfältige Nutzungen vom Bade- und Sportbetrieb bis zu Fischerei und Naturschutz "bestens geeignet". Zuströmende Sulfate könnten durch Brunnen abgefangen werden.

Der Erftverband räumt ein, dass es trotz vieler positiver Prognosen wie bei jedem Großprojekt auch kritische Stimmen gebe. Das spätere Landschaftsbild sei heute nur schwer vorstellbar. "Eine abschließende Beurteilung des Restsees bleibt daher künftigen Generationen vorbehalten", heißt es.

RWE weist die Bedenken gegen die Befüllung des Bergbaulochs zurück. Auf Antrag des Braunkohleausschusses der Bezirksregierung Köln sei bereits vor Jahren — unter Einbindung der Bergbehörde und des Geologischen Dienstes — die Standsicherheit der Restseeböschungen gutachterlich untersucht worden. Das Ergebnis sei, so ein RWE-Sprecher: "Die Böschungen sind sowohl während der Auskohlung, der Restseebefüllung als auch im Endzustand, also nach der Seebefüllung, sicher." Wichtig für die Standsicherheit der Seeböschungen sei vor allem, dass der Seewasserspiegel stets über dem Grundwasserspiegel liege. Das Wasser aus dem See fließe in die Böschung hinein und stabilisiere diese.

Am 4. Juni vor Gericht

Die Grünen fordern, dass die künftigen Uferbereiche schon beim Abbau für ihre Nutzung gestaltet werden. Dabei könnten schon jetzt Mindestabstände zu einer später denkbaren Wohnbebauung eingeplant werden. RWE müsse Rückstellungen für mögliche Folgeschäden an den Böschungen bilden. Die Risiken dürften "nicht schöngeredet" werden.

Die Klagen gegen den Tagebau Garzweiler II werden am 4. Juni vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt. Dabei geht es um die Frage, ob die Zwangsenteignung einer Obstwiese des BUND sowie die bergrechtliche Zulassung des Tagebaus mit den Rechten, die das Grundgesetz verbürgt, vereinbar sind. Auch ein Privatmann hatte gegen den Abbau geklagt.

(RP/pst/sap/gre)
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