Widerstand gegen Zwischenlager Eine Region wehrt sich gegen Atommüll

Beverungen · Im Dreiländereck von NRW, Niedersachsen und Hessen soll ein zentrales Zwischenlager für atomare Abfälle aus ganz Deutschland entstehen. Anwohner kritisieren, wie die Standortentscheidung getroffen wurde. Für den Protest sind sie kreativ geworden.

 Auf dem Gelände des ehemaligen Atomkraftwerk Würgassen wird ein Logistikzentrum für schwach- und mittelradioaktive Abfälle geplant. (Archiv)

Auf dem Gelände des ehemaligen Atomkraftwerk Würgassen wird ein Logistikzentrum für schwach- und mittelradioaktive Abfälle geplant. (Archiv)

Foto: dpa/Swen Pförtner

An Hauswänden und Gartenzäunen sieht man sie, manchmal auch an Treppengeländern und auf Bänken im Vorgarten: gelbe Ws, große wie kleine. Im Umland von Würgassen im Kreis Höxter gibt es einige Exemplare der oft aus Holz gezimmerten Buchstaben. Sie sind Ausdruck stillen Protests einer Bürgerbewegung. Die Initiative „Atomfreies 3-Ländereck“ möchte, dass noch mal ganz genau hingeschaut wird bei einem Zwischenlager für Atommüll, das in dem kleinen Ort an der Weser gebaut werden soll.

Das Verfahren bei der Standortauswahl sei unzureichend gewesen, kritisiert die Bewegung und begrüßt ein neues Gutachten, das die zuständigen Ministerien in NRW und Niedersachsen in Auftrag geben. Für die verantwortliche Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) spricht allerdings nichts gegen das Vorhaben, auf dem Gelände des stillgelegten Atomkraftwerks in Würgassen atomare Abfälle zu sammeln. Dies hätten mehrere Gutachten ergeben. Die BGZ hatte die Pläne im Frühjahr 2020 vorgestellt.

An dem Standort im Dreiländereck von NRW, Niedersachsen und Hessen sollen nicht hochradioaktive Abfälle wie abgebrannte Brennelemente gelagert werden. Vielmehr sollen leicht- und mittelradioaktive Abfälle aus deutschen Kernkraftwerken sowie Abfälle etwa aus der Medizin gesammelt werden, um sie von dort gebündelt in das rund 130 Kilometer entfernte Endlager Konrad bei Salzgitter zu verlegen. Ab dem Jahr 2027 sollen laut BGZ Deutschlands schwach- und mittelradioaktive Abfälle im Endlager Konrad entsorgt werden.

Der Vorsitzende der Bürgerinitiative, Dirk Wilhelm, kritisiert unter anderem die Verkehrsanbindung von Würgassen. Der nächste Autobahnanschluss sei rund 38 Kilometer entfernt. Der gelbe Buchstabe W stehe für Würgassen, Weserbergland und Widerstand.

Die Planer hätten zentrale Punkte eines Papiers der Entsorgungskommission, die das Bundesumweltministerium berät, nicht berücksichtigt, meint Wilhelm. Dazu zähle eine zweigleisige Bahnanbindung, um dem Transportaufkommen gerecht zu werden. Entlang der Transportrouten seien Zehntausende Menschen von den radioaktiven Abfällen betroffen, etwa in Göttingen, Northeim, Paderborn und Höxter, sagt der Vorsitzende der Bürgerbewerbung.

„Es gibt keine Erkenntnisse, die gegen den Standort sprechen“, sagt dagegen ein Sprecher der BGZ. Die Planungen würden deshalb vorerst fortgesetzt. Die zuständige Bezirksregierung Detmold erklärte die Pläne, am Kernkraftwerk Würgassen ein „Logistiklager“ zu errichten, allerdings im November 2020 für unzulässig. Die BGZ könne diese Entscheidung gerichtlich überprüfen lassen, hieß es damals aus Detmold.

Für die Menschen in der Region sei die Situation belastend, sagt Wilhelm: „Nach dem Ende des Kernkraftwerkes war der Großteil der Bevölkerung erst einmal erleichtert.“ In dem Zusammenhang sei ein vollständiger Rückbau des AKWs versprochen worden. „Das Gelände sollte eine grüne Wiese werden. Da war die Entscheidung der BGZ erst einmal ein Schlag vor den Kopf.“ Kaum jemand wolle das Zwischenlager, einige würden aber bereits resignieren.

Sorgen machen sich die Anwohner auch wegen der Lage des Lagers unweit der Weser. „Das Gelände muss zur Herstellung der Hochwassersicherheit aufgeschüttet werden“, sagt Wilhelm. Nach Angaben der BGZ ist Hochwasser laut einem Gutachten jedoch kein Problem für die geplante Anlage - sie verschlechtere auch nicht die Hochwasser-Situation in der Region.

„Ich kann die Sorgen und Bedenken der Menschen in der Region nachvollziehen. Deswegen ist es wichtig, nun den Weg der Transparenz zu gehen. Das machen wir, indem wir Seite an Seite mit unserem Partner NRW ein Gutachten erstellen lassen“, sagt der zuständige niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD).

Dieses Gutachten lassen das niedersächsische Umweltministerium (MU) und das Gesundheitsministerium von NRW derzeit ausschreiben. Es soll den Standort aus logistischer Sicht beurteilen. Auch die Wirtschaftlichkeit soll betrachtet werden. Mit ersten Ergebnissen wird laut einem MU-Sprecher zwischen Frühjahr und Sommer 2022 gerechnet. „Noch wurden keine Fakten geschaffen. Jetzt ist ein hervorragender Zeitpunkt für das Gutachten“, sagt der Ministeriumssprecher. Wenn die Resultate vorliegen, wollten die beiden Ministerien gegebenenfalls noch einmal auf den Bund zugehen.

„Wir begrüßen den Beschluss der Landesregierungen, dieses Gutachten zu erstellen“, sagt Wilhelm. Seine Bürgerinitiative habe ein solches Gutachten bereits länger gefordert. Sollte ein Zentrales Bereitstellungslager für das Endlager Konrad alternativlos sein, müsse das Standortauswahlverfahren „neu und transparent“ durchgeführt werden, ähnlich wie zuletzt im Fall von Gorleben.

(bora/dpa)
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