Bundesweiter Vergleich zu Suiziden In NRW nehmen sich die wenigsten Menschen das Leben

Düsseldorf · NRW hat im Vergleich zum Bundesschnitt die niedrigste Suizidrate der Republik. Gesundheitspolitikern machen sich allerdings Sorgen um die hohe Dunkelziffer. Patientenschützer fordern mehr Anstrengungen bei der Prävention – insbesondere mit Blick auf ältere, alleinlebende Menschen.

Ein Grablicht auf einem Friedhof (Symbolbild).

Ein Grablicht auf einem Friedhof (Symbolbild).

Foto: dpa/Matthias Schrader

In Nordrhein-Westfalen haben sich im ersten Corona-Jahr 1356 Menschen das Leben genommen und damit bezogen auf die Bevölkerungsstruktur deutlich weniger Menschen als in anderen Bundesländern. Das geht aus einer Antwort von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion hervor, die unserer Redaktion vorliegt. „Im Ländervergleich weist NRW im Jahr 2020 die niedrigste rohe und die niedrigste altersstandardisierte Rate an Suizidsterbefällen auf“, schreibt der Minister. Bei dem Vergleich der Fälle der Länder kommt ein Verfahren zum Einsatz, wonach die die Mortalitätsraten der einzelnen Altersgruppen in der beobachteten Bevölkerung mit den Bevölkerungsanteilen der Standardpopulation gewichtet werden. „Der Vergleich der standardisierten Sterberaten der Länder wird dadurch nicht durch Unterschiede im Altersaufbau der Bevölkerungen beeinträchtigt.“

Insgesamt verzeichnet die Statistik des Landeszentrums Gesundheit für einen Rückgang gegenüber dem Jahr 2015 mit 116 Personen. Die sogenannte Suizidmortalistätsrate, also die Zahl der Selbstmorde pro 100.000 Einwohner lag bei 7,56. Wie das Gesundheitsministerium erklärte, nahmen sich Männer deutlich häufiger das Leben als Frauen: „75 Prozent der Selbsttötungen wurden im Jahr 2020 von Männern begangen.“ Eine weitere Erkenntnis: Das Suizidrisiko steigt mit dem Alter. Die meisten Selbstmorde gab es bei den Frauen in der Altersgruppe der 55- bis 59-Jährigen, bei den Männern in der Altersgruppe von 50- bis 54 Jahren.

Der Minister räumt an anderer Stelle aber ein, dass die Statistik unvollständig sei. So schreibt er: „Da für die Todesursachenstatistik eine Zusammenführung von Informationen aus multiplen Quellen notwendig ist – und eine Vielzahl an Todesursachen auch trotz Ermittlungen ungeklärt bleiben –, kann von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden.“ Zahlen für das vergangene Jahr sollen nach Angaben des Ministeriums Anfang 2023 vorliegen.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Rodion Bakum sagte unserer Redaktion: „Die Suizidrate ist dank einer guten Versorgung in NRW auch im bundesweiten Vergleich besonders niedrig. Allerdings befürchten wir ein großes Dunkelfeld oder gar eine verzögerte ,soziale Pandemie' aufgrund von Corona. Wir wissen schließlich, dass die seelische Belastung während der Corona-Pandemie größer wurde. Uns irritiert deshalb sehr, dass uns die Landesregierung keine Zahlen für das Jahr 2021 geliefert hat. Da muss sie schnellstmöglich für Klarheit sorgen.“

Aktuellere Zahlen hat dagegen die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Deren Vorstand Eugen Brysch sagte unserer Redaktion: „Im Jahr 2021 nahmen sich 9215 Menschen in Deutschland das Leben. In Nordrhein-Westfalen sind es 1334 Einzelschicksale.“ In den letzten Jahren sei kein Anstieg der Suizidrate in Deutschland zu verzeichnen. „Besorgniserregend ist jedoch, dass die über 60-Jährigen mit 52 Prozent bundesweit überproportional an den Selbsttötungen vertreten sind. Beruhigen kann auch nicht, dass in NRW diese Altersgruppe mit 44 Prozent an den Suiziden gezählt wird. Denn zwischen Rhein und Weser nehmen die über 60-Jährigen 29 Prozent an der Gesamtbevölkerung ein.“ Brysch kritisierte, dass Bund und Länder keine Initiative zeigten, die Suizidprävention der alten Menschen schwerpunktmäßig zu fördern. „Es fehlen ernsthafte Anstrengungen, die Suizidrate älterer Menschen zu senken. Ziele werden hier nicht vereinbart.“ Deshalb liefen Präventionsangebote zu oft an den alten Menschen vorbei. „Gerade die aufsuchende Depressionshilfe muss sowohl in NRW als auch im Bund ausgebaut werden.“ Lange Wartezeiten seien an der Tagesordnung. Mobile Therapieplätze seien Mangelware. „Die Maßnahmen müssen endlich abgestimmt und langfristig finanziert werden“, sagte Brysch und warnte zugleich: „Während sich die Therapeuten in den lukrativen Speckgürteln tummeln, trocknet der ländliche Bereich aus. Selbst für eine nationale Koordinationsstelle fehlen die 15 Millionen Euro jährlich. Nordrhein-Westfalen könnte hier mit vier Millionen Euro voranschreiten.“

Auch SPD-Gesundheitspolitiker Bakum verlangte einen stärkeren Einsatz für ältere Menschen: „In Zeiten zunehmender Einsamkeit brauchen wir gerade für Menschen im hohen und höchsten Alter mehr Maßnahmen für Suizidprävention. Vor allem in der Weihnachtszeit sind Nächstenliebe und Solidarität die beste Medizin für die seelische Gesundheit."

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