NRW-Verfassungsschutz Warum junge Frauen im Netz für Salafisten werben

Düsseldorf · Die Rolle von Frauen im Extremismus wird oft unterschätzt. Doch dem NRW-Verfassungsschutz bereiten sie zunehmend Kopfzerbrechen, vor allem im Salafismus. Die Landesregierung will das Problem bundesweit thematisieren.

Verschleierte Frauen nehmen im Jahr 2014 an einer Kundgebung des radikalen Salafistenpredigers Pierre Vogel teil.

Verschleierte Frauen nehmen im Jahr 2014 an einer Kundgebung des radikalen Salafistenpredigers Pierre Vogel teil.

Foto: dpa

Ein 15-jähriges Mädchen zückt ein Steakmesser, geht auf einen Polizisten am Hauptbahnhof in Hannover los und sticht ihn nieder. Wie später bekanntwird, soll es sich um einen geplanten Anschlag gehandelt haben. Safia S. gehörte der salafistischen Szene an und soll zu der Tat per Messengerdienst von einem IS-Mitglied namens "Leyla" gedrängt worden sein.

Der Fall erregte im September 2016 großes Aufsehen. Ein Mädchen als Attentäter und dann auch noch so jung? Das allgemeine öffentliche Verständnis von Frauen im Salafismus ging bis dato von einer passiven Rolle aus. Doch Experten beobachten seit Längerem, dass Frauen im Salafismus wie auch in anderen extremistischen Gruppierungen längst nicht nur Statisten oder Mitläuferinnen sind. Ihre Rolle ist nicht zu unterschätzen - egal ob es sich um Rechts-, Linksextremismus oder um "auslandsbezogenen Extremismus" handelt, wie es im Fachjargon der Verfassungsschützer heißt.

Wichtige Rolle für die neue Generation

"Frauen und Mädchen spielen bei der Verbreitung extremistischer Propaganda, der Vernetzung der salafistischen Szene und beim Transfer der Ideologie an andere Frauen und an die Kinder in salafistischen Ehen eine wichtige Rolle und sollen dadurch eine neue Generation des Salafismus formen", sagte NRW-Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU). Dieses Rollenverständnis weise Parallelen zu rechtsextremistischen Ideologien auf.

Am stärksten sind Frauen im Linksextremismus vertreten, ihr Anteil liegt dort bei 30 Prozent, wie Burkhard Freier, Leiter des NRW-Verfassungsschutzes, im Düsseldorfer Landtag sagte. Attraktiv sei daran für sie, dass es keine Zuweisung typisch weiblicher Rollenmuster gebe. So übernähmen Frauen dort wie etwa bei den Protesten gegen den Braunkohleabbau im Hambacher Forst häufig steuernde Funktionen. Das spiegelt sich auch in der Gewaltbereitschaft wider: Immerhin 24 Prozent der Gewalttäter im Linksextremismus sind demnach weiblich.

"Hüterin von Volk und Heimat"

Doch auch im Rechtsextremismus sind Frauen trotz der frauenfeindlichen Ideologie sehr präsent. Sie stellen ein Drittel der Wähler rechtsextremer Parteien wie der NPD und ein Viertel der Parteimitglieder. Zwar beteiligen sie sich unterproportional häufig an Gewalttaten. Aber jede zehnte rechtsextreme Straf- oder Gewalttat wird dem NRW-Verfassungsschutz zufolge von einer Frau verübt.

Das rückwärtsgewandte Frauenbild in der Partei schreibt ihnen dabei nach innen die Rolle der "Hüterin von Volk und Heimat" zu. Nach außen hin sind Frauen nützlich, weil sie zu einem weicheren Image beitragen. So gelinge es ihnen leichter, Räume für Veranstaltungen anzumieten und neue Mitglieder zu werben, sagt Freier.

Unter allen extremistischen Gruppierungen aber bereitet der Salafismus dem NRW-Verfassungsschutz die größten Sorgen. Frauen wenden sich dem Salafismus zu, weil sie dort als Mutter und Ehefrau idealisiert, aber auch als Kämpferinnen im Dschihad heroisiert würden, wie Freier erläutert. Manchmal sei es auch die Angst, nicht geheiratet zu werden, die Frauen in die Arme der Extremisten treibe, manchmal der Protest gegen ein als zu weltlich empfundenes Elternhaus. Paradoxerweise sähen sie sich im Salafismus mit den Männern eher gleichgestellt, weil die harten Vorschriften und Regeln nicht nur Frauen beträfen, so Freier.

Bis zu 50 Frauen im Netz für Salafisten aktiv

Öffentlich treten die Salafistinnen kaum in Erscheinung. Ihr Betätigungsfeld ist das Internet. Dort vermitteln sie den salafistisch geprägten Lebensstil und die dahinter stehende Ideologie. Ihre Aktivitäten im Netz reichen laut Verfassungsschutz von zunächst harmlosen Tipps für den Alltag, etwa Halal-Rezepten, bis hin zu Chats zur Eheanbahnung, wo sie immer jüngere Frauen unter anderem an IS-Kämpfer vermittelten. Auch propagieren sie demzufolge die Mehr-Ehe, um für möglichst zahlreichen Nachwuchs zu sorgen. 40 bis 50 netzwerkende Salafistinnen gebe es allein in NRW.

Mit Slogans wie "Legenden bringen Legenden zur Welt, Feiglinge bringen Feiglinge zur Welt" oder "Wir erziehen die Schlächter von morgen" motivierten sie im Netz andere Frauen, möglichst viele Kinder zu bekommen und diese früh zu radikalisieren, führt Verfassungsschützer Freier aus. Kinderlieder seien tabu. In Mathe-Büchern werde Rechnen nicht mit Äpfeln und Birnen geübt, sondern mit Kalaschnikows und Handgranaten. "Und wenn das ganze Umfeld erst einmal salafistisch ist, wird es für uns schwierig, da noch hineinzukommen", sagt Freier. Der Verfassungsschützer rechnet künftig mit einer starken Zunahme von radikalisierten Frauen und Kindern, die aus den Kriegsgebieten zurückkehren.

Gezielte Programme gefordert

Mit Präventions- und Aussteigerprogrammen versucht die Landesregierung gegenzusteuern. Im Programm "Wegweiser" etwa ist jeder fünfte Teilnehmer ein Mädchen. Meist machen Lehrerinnen, Schwestern oder Mütter darauf aufmerksam, wenn sich jemand in ihrem Umfeld radikalisiert. Zum größten Teil aber verlässt sich der Verfassungsschutz auf Beobachtungen im Netz. Freier sieht noch Forschungsbedarf, um mehr darüber zu erfahren, warum Frauen in den Salafismus abdriften. Zumal sie der Szene durchschnittlich länger treu blieben als Männer, weil sie aus Überzeugung handelten.

Ministerin Scharrenbach will nun bundesweit auf das Thema aufmerksam machen. Auf der nächsten Gleichstellungskonferenz der Länder Anfang Juni bringt sie einen Beschlussvorschlag ein mit dem Ziel, dass Bund und Länder in allen Programmen zur Demokratieförderung, zur Extremismusprävention und zum Ausstieg aus extremistischen Szenen immer auch die spezifische Rolle von Frauen im Blick haben. Scharrenbach: "Wir brauchen Programme, die gezielt Mädchen und junge Frauen ansprechen."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort