Gastbeitrag zur NRW-Landtagswahl Koalitions-Lotterie in Düsseldorf

Düsseldorf · Die Wähler entscheiden nicht über die Zusammensetzung der kommenden Landesregierung in Düsseldorf. Diese Wahl treffen alleine die Parteien. Je koalitionsoffener sie vor und nach dem Wahltag agieren, desto wahrscheinlicher tragen sie die neue Regierung.

 Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann (Grüne) bei einer Landtagssitzung in Düsseldorf (Archivbild).

Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann (Grüne) bei einer Landtagssitzung in Düsseldorf (Archivbild).

Foto: dpa, rwe tba

Die Konstellationen für mögliche Koalitionen sind komplizierter geworden, da jenseits der Großen Koalition entlang der tradierten parteipolitischen Lager keine Bündnisse kalkulierbar mehrheitsfähig sind. Die Verfassung von NRW schreibt vor, wann sich der neue Landtag zu konstituieren hat, nicht jedoch, wann der Ministerpräsident zu wählen ist. Zwischen drei und sechs Parteien haben Chancen auf den Einzug in den Landtag. Unter diesen spektakulär offenen Rahmenbedingungen ist eine absolute Mehrheit für die SPD ebenso denkbar wie eine große Koalition unter Führung der CDU. Umso wichtiger ist es zu wissen, was mit meiner Stimme am Ende passiert.

 Unser Gastautor Karl-Rudolf Korte.

Unser Gastautor Karl-Rudolf Korte.

Foto: Karlheinz Schindler

Die tragischen Konsequenzen dieses politischen Gewissheitsschwundes tragen die kleineren Parteien, die auf politische Eigenständigkeit pochen und somit in der Regel keine Koalitionsaussagen treffen. Der Preis ihrer Eigenständigkeit besteht in politischer Einsamkeit, die beim Wähler auf wenig Gegenliebe stößt. Ohne eine reale Machtperspektive (wie beispielsweise Rot-Grün, Ampel, Jamaika etc.) entfällt auch eine öffentliche thematische Präsenz. Ohne diese Präsenz sinken die Wahlaussichten — das klingt nach Machtabstiegs-Kreislauf. Wähler lieben Favoriten. Sie sind Fans des Erfolgs. Das kann sich auf die Fünf-Prozent-Hürde ebenso beziehen wie auf Koalitionsträume.

Abstand zwischen Volksparteien und Milieu-Parteien nimmt zu

Wer sich zukünftig nicht nur rechnerische, sondern belastbare politische Mehrheiten sucht, muss sich auf dem Koalitionsmarkt tummeln. Alles deutet darauf hin, dass wir als Wähler nur mit negativen Koalitionsaussagen der Parteien konfrontiert werden. Die Union schließt Bündnisse mit der AfD und Linkspartei aus. Die SPD negiert eine Zusammenarbeit mit der Linken und der AfD. Die FDP erteilt der Ampel (Rot-Gelb-Grün) eine Absage, nicht jedoch Jamaika (Schwarz-Gelb-Grün) oder einer sozial-liberal Regierung.Die Grünen verweigern sich Jamaika. So gleicht der Wahlzettel einer Koalitions-Lotterie.

Der Abstand zwischen den beiden wieder großen Volksparteien und den anderen kleineren Milieu-Parteien nimmt zu. Die Protestparteien (Linke, AfD, Piraten) marginalisieren sich unter dem Druck, der aus dem Sog der Mitte entsteht. Für viele Wähler ist mit dem wahrgenommenen Erstarken der SPD eine Alternative im System entstanden, ohne eine namentlich alternative Partei wählen zu müssen.

Die Anzahl der Koalitionswähler steigt auch in NRW. Sie teilen die Stimmen zwischen zwei Parteien auf. Eine Erststimme für die Wahl eines Wahlkreisabgeordneten und eine Zweitstimme für die Wahl einer Landesliste einer Partei, die davon abweicht. Über ein Viertel der Wähler sind mittlerweile zweckrationale Koalitionswähler. Die Gründe für das Stimmensplitting sind vielfältig.

Aber mehrheitlich drückt sich durch die Aufteilung für zwei verschiedene Parteien ein Koalitionswunsch aus. Nach der Sondierungsphase der Parteien im Mai und Juni könnten die offiziellen Koalitionsverhandlungen zügig beginnen. Falls die FDP bei der Regierungsbildung eine Rolle spielen sollte, könnten sich die Verhandlungen bis zur Bundestagswahl im September hinziehen, um für die FDP auch im Bund alle Optionen offenzuhalten.

Am Ende siegt eine Koalition von Berechenbarkeit und Ordnung

Politische Arithmetik besteht nicht in der Addition von Wählerstimmen, sondern in der Kombinierbarkeit politischer Absichten. Und die sind in der politischen Mitte vielfältig gestaltbar. Denn gerade ungewöhnliche Koalitionen kommen nicht in erster Linie aufgrund von politischen Schnittmengen zustande. Nicht die Logik von Lagern und Ämtern führt dann zur Bildung von Koalitionen, sondern das Persönliche der Verhandlungspartner.

Dabei dreht es sich nicht um Sympathie zwischen den Verhandlungsführern, sondern andere Kategorien stehen im Zentrum: Vertrauen, Verlässlichkeit, Wertschätzung, Integrität, Respekt. Das Kennenlernen auf Bewährung wird in den ersten Sondierungsgesprächen auf Belastbarkeit ausgetestet. Wächst das persönliche Vertrauen, sind viele Koalitionsvarianten denkbar.

Häufig entstehen zeitversetzte Bündnisse, dessen politisches Mantra in der Vergangenheit wurzelt. Sie wirken dann wie aus der Zeit gefallen, was wohl für Schwarz-Grün oder auch Rot-Rot gelten würde. Diese Koalitionen wären Mentalitätsrestaurationen. Um die überwölbenden Fragen nach Identität und Sicherheit in diesem Wahlkampf zu befrieden, siegt am Ende eine Koalition von Berechenbarkeit und Ordnung — sicherlich keine, die für stürmischen Reformeifer oder Wandlungen steht.

Die Wähler spielen nur eine marginale Rolle

Am Ende könnten auch aus vermeintlichen Verlierern Sieger werden. Dann nämlich, wenn neue Formeln der Macht zur Regierungsbildung ausprobiert werden: Minderheitsregierungen oder Vier-Parteien-Regierungen mit einem moderierenden Ministerpräsidenten welcher erstmals der kleinsten Fraktion entstammt. Die Qualität der Zusammenarbeit schwankt in Koalitionen zwischen Stillhalte-Abkommen, Zugewinn-Gemeinschaften und den Kategorien der Schadensbegrenzung. Im Jahr der Reformation eignet sich auch der Begriff der "versöhnten Verschiedenheit", die eine Gestaltungsmehrheit antreiben könnte.

Die Wähler selbst spielen bei allen Modellen einer zukünftigen Regierung nur eine marginale Rolle. Aber das ist der Preis, wenn der Parteienwettbewerb bunter, vielgestaltiger, mobiler und koalitionsoffener geworden ist.

Karl-Rudolf Korte ist Politikwissenschaftler und lehrt an der Universität Duisburg-Essen. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf der Analyse von Wahlen.

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