Neues Buch über NRWs Regierungschefs Von Arnold bis Laschet – was die NRW-Ministerpräsidenten eint

Düsseldorf · Elf Autoren, elf Porträts: Das Buch „Heimat und Macht“ erzählt die Geschichte des Landes aus dem Blickwinkel seiner Ministerpräsidenten. Einen roten Faden der NRW-Regierungsgeschäfte zeichnet das Buch nicht. Aber es räumt mit etlichen Vorurteilen auf.

Die Ministerpräsidenten von NRW seit 1946
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Die bisherigen Ministerpräsidenten von NRW

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Foto: dpa/Michael Kappeler

Politiker haben einen schlechten Ruf. Im eisernen Vorurteilsvorrat der Wähler gelten sie als unehrlich, egoistisch, geltungs- und streitsüchtig. Die erschreckend stabilen Ergebnisse entsprechender Umfragen zeugen von enormer Politikverdrossenheit. Aber man kann die Statistiken auch ganz anders lesen: Offensichtlich macht sich das Gros der Wähler gar nicht die Mühe, sich auch einmal mit dem Menschen auseinanderzusetzen, der das politische Amt bekleidet. Ein guter Anlass, das zu ändern, ist das soeben erschienene Buch „Heimat & Macht“.

Die knapp 350 Seiten starke Geschichte von Nordrhein-Westfalen, des wichtigsten deutschen Bundeslandes, fußt neben zwei übergreifenden Essays auf politischen Porträts der elf NRW-Ministerpräsidenten. Zehn Männer und mit Hannelore Kraft (SPD) auch eine Frau, die das Land mal nur 292 Tage (Rudolf Amelunxen, Zentrum) und mal 20 Jahre lang (Johannes Rau, SPD) regiert haben. Die Autoren, darunter Historiker und renommierte Journalisten, sparen dabei nicht mit Kritik. Mal weisen sie den Ministerpräsidenten Fehleinschätzungen nach, mal fragwürdigen Fintenreichtum und oft auch mangelnde Courage gegenüber der eigenen Partei. Und doch macht das ebenso kundige wie unterhaltsam geschriebene Buch eine unausgesprochene Gemeinsamkeit von allen Porträtierten sichtbar: ihren Idealismus.

Sie mögen das Land weitsichtig wie Karl Arnold (CDU, 1947 bis 1956) oder eher reaktiv wie Heinz Kühn (SPD, 1966 bis 1978) regiert haben. Sie mögen intellektuell herausragend gewesen sein wie Peer Steinbrück (SPD, 2002 bis 2005) oder eher handfest wie Wolfgang Clement (damals noch SPD, 1998 bis 2002). Aber nicht einer von ihnen hat die gängigen Politiker-Klischees erfüllt, war faul, allein auf sich bedacht oder anderweitig charakterschwach. Vielleicht hat niemand von ihnen den Hannah-Arendt-Satz „Politik ist angewandte Nächstenliebe zur Welt“ öfter zitiert als Johannes Rau. Aber danach gehandelt haben sie wohl alle, wenn auch nicht alle mit gleicher Begabung.

Das Zerrbild vom skrupellosen Berufspolitiker ist nicht das einzige Vorurteil, mit dem das Buch aufräumt. Ein anderes ist das vom „roten“ Bundesland NRW. Das Gerede von NRW als der „Herzkammer der Sozialdemokratie“ entlarvt Multi-Ex-Chefredakteur Ulrich Reitz (RP, WAZ, Focus) als „PR-Coup der SPD, den die CDU meistens noch medial unterstützt, damit ihre Wahlsiege sozusagen in Feindesland dann umso glanzvoller ausfallen.“ Zwar stellte die SPD in ganzen 43 Jahren der gut 70-jährigen Landesgeschichte den Regierungschef. Trotzdem war die CDU die meiste Zeit über stärkste Partei im NRW-Parlament. Die SPD war nur flexibler bei der Wahl ihrer Koalitionspartner: Mal half die FDP der SPD in die Regierung und mal die Grünen. Bezieht man die Kommunal-, Bundestags- und Europawahlen mit ein, hat NRW bisher sogar überwiegend schwarz gewählt.

Auch das klassische Rechts-Links-Schema der politischen Farbenlehre, das Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler einmal als „politische Gesäßgeografie“ bezeichnet haben soll, scheint in Nordrhein-Westfalen nicht zu gelten. Von den vier CDU-Ministerpräsidenten, die bislang hier regierten oder regieren, stand mindestens die Hälfte so weit links im Spektrum ihrer Partei, dass ihre Politik nicht weniger sozialdemokratisch war als die von betont wirtschaftsaffinen SPD-Ministerpräsidenten wie Wolfgang Clement und Peer Steinbrück.

Da war zum Beispiel Karl Arnold, der NRW zum „sozialen Gewissen“ der Republik machen wollte und keinem Konflikt mit Ex-Kanzler Konrad Adenauer (CDU) aus dem Weg ging. Arnold hielt Adenauer für ausgesprochen rechts. Die FDP lehnte er noch stärker ab. Dafür saßen an Arnolds erstem Kabinettstisch zwei kommunistische Minister, nämlich Hugo Paul und Heinz Renner (beide KPD). Und da war auch Jürgen Rüttgers (CDU), der herzlich mit den Grünen flirtete und sich nach der Jahrtausendwende gegen den damals konservativ-liberalen Kurs „seiner“ Parteivorsitzenden Angela Merkel stemmte. Wie heute die SPD forderte Rüttgers schon damals eine Generalrevision der Hartz-Gesetze ein. Als wäre er ein Bilderbuch-Sozialdemokrat, hatte Rüttgers dabei die Job-Opfer des Strukturwandels im Blick. Nordrhein-Westfalen hatte damals deutlich mehr Langzeitarbeitslose zu verkraften als die meisten anderen Bundesländer.

Gab es NRW-spezifische Probleme, vor denen alle Ministerpräsidenten des Landes gleichermaßen standen? Diese Frage beantwortet das Buch nicht explizit. Vielleicht auch, weil es einen solchen „roten Faden für NRW-Regierungen“ nie gab. Dafür ist die Dynamik dieses zur Hälfte katholischen, zur Hälfte evangelischen Landes zu groß, das seit 70 Jahren Einwanderungsland ist, das mal Wirtschaftsmotor und mal Sorgenkind der Republik war, das auf der einen Seite rund 150 mittelständische Weltmarktführer zählt und auf der anderen Seite nicht in der Lage ist, Traditionskonzerne wie ThyssenKrupp beisammen zu halten.

Aber einer gemeinsamen Herausforderung standen die NRW-Ministerpräsidenten trotzdem allesamt gegenüber: Die Macht des mit Abstand bevölkerungsreichsten und wichtigsten deutschen Bundeslandes gegenüber dem Bund zu verteidigen. Der Historiker Guido Hitze, der gerade am Aufbau eines neuen Museums zur Landesgeschichte beteiligt ist, sagt: „In den ersten zehn bis zwölf Jahren ging es um die Frage, wie die Kraft aus dem damals boomenden NRW auf den Rest der Republik übertragen werden kann.“ So habe Arnold hartnäckig mehr Mitsprache im Bund eingefordert, während Adenauer einiges unternahm, um genau das zu verhindern.

Ein Gegenbeispiel ist Hannelore Kraft (SPD), die „nie, nie als Kanzlerkandidatin“ antreten wollte. Die bislang einzige Frau an der Spitze einer NRW-Regierung fremdelte so sehr mit dem Berliner Polit-Zirkus, „dass NRW unter ihrer Regentschaft sogar die Verhandlungsführerschaft beim enorm wichtigen Streit um den Länderfinanzausgleich an das kleine Hamburg abgab“, sagt Hitze. Erklärtes Ziel ihres Nachfolgers Armin Laschet (CDU) ist, diese von ihm als „Selbstverzwergung“ empfundene Entwicklung zu korrigieren. „Wir wollen bei der Lösung der großen Fragen unserer Zeit zu einem Impulsgeber in der deutschen und europäischen Politik werden. Dafür bringen wir unser Gewicht in Berlin und Brüssel stärker ein“, ließ Laschet auf die erste Seite seines Koalitionsvertrages mit der FDP schreiben.

Den gegenwärtigen Ministerpräsidenten Laschet beschreibt der Journalist Stefan Willeke als einen immer schon Unterschätzten, „der auf Ausgleich bedacht ist, statt Fronten zu eröffnen“. Und mit Blick auf den Wahlkampf 2017 heißt es: „Bei ihm sah alles so unambitioniert aus, so nebensächlich, obwohl er sich die ganze Zeit aufrieb.“ Vor der Wahl schien Laschet klar an der persönlich sehr beliebten Hannelore Kraft zu scheitern. 14 Monate später wurde er bereits als Kanzler-Nachfolger von Angela Merkel gehandelt.

Seine Kabinettssitzungen hält Laschet auf denselben Stühlen ab, auf denen schon die NRW-Minister der 1950er-Jahre saßen. Sein Diät-Rezept „Schlank im Schlaf“ scheitert inzwischen daran, dass er fast täglich bis tief in die Nacht arbeitet. Das Laschet-Kapitel ist reicher an Anekdoten und ärmer an Analyse als viele andere Kapitel des Buches - was auch daran liegen mag, dass der Politiker Laschet und seine Vision auch zur Mitte der Legislaturperiode hin noch immer kaum greifbar sind. Einerseits gibt er mit seinem Innenminister Herbert Reul (CDU) an der Seite den harten Sheriff, der das Verbrechen mit mehr Polizei und „Null Toleranz“-Parolen eindämmen will. Andererseits ist Laschet der Versöhnliche, der im Zweifel auch mit den Grünen regieren könnte. „In einer Zeit, in der Empörung und Wut das öffentliche Leben immer stärker bestimmen, wirkt Laschet wie ein Relikt aus einer unbekümmerten Vergangenheit“, schreibt Willeke.

Man kann dasselbe Phänomen auch kritischer beschreiben: Erst kürzlich stürzten Laschets Beliebtheitswerte in einer Umfrage um dramatische elf Prozent ab. Damit ist er der zur Zeit unpopulärste CDU-Ministerpräsident Deutschlands. Experten sehen den Einbruch von Laschets Beliebtheitswerten als Quittung für sein unklares politisches Profil.

Andererseits kommt Laschet im direkten Kontakt mit den Bürgern fast überall und immer gut an. Die Menschen mögen den jovialen Rheinländer, der auch mal über sich selbst lachen kann. Im direkten Kontakt ähnelt die Wirkung von Laschets gewinnender Art der seiner Amtsvorgängerin, der „Kümmerin“ Hannelore Kraft. Trotzdem ist Laschet in der jüngsten Umfrage abgestürzt. Trotzdem hat Kraft die Wahl verloren.

 Vor der Villa Horion in Düsseldorf, wo heute Mittag das Buch über die NRW-Ministerpräsidenten vorgestellt wird, steht eine Johannes-Rau-Skulptur. Der Sozialdemokrat regierte 20 Jahre lang in NRW - länger als alle anderen Ministerpräsidenten.

Vor der Villa Horion in Düsseldorf, wo heute Mittag das Buch über die NRW-Ministerpräsidenten vorgestellt wird, steht eine Johannes-Rau-Skulptur. Der Sozialdemokrat regierte 20 Jahre lang in NRW - länger als alle anderen Ministerpräsidenten.

Foto: Endermann, Andreas

Was die Eingangsthese zu bestätigen scheint: Aus der Ferne betrachtet werden Politiker fast immer zum Opfer von Vorurteilen gegen ihren Berufsstand. Im persönlichen Umgang sind sie als Menschen erlebbar, die sich für andere Menschen interessieren und einsetzen. Den NRW-Ministerpräsidenten ein paar Stunden Buchlektüre zu widmen, ist keine abwegige Idee.

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