In den 50er bis 70er-Jahren NRW-Landtag arbeitet Misshandlungen von Verschickungskindern auf

Düsseldorf · Hunger, Schläge, Demütigungen – für Zehntausende Kinder wurden Kinderkuren besonders in den 50er bis 70er-Jahren zu einem Trauma, das sie ihr Leben lang verfolgte.

 Privatfoto aus dem Jahr 1954 zeigt Christoph Sandig aus Leipzig, Jahrgang 1946, in einer Kinderheilstätte in Westdeutschland. (Archivfoto)

Privatfoto aus dem Jahr 1954 zeigt Christoph Sandig aus Leipzig, Jahrgang 1946, in einer Kinderheilstätte in Westdeutschland. (Archivfoto)

Foto: picture alliance/dpa/Christoph Sandig Privatfoto/dpa

Im Düsseldorfer Landtag wollten am Dienstag erstmals Betroffene, Politiker und Vertreter ehemaliger Trägerorganisationen zu einem Runden Tisch zusammenkommen, um die Misshandlungen der sogenannten Verschickungskinder aufzuarbeiten.

„Es geht darum, dass das, was viele Kinder in den 50er, 60er, 70er-Jahren erlebt haben, aufgearbeitet wird“, sagte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bei der Eröffnung einer Kunstausstellung im Landtag, die sich um das Leid der einstigen Kurkinder dreht. Auch die damaligen Träger müssten benannt werden, deren Kuren „zum Albtraum“ für manche Menschen geworden seien. Aber es müsse auch gefragt werden: „Wo war eigentlich der Staat?“ Laumann forderte angesichts der Misshandlungen sowohl von damaligen Heimkindern als auch Verschickungskindern „eine große Sensibilität für Gewalt in Betreuungssystemen“.

Der Verein Verschickungskinder fordert neben einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Kinderkuren die Schaffung eines Therapiefonds, aus dem Behandlungen für Langzeiterkrankte finanziert werden. „Die Langzeitfolgen für Mitbetroffene sind unermesslich“, sagte der Vorsitzende Detlef Lichtrauter. Die Betroffenen stellen aber keine finanziellen Forderungen. „Wir erwarten Antworten auf die Fragen nach Ursachen von systematischer Gewalt und von schwarzer Pädagogik, die über vier Jahrzehnte angewandt wurden“, sagte Lichtrauter. Die Kontrolle bei den Kinderkuren habe „nahezu kollektiv versagt“.

Der Runde Tisch unter der Leitung der ehemaligen Opferschutzbeauftragten Elisabeth Auchter-Mainz soll etwa viermal im Jahr zusammenkommen. Am Ende des Aufarbeitungsprozesses müssten auch „sicher Maßnahmen stehen“, sagt Minister Laumann. Beteiligt sind unter anderem die Landschaftsverbände, Caritas und Diakonie, Ärztekammern, das Deutsche Rote Kreuz und der GKV-Spitzenverband.

Laut einer Studie des NRW-Gesundheitsministeriums wurden allein in Nordrhein-Westfalen zwischen 1949 und 1990 Fahrten für über 2,1 Millionen Kinder in Kur- oder Erholungsheime organisiert. Die Zeitzeugenberichte wie Schläge, Essens- und Schlafentzug oder Essenszwang, Isolierung und Demütigung in den Kurheimen bezeichneten die Autoren der Studie grundsätzlich „als in hohem Maße glaubwürdig“.

Für alle Bundesländer der damaligen Bundesrepublik wird die Zahl der in Kuren verschickten Kinder nach unterschiedlichen Berechnungen auf sechs bis acht Millionen oder sogar auf zwölf Millionen geschätzt. NRW nimmt mit der Aufarbeitung eine Vorreiterrolle ein.

(albu/dpa)
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