Generalkonsulin Iryna Shum „Dieser Krieg kann von einer Person gestoppt werden“

Interview | Düsseldorf · Nordrhein-Westfalen und die ukrainische Oblast Dnipropetrowsk wollen eine Partnerschaft eingehen. Die Generalkonsulin der Ukraine in Düsseldorf über konkrete Hilfe und die Macht der Hoffnung.

Iryna Shum, Generalkonsulin der Ukraine in Düsseldorf, in ihrem Büro.

Iryna Shum, Generalkonsulin der Ukraine in Düsseldorf, in ihrem Büro.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Frau Shum, NRW und die Region Dnipropetrowsk in der Ukraine wollen eine Partnerschaft eingehen. Was ist das für eine Region?

Shum Dnipropetrowsk ist in der Ukraine ein sehr wichtiges Gebiet, das zentral im Osten des Landes liegt. Es hat 5,3 Prozent der Fläche der Ukraine, 7,5 Prozent der Einwohner – das sind mehr als drei Millionen Menschen – aber zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes und ein Fünftel der Industrie des Landes. Die Region ist reich an Bodenschätzen, es gibt Schwerindustrie, Forschung, viele IT-Unternehmen, Universitäten mit technischen Schwerpunkten.

Warum wollen gerade diese beiden Regionen sich verbinden?

Shum Wir wollten ein ukrainisches Gebiet wählen, das dem Land NRW mit Blick auf die Zukunft in einer Verbindung etwas anzubieten hat. Beide Regionen entwickeln sich in ähnlichen wirtschaftlichen Bereichen. Dazu kommt der glückliche Zufall: Die größte Stadt in NRW, Köln, und die Hauptstadt des Gebietes, Dnipro, haben schon eine Partnerschaft abgeschlossen.

Wie ist das Leben derzeit in Dnipropetrowsk?

Shum Einige Städte wie Nikopol sind unter ständigem Beschuss. Die Hauptstadt Dnipro liegt zwar im Zentrum der Region, aber im Januar ist auch dort ein Hochhaus durch einen Raketenangriff getroffen worden, es gab 46 Tote und 80 Verletzte. Weiter kommen dort viele Binnenflüchtlinge aus den Städten im Osten an, und bis zum Ende des Jahres 2022 sind Dutzende Unternehmen nach Dnipropetrowsk umgesiedelt und produzieren dort weiter.

Es gibt schon jetzt Hilfslieferungen von NRW in die Region.

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Shum Die erste war im Dezember: 370 Generatoren. Ab Mitte Oktober haben die Russen die zivile Infrastruktur, besonders die Anlagen der Energieversorgung, massiv attackiert. Das Stromnetz war stark beschädigt und die Menschen hatten stundenlang kein Licht, Heizung und Wasser. Damals wurden überall sogenannte „Punkte der Unbesiegbarkeit” eingerichtet, an denen man sich aufwärmen, Wasser bekommen oder das Handy aufladen konnte. Die Generatoren kamen gerade, als sie benötigt wurden. Das war großartig. Gerade wurde ein weiterer Transport verabschiedet – mit größeren Generatoren für Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten oder Krankenhäuser.

Welche Hoffnungen verknüpft man in der Ukraine mit dem Zusammenschluss mit NRW?

Shum Er hat große praktische Bedeutung. Zuerst geht es um schnelle, gezielte Nothilfe. Später um den Wiederaufbau: NRW will seine Wirtschaft dazu aufrufen, dabei zu helfen. Und es geht um Unterstützung bei Reformen, die wir auf unserem Weg in die Europäische Union brauchen. Aber die Idee ist, dass beide Seiten von dem Austausch lernen. Bei der Digitalisierung oder beim Tempo, mit denen Veränderungen oder Instandsetzungen angegangen werden, könnte die Ukraine Vorbild sein. Krankenhäuser in NRW haben Interesse zu erfahren, mit welchen Herausforderungen Ärzte in Dnipro konfrontiert sind. Schulen nehmen Kontakt miteinander auf. Und die Ukraine hat im IT-Bereich viel anzubieten und kann Leistungen nach Deutschland verkaufen.

NRW ist das erste deutsche Bundesland, das so eine Partnerschaft eingeht. Was bedeutet Ihnen das?

Shum Vor allem zeigt das, dass unsere Partner hier in NRW an uns glauben. Dass sie Zuversicht haben, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Darüber hinaus gibt das Land ein wichtiges Beispiel. Ich bin sicher, dass sich auch die anderen Regionen der Ukraine freuen würden, ein Bundesland in Deutschland als Partnerregion zu gewinnen.

Wie erleben Sie im Moment die Situation der Geflüchteten in NRW?

Shum Viele dachten, dass sie nur für ein paar Wochen herkommen, und sind jetzt schon ein Jahr hier. Die Kinder gehen in die Schule, immer mehr Menschen wollen für sich selbst sorgen und nehmen Arbeit an. Sie rechnen also damit, dass sie länger bleiben. Andererseits haben sie noch den Bezug nach Hause, Kinder besuchen oft immer noch den Online-Unterricht ukrainischer Schulen. Das ist für mich ein Zeichen, dass die Leute ihre Zukunft in der Ukraine sehen. Und das ist auch wichtig, wenn wir über den Wiederaufbau sprechen.

Was denken Sie über das sogenannte „Manifest für Frieden“, die Online-Petition von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer?

Shum Meiner Meinung nach hat dieses Manifest nichts mit Frieden zu tun. Die Verfasserinnen präsentieren diesen Krieg, als wenn es um ein irgendwie umstrittenes Territorium ginge, um das jetzt beide Seiten kämpfen, so dass sie sich eben einigen müssten. Aber so ist das nicht. Russland hat einfach unser unabhängiges souveränes Land angegriffen. Und wir alle wissen aus der Geschichte, dass Zugeständnisse den Appetit des Aggressors vergrößern.

Haben Sie eine Prognose, wann und wie dieser Krieg zu Ende geht?

Shum Dieser Krieg kann von einer Person gestoppt werden, und das ist der russische Präsident Wladimir Putin. Es scheint, dass er dazu nicht bereit ist. Sein Ziel ist die Vernichtung des Landes Ukraine. Dem ukrainischen Volk spricht er das Existenzrecht ab. Von daher kämpft die Ukraine um das Überleben und muss diesen Krieg gewinnen. Es hängt von den Menschen ab, die die Ukraine heute verteidigen, und von der Unterstützung durch unsere Partner mit Militärgerät.

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