„Das regelt nicht der freie Markt“ Heime und Kliniken wollen Leiharbeit in der Pflege beschränken
Düsseldorf · Leiharbeit in der Pflege wird für Kliniken und Heime zum Problem. Sie beklagen hohe Kosten und einen aggressiven Abwerbungskampf um die Mitarbeitenden und fordern, dass die Politik sich einschaltet. Zeitarbeitsfirmen weisen die Kritik zurück.
Träger von Altenpflegeeinrichtungen und Kliniken in NRW fordern drastische Einschränkungen für Zeitarbeitsfirmen in ihrer Branche. „Das System der Leiharbeit wird zu einem massiven Problem in der Altenpflege“, sagte Christian Woltering, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft „Freie Wohlfahrtspflege“ in NRW, unserer Redaktion. „Die Politik muss sich die Frage stellen, ob Leiharbeit in diesen Bereichen noch ihre Aufgabe erfüllt oder ob sie nicht einer stärkeren Regulierung bedarf und in der Pflege vielleicht sogar ganz verboten werden müsste.“
Eigentlich sei Zeitarbeit als Lückenbüßer gedacht, etwa um hohe Krankenstände auszugleichen, erklärte Frank Hensel, Sprecher der Diözesan-Caritasverbände in NRW. Wegen des Fachkräftemangels sei sie heute aber keine Ausnahme mehr: „Etwa in der Hälfte aller Einrichtungen der Alten- und Gesundheitspflege ist Leiharbeit an der Tagesordnung.“ Ein Problem dabei: Die Leute der Zeitarbeitsfirmen könnten eigene Vorgaben für ihre Einsatzzeiten machen. „Bitte nie freitags, nie montags, nicht nachts, nicht am Wochenende und nicht an Feiertagen“, beschreibt Hensel. Für die Pflege müsse aber täglich rund um die Uhr gesorgt sein. Also würden die Stammbelegschaften umso mehr belastet.
Zugleich verdienten die geliehenen Kräfte meist mehr als die Festangestellten. Auch die Unternehmen schöpfen noch Gewinn ab, insgesamt sind Zeitarbeitskräfte also für die Einrichtungen enorm teuer: „Arbeitgeber zahlen für die Leiharbeit etwa das doppelte wie für Festangestellte, manchmal mehr, plus noch Vermittlungsprämien.“ Diese Mehrkosten werden, anders als die normalen Sätze der Festangestellten, nicht durch die Krankenkassen aufgefangen. Hensels Fazit: Der Gesetzgeber solle einschreiten. „In einem reglementierten Berufsfeld der Daseinsvorsorge regelt das nicht der freie Markt.“
Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit ist die Leiharbeit bundesweit zwischen 2017 und 2022 um etwa 20 Prozent zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum gab es in der Pflege in NRW einen Anstieg um 80 Prozent. In absoluten Zahlen ist das immer noch überschaubar – es bedeutet einen Anstieg von etwa 6500 auf rund 12.000 Menschen. Aber die Tendenz ist steigend.
Inzwischen komme es vor, dass Angestellte aus der Festanstellung abwanderten oder gar nicht erst hineingingen, schildern Branchenvertreter. „Wir erleben einen harten Kampf um die Fachkräfte zwischen Einrichtungen und Leiharbeitsfirmen“, sagte Christian Woltering von der Freien Wohlfahrtspflege. „In Einzelfällen hört man sogar von aggressiven Abwerbungsmethoden des festangestellten Personals durch Leiharbeitsfirmen, mitunter unmittelbar auf den Parkplätzen vor den Pflegeheimen.“
Die Leiharbeit müsse „sowohl in Bezug auf die Kosten als auch in Bezug auf die Personalakquise deutlicher reglementiert werden“, sagte Matthias Blum, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft NRW (KGNW). „Die KGNW ist mit dem NRW-Gesundheitsministerium im Gespräch, um für die beschriebenen Missstände eine Lösung zu finden.“
Kernforderungen der Träger und Verbände: Die Höhe der Bezahlung für Leiharbeit solle gedeckelt werden, beispielsweise auf das eineinhalbfache Gehalt einer festangestellten Kraft. Die höheren Kosten sollten von den Krankenkassen übernommen werden, und zusätzliche Vermittlungsprämien müssten untersagt oder eingeschränkt werden. Wenn es nach Frank Hensel von der Caritas geht, müssten die Firmen dazu verpflichtet werden, mit ihren Kräften auch unbeliebte Arbeitszeiten abzudecken. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft fordert mittelfristig das Verbot der Leiharbeit in Pflege und ärztlichem Dienst.
Das Gesundheits- und Arbeitsministerium von Karl-Josef Laumann (CDU) reagierte zunächst nicht auf eine Anfrage zum Thema. Zeitarbeitsfirmen weisen die Kritik aber zurück. Durch eine Einschränkung der Zeitarbeit im Gesundheitswesen würden nicht eine Pflegekraft und nicht ein Arzt mehr am Patientenbett stehen, argumentiert der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister. Vielmehr würde sich der Mangel verschärfen: Auf der Suche nach besseren Arbeitsbedingungen würden Fachleute ins Ausland oder in andere Berufe abwandern.
„Wir reduzieren nachweislich die Berufsflucht“, bekräftigte Manuel Fink, Chef von Adecco Medical, einem Marktführer der Zeitarbeit in der Pflegebranche mit Deutschlandzentrale in Düsseldorf. „Wir sind stolz auf das, was wir tun“, betonte er. „Gerade in der Pandemie haben wir sehr viele Menschen unter schwierigsten Bedingungen dorthin gebracht, wo sie gebraucht wurden. Unsere Branche hat ihren Teil dazu beigetragen, wie wir die Pandemie in Deutschland bewältigt haben.“
Auch von Expertenseite gibt es Gegenwind gegen die Positionen der Heime und Kliniken. Fast alle Arbeitgeber könnten bei Arbeitszeiten und Entgelt mit den Personaldienstleistern mithalten, urteilte Pflege-Fachmann und Berater Carsten Hermes: „Sie wollen es nur nicht.“ In der Praxis sei es durchaus möglich, Dienstzeiten erst für das feste Team festzuzurren und die Zeitarbeit in die Lücken zu planen – nur sei das eben noch teurer. Seine Einschätzung: „Der größte Teil derjenigen, die jetzt in der Leiharbeit sind, würde nicht zurück in ein Krankenhaus gehen, wenn sie verboten würde. Die Leute würden ihre Berufsurkunden an den Nagel hängen.“ Hermes ist auch Vorstandsmitglied in der neu gegründeten Pflegekammer NRW.