Nordrhein-Westfalen Streit ums Wahlrecht neu entbrannt

Düsseldorf (RP). Wenige Tage nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen sind die alten Fronten wieder aufgebrochen: War die Abschaffung der Stichwahl falsch, und muss nicht eine Sperrklausel her? SPD-Landeschefin Hannelore Kraft kündigt bereits ein, die Stichwahl im Falle eines Wahlsiegs wieder einzuführen.

Gewinner und Verlierer der Kommunalwahl
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Gewinner und Verlierer der Kommunalwahl

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Frau stößt Frau vom Thron. In Wülfrath (Kreis Mettmann) muss die parteilose Bürgermeisterin Barbara Lorenz-Allendorf den Schreibtisch freimachen für Claudia Panke. Mit nur 26,9 Prozent der abgegebenen Stimmen konnte sich am Sonntag die von der Wählergemeinschaft "Wülfrather Gruppe" unterstützte Bewerberin gegen die Amtsinhaberin durchsetzen.

Der niedrige Stimmenanteil ist der NRW-SPD ein Dorn im Auge. Bezogen auf alle Wahlberechtigten in Wülfrath bedeute dies nämlich, dass sich die neue Bürgermeisterin auf die Zustimmung von nur knapp 14 Prozent berufen könne. Dies sei ein klarer Fall von "fehlender demokratischer Legitimation", meint der SPD-Kommunalexperte Hans-Willi Körfges.

In Solingen hätten 38,1 Prozent für CDU-Oberbürgermeister Norbert Feith ausgereicht, in Monheim waren es 30,4 Prozent für den 27-jährigen Daniel Zimmermann. Dagegen gibt es nach Ansicht der SPD nur ein Mittel: die Wiedereinführung der Stichwahl, die Schwarz-Gelb abgeschafft hat.

Massive Probleme bei der CDU

Vor allem die CDU hatte massive Probleme damit. Da keiner auf Anhieb die nötige absolute Mehrheit (50 Prozent plus x) erreicht hatte, kam es bei der Oberbürgermeister- und Landratswahl 2004 in 20 kreisfreien Städten und Kreisen zu einem zweiten Wahlgang zwischen den beiden Bewerbern mit den meisten Stimmen. In Gelsenkirchen, Hagen, Leverkusen, Mönchengladbach, Remscheid und im Kreis Wesel hatten die CDU-Kandidaten zunächst vorn gelegen, doch aus der Stichwahl ging dann überall die SPD als Sieger durchs Ziel.

Das hatte Folgen. 2005 legten CDU und FDP in ihrer Koalitionsvereinbarung fest: "Die Wahl wird in einem Wahlgang entschieden." SPD und Grüne liefen dagegen Sturm und riefen das Verfassungsgericht in Münster an. In den anderen Bundesländern, so argumentierten sie, sei die Stichwahl eine Selbstverständlichkeit. Doch ihre Klage wurde im Mai dieses Jahres abgeschmettert: Die Abschaffung der Stichwahl sei nicht verfassungswidrig.

Gleichwohl bleibt für die SPD das Thema auf der Tagesordnung. "Ich kündige jetzt schon an, dass wir die Stichwahl nach einem SPD-Sieg bei der Landtagswahl wieder einführen werden", sagte SPD-Landeschefin Hannelore Kraft unserer Redaktion. Für Innenminister Ingo Wolf (FDP) ist das "völlig neben der Sache".

"Alarmismus geht an der Realität"

Seine Rechnung sieht so aus: 75 Prozent der am Sonntag gewählten Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte hätten mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommen. Knapp 18 Prozent lägen bei über 40 Prozent, und nur sieben Prozent hätten Ergebnisse unter 40 Prozent. "Das zeigt: jeder Alarmismus geht an der Realität vorbei", so Wolf.

Neben der sofortigen Wiedereinführung der Stichwahl fordert die SPD, die gemeinsame Wahl der (Ober-)Bürgermeister und Landräte mit den Ratswahlen zu koppeln. Das würde bedeuten, entweder die Amtsperiode der Bürgermeister wieder auf fünf Jahre zu senken oder die Ratsperiode auf sechs Jahre zu verlängern.

Darüber hinaus will die SPD die Einführung einer Sperrklausel zu den Ratswahlen von 2,5 Prozent. In ihrem Antrag zur Änderung der Kommunalverfassung spricht die Landtagsfraktion von einer Besorgnis erregenden Zersplitterung der Räte. So seien in Köln acht, in Essen neun und in Duisburg sogar zehn verschiedene Fraktionen und Gruppierungen vertreten. Kein Wunder, dass auch Duisburgs alter und neuer CDU-Oberbürgermeister Adolf Sauerland eine 2,5-Prozent-Klausel für "zwingend" nötig hält.

Innenminister Wolf kontert mit dem Hinweis, dass es in "keinem einzigen Bundesland" eine kommunale Sperrklausel mehr gebe. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht bereits 1999 die grundsätzliche Unzulässigkeit einer solchen Hürde festgestellt. Eine Sperrklausel könne nur dann eingezogen werden, wenn der Nachweis erbracht wird, dass der Rat durch die Zersplitterung funktionsunfähig und die Kommune somit "unregierbar" sei.

Etablierten Parteien bringen keine Mehrheit zustande

Die Praxis, so Wolf, sehe in den Kommunen doch wohl anders aus: "Wenn notwendige Entscheidungen nicht fallen, liegt es daran, dass die etablierten Parteien keine Mehrheit zustandebringen." Der Hinweis auf "schwerfällige Entscheidungsfindung" und ausufernde Ratsdebatten reiche jedenfalls nicht zur Einführung einer Sperrklausel aus.

Doch wie die Kommunalwahl attraktiver machen? Diesmal haben in NRW nur 52 Prozent der Wahlberechtigten mitgemacht — so wenig wie noch nie. In anderen Bundesländern wie Hessen können die Wähler ihre Stimmen auf Bewerber verschiedener Listen verteilen (panaschieren); sie können einzelne Kandidaten streichen oder ihnen bis zu drei Stimmen geben (kumulieren).

Sie haben so viele Stimmen, wie Stadtratsmandate zu vergeben sind. Der Nachteil: Der Wahlzettel wird riesengroß. Fakt ist auch: Bei der hessischen Kommunalwahl 2006 machten nur 45,8 Prozent mit.

(RP)
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