Machtpoker in NRW SPD und Grüne wollen Regierung bilden

NRW-SPD-Chefin Hannelore Kraft will nun doch mit den Grünen eine Minderheitsregierung bilden. Dies teilte Kraft am Donnerstag in Düsseldorf mit. Ihre Wahl zur Ministerpräsidentin soll bereits am 13. oder 14. Juli im Landtag erfolgen. Die SPD-Chefin begründete ihre Entscheidung damit, dass die FDP die schwarz-gelbe Koalition praktisch aufgelöst habe. Kraft wolle dem Land nun eine stabilere Regierung bieten als Rüttgers dies könne.

Kraft will Ministerpräsidentin werden
9 Bilder

Kraft will Ministerpräsidentin werden

9 Bilder

Die NRW-SPD-Chefin erklärte in einer überraschend einberufenen Pressekonferenz, dass Nordrhein-Westfalen derzeit ohne Landesregierung sei, weil FDP-Chef Andreas Pinkwart am Vorabend die schwarz-gelbe Regierung faktisch beendet habe. Das sei "eine Wende" gewesen, mit der sie nicht gerechnet habe. Es gebe damit keine geschäftsführende Regierung mehr, sondern lediglich geschäftsführende Minister und einen geschäftsführenden Ministerpräsidenten. Jürgen Rüttgers selbst habe die Situation laut Kraft verschärft, er im ZDF-Morgenmagazin erklärte: "Ich kann nicht zurücktreten".

Hannelore Kraft hatte gegen 11 Uhr den SPD-Landesvorstand per Telefonkonferenz zusammengerufen. Die Entscheidung über die Bildung einer Minderheitsregierung sei schnell gefallen. Grünen-Chefin Sylvia Löhrmann sagte, sie sei überrascht gewesen, als Hannelore Kraft sie am Vormittag über die Entscheidung informiert habe.

Am Samstag beraten die Grünen in Neuss auf einem ohnehin geplanten Landesparteitag über die neue Lage. Der SPD-Landesparteirat kommt am gleichen Tag in Dortmund zusammen.

Linke schließt Tolerierung nicht aus

Die NRW-Linke schließt eine Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung und die Wahl von Hannelore Kraft zur Ministerpräsidentin nicht aus. "Alles hängt davon ab, wie sie sich positioniert", sagte Landessprecherin Katharina Schwabedissen der "Jungen Welt". Ihre Partei gehe davon aus, dass Kraft "das Gespräch mit uns suchen wird - sie sollte aber auch wissen, dass die Linke nicht die Katze im Sack kauft". Kraft müsse sich schon dazu äußern, was sie unter Politikwechsel verstehe, betonte Schwabedissen. Die Linke hoffe, dass bei Gesprächen "Inhalte herauskommen, denen wir zustimmen können".

Spekulationen über Abweichler

In Düsseldorf wird nun über die genauen Hintergründe des überraschenden Strategiewechsels spekuliert. Aus SPD-Kreisen kursierte das Gerücht, ein abtrünniges Mitglied der FDP-Fraktion wolle Kraft bei der Wahl zur Ministerpräsidentin unterstützen. Damit würde die SPD-Chefin auch ohne die Stimmen der Linken ins Amt gewählt werden können. Es ist jedoch denkbar, dass die SPD dieses Gerücht gezielt streut. Rot-Grün fehlt eine Stimme zur Mehrheit im Landtag. FDP-Chef Pinkwart schloss am Nachmittag eine Unterstützung der Minderheitsregierung durch die FDP aus. Die Liberalen würden bei der Wahl des Ministerpräsidenten geschlossen für Jürgen Rüttgers (CDU) stimmen.

In einem Interview hatte Pinkwart am Mittwoch die schwarz-gelbe NRW-Koalition formal für beendet erklärt. Die "Verpflichtung zum Konsens" sei zwischen CDU und FDP in der vergangenen Legislaturperiode "ausgelaufen". Pinkwart erklärte am Donnerstag nach Bekanntgabe der rot-grünen Koalitionspläne jedoch, es sei absurd zu sagen, es liege an der FDP. Die Bildung der Minderheitsregierung bezeichnete er als "Akt der Verzweiflung". SPD und Grüne gingen damit ganz bewusst in eine instabile Regierung.

Überraschender Kurswechsel

Die SPD hatte in den vergangenen Tagen immer wieder angekündigt, nach ihren gescheiterten Sondierungsgesprächen mit CDU, FDP und Linken in Düsseldorf nun den angestrebten Politikwechsel "aus dem Parlament heraus" zu betreiben. Mit dem Nein der SPD zu Koalitionsverhandlungen mit der CDU wäre die schwarz-gelbe Regierung von Rüttgers bis auf weiteres geschäftsführend im Amt.

Ebenso hatte der SPD-Landesparteirat auf Empfehlung des Landesparteivorstands am Montag beschlossen, eine SPD-geführte Minderheitsregierung werde "derzeit nicht angestrebt". Kraft hatte allerdings in den vergangenen Tagen wiederholt klargestellt, es könne Situationen geben, in denen eine Minderheitsregierung erforderlich sei.

Die Grünen hatten die Genossen in den vergangenen Tagen immer wieder zu einer Minderheitsregierung gedrängt. Eine Minderheitsregierung biete "mehr Chancen als Risiken", sagte Landesvorsitzender Arndt Klocke am Donnerstag in Düsseldorf.

Erinnerungen an Hessen 2008

Sollten sich Abgeordnete der elfköpfigen Linksfraktion enthalten, könnte Kraft mit den Stimmen von Rot-Grün gewählt werden. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ist seit dem 9. Juni nur noch geschäftsführender Regierungschef. Schwarz-Gelb war am 9. Mai in NRW abgewählt worden.

Eine ähnliche Situation wie heute in NRW gab es 2008 in Hessen. Damals wollte sich die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti mit Unterstützung von Grünen und Linkspartei zu Regierungschefin wählen lassen. Kurz vor der Wahl verweigerten ihr aber vier Abgeordnete aus ihrer eigenen Partei die Unterstützung. Daher scheiterte die rot-grüne Regierung unter Tolerierung der Linkspartei.

(RP/DDP/APN/csi)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort