SPD-Regionalkonferenzen in Kamen und Troisdorf Alle lieben Nowabo

Kamen/Troisdorf · Die SPD-Tour hat NRW erreicht. In Kamen und Troisdorf bejubeln die Genossen Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Doch die Stimmung wird rauer.

 Bei der SPD-Regionalkonferenz in der Stadthalle Troisdorf erhielten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans besonders viel Applaus.

Bei der SPD-Regionalkonferenz in der Stadthalle Troisdorf erhielten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans besonders viel Applaus.

Foto: dpa/Marius Becker

Wer verstehen will, wie die Genossen denken, muss sich mit ihnen vor einem Parkautomaten anstellen. Die Stadthalle in Troisdorf ist mit Parkleitsystem, Diskokugel und Fensterfront überaus zeitgemäß ausgestattet. Doch weil im Parkhaus ein Ticketautomat kaputt ist, bildet sich vor den verbliebenen Geräten eine Schlange. Die SPD hat gerade ihre Mitglieder von der zweiten Regionalkonferenz in Nordrhein-Westfalen entlassen, aber abgerechnet wird an der Kasse. In der Schlange sagt einer: „Wenn der Olaf gewinnt, trete ich aus.“ Die Gesprächspartnerin ergänzt: „Der ist so rechts.“

Die SPD kann sich zurzeit nicht auf besonders viele Dinge einigen. Dass sie „den Olaf“ aber irgendwie nicht mögen, da scheint sich eine Mehrheit der Genossen sicher zu sein. Der Olaf, Nachname Scholz, ist hauptberuflich Bundesfinanzminister, Vizekanzler und stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Weil er das Adjektiv „stellvertretend“ gerne loswerden würde, bewirbt er sich mit der Potsdamer Politikerin Klara Geywitz bei dieser recht bizarren SPD-Roadshow. Sechs Wochen reisen SPD-Politiker durch die Republik, um sich bei 23 Regionalkonferenzen ihrer Partei vorzustellen. Seit dem Wochenende weiß Scholz, dass er auf den größten Landesverband in diesem Wettbewerb eher nicht zählen kann.

Am Samstag in Kamen und am Sonntag in Troisdorf ist die Kälte zu spüren, mit der die Parteibasis auf Geywitz und Scholz reagiert. Viele sehen in dem Duo die große Koalition, die sie so verachten. Als würde Geywitz das körperlich fühlen, lässt sie sich nach gut 90 Minuten in der Troisdorfer Stadthalle von Konkurrentin Gesine Schwan mit deren rotem Schal zudecken. Schöner wird’s nicht.

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken benötigen keine Schals. Während der frühere NRW-Finanzminister gänzlich auf rote Accessoires verzichtet, trägt Esken immerhin einen roten Blazer. Die Zeit, in der sich SPD-Politiker durch rote Kleidungsstücke offenbart haben, ist noch nicht vorbei. Borjans, genannt Nowabo, 67, und Saskia Esken, 58, sind, geht man nach der Lautstärke, die Gewinner dieses NRW-Wochenendes.

In Troisdorf reicht es aus, dass die beiden die Bühne betreten, um den stärksten Applaus aller sieben Duos zu bekommen. Als Saskia Esken aber sagt: „Die Groko hat keine Zukunft“, flippt der Saal aus. Und auch einen Tag zuvor, in Kamen, östlichstes Ruhrgebiet, weiß Norbert Walter-Borjans genau, was er sagen muss. „Ihr habt euch seit Jahrzehnten den Arsch aufgerissen“, ruft er seinen Genossen zu, „und trotzdem verrotten hier die Straßen und die Schulen.“ Und weil das hier ein Wettbewerb ist, den Nowabo zu gewinnen gedenkt, verpasst er „Olaf“ einen Seitenhieb. Er sagt: „Berlin sieht das Ruhrgebiet einfach nicht.“ Berlin ist in der SPD häufiger das Synonym für alles Schlechte, und hier eben für Olaf Scholz. Applaus.

17 Regionalkonferenzen haben die Kandidaten, deren sämtliche Namen sich nicht einmal die Interessierten merken, schon vor diesem Wochenende hinter sich. Doch dieses Wochenende ist von besonderer Bedeutung. Es führt die Duos nach NRW, in das Bundesland, in dem mehr als ein Viertel der über 430.000 SPD-Mitglieder lebt. Sie sind es, die in wenigen Wochen über das neue Spitzen-Tandem entscheiden. Die lauten Liebesbekundungen für Walter-Borjans und Esken sind gleichwohl höchstens ein Indiz für den Ausgang der Wahl. Denn zu den Regionalkonferenzen kommt nur ein Bruchteil der Mitglieder, bundesweit wohl kaum mehr als 25.000. Der große Rest schaut keine Livestreams, sitzt zu Hause und könnte sich eher an bekannten Namen orientieren als an opulenten Shows.

Doch auch wenn es vor allem für Esken und Nowabo laut wird, sind die übrigen Sympathien nicht gerade eindeutig verteilt. Vielmehr erhält jeder Kandidat, der sich gegen die schwarze Null, die Schuldenbremse, gegen Hartz IV – und natürlich gegen die große Koalition in Berlin positioniert, begeisterten Beifall. Also auch Ralf Stegner und Gesine Schwan, Nina Scheer und Karl Lauterbach, Hilde Mattheis und Dierk Hirschel oder Christina Kampmann und Michael Roth. Ziemlich viele also.

Komplizierter haben es da die anderen, womöglich weil sie selbst es sich etwas komplizierter machen. Wenig überraschend sind Olaf Scholz und Klara Geywitz nicht für einen sofortigen Ausstieg aus der Groko, aber auch Petra Köpping und Boris Pistorius tun sich damit schwer. Pistorius, niedersächsischer Innenminister, bekennt jedenfalls, er habe keine Lust, sich dafür zu schämen, in der Regierung Verantwortung zu übernehmen. Ein bisschen hat man das Gefühl, dass sich viele Genossen aber dafür schämen.

Christina und Michael, die von sich sagen, ihre Namen klängen wie die eines Schlagerduos, passen am besten in das Format dieses Kandidaten-Castings. Christina Kampmann, ehemalige NRW-Familienministerin, und Michael Roth, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, sind nicht nur das jüngste Duo, sie kleiden sich auch so. Turnschuhe, der Rest in Slim Fit. „Uns musste niemand überreden, wir haben unsere Kandidatur als Erste bekannt gegeben“, sagt Kampmann. Das geht gegen Nowabo, der vom NRW-Landesvorstand erst kurz vor knapp nominiert worden war.

Ohnehin ist der Ton etwas rauer geworden. Während es anfänglich überwiegend harmonisch zuging bei den Regionalkonferenzen, ist mittlerweile Schärfe zu spüren. Pistorius ätzt gegen alle, die schon länger im Parteivorstand oder im Bundestag sitzen. Lauterbach ätzt zurück. Und sowieso ätzen alle mehr oder weniger intensiv gegen Olaf Scholz. „Das Fest der innerparteilichen Demokratie im Rheinland“, wie es der Moderator versprochen hat, ist jedenfalls reichlich wenig festlich.

Auch wenn in Kamen und Troisdorf manches tatsächlich komisch ist, die Partei nimmt ihre Prozedur sehr ernst. In den Reihen sitzen Genossen, die sich mit Kugelschreibern Notizen auf den Heftchen mit allen Kandidaten machen. Einer operiert mit Strichlisten: pro gutem Punkt ein Strich; der mit den meisten Strichen wird gewählt. Nicht jeder, der eine Frage stellt, kennt den Namen des betreffenden Kandidaten. Nicht jeder versteht überhaupt das Wahlprozedere. Das liegt vielleicht auch daran, dass es reichlich kompliziert ist. Dörte Schall, stellvertretende NRW-Vorsitzende, bringt das in Troisdorf ganz gut zum Ausdruck. Sie sagt, als sie das Verfahren erklärt: „Wir lassen nicht den Parteitag entscheiden – am Ende entscheidet natürlich doch der Parteitag.“ Hä?

Jürgen Lörenz, seit 37 Jahren SPD-Mitglied, kommt aus Wickede an der Ruhr. Er verfolgt das ganze Schauspiel mit einer gewissen Distanz. Er weiß noch nicht, welches Duo er an die Spitze wählen wird. Wem er das zutraut, auf was es für ihn ankommt? „Es muss eine starke Persönlichkeit sein, hinter der sich die Partei versammelt“, sagt er. Einer, der auf den Tisch hauen kann. So wie einst Willy Brandt oder Herbert Wehner. Nun denn.

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