Interview mit SPD-Landesfraktionschef Thomas Kutschaty „Ministerpräsident als Geisterfahrer“

Interview | Düsseldorf · Der SPD-Fraktionschef lädt zum Schulgipfel ein und fordert mehr Parlamentsmitsprache. Jede Corona-Verordnung müsse in Zukunft vom Landtag abgesegnet werden.

 Thomas Kutschaty, SPD-Fraktionsvorsitzender in Nordrhein-Westfalen. Foto: Christophe Gateau/dpa

Thomas Kutschaty, SPD-Fraktionsvorsitzender in Nordrhein-Westfalen. Foto: Christophe Gateau/dpa

Foto: dpa/Christophe Gateau

Herr Kutschaty, was hat Sie zur Kampfkandidatur um den SPD-Landesvorsitz gegen Sebastian Hartmann bewogen?

Kutschaty Ich kandidiere nicht gegen jemanden, sondern für etwas: Für meine Idee, insbesondere Kinder und Bildung in den Blick zu nehmen. Ich selbst bin ein Bildungsaufsteiger, der erste in meiner Familie mit einem Abitur. In meiner Generation hat das noch funktioniert, heute leider nicht mehr.

Trauen Sie dem amtierenden Landeschef Hartmann dies nicht zu?

Kutschaty Es geht mir darum, ein Angebot zu machen. Davon lebt doch die Demokratie, dass es auch Wahlmöglichkeiten gibt.

Stehen Sie auch für die Spitzenkandidatur in NRW zur Verfügung?

Kutschaty Landes- und Fraktionsvorsitzende einer Partei sind automatisch immer potenzielle Spitzenkandidaten.

Herr Hartmann schrieb neulich an die SPD-Basis, er wolle nicht als Spitzenkandidat antreten, habe aber schon mit möglichen Anwärtern gesprochen. Auch mit Ihnen?

Kutschaty Wir sind regelmäßig miteinander im Gespräch.

Glauben Sie, die Wähler honorieren es, wenn Parteien sich so stark mit sich selbst beschäftigen?

Kutschaty Wir beschäftigen uns gerade vor allem mit der Corona-Politik dieser Landesregierung. Da gibt es sehr viel zu kritisieren, und das tun wir auch. Natürlich arbeiten wir dabei auch intensiv an eigenen Konzepten. Das ist alles andere als Nabelschau. 

Mehr als innerparteiliche Konflikte bewegt viele Menschen in NRW zurzeit insbesondere die Schulpolitik. Sie haben Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) ein Ultimatum für einen Schulgipfel gestellt, an dem alle Akteure teilnehmen sollen. Haben Sie schon eine Antwort?

Kutschaty Nein, keinerlei Rückmeldung. Der Ministerpräsident weigert sich, unseren Rat anzunehmen, obwohl in den Schulen deutlich mehr passieren muss. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, selbst zu einem Schulgipfel einzuladen und mit allen Beteiligten konstruktive und innovative Lösungen zu finden. Nur die Fenster zu öffnen, reicht einfach nicht, das zeigen die steigenden Infektionszahlen. Aber Laschet lässt die Schulen im Regen stehen. Die Verkleinerung der Klassen wie in Solingen wäre ein richtiger Weg…

Ist es aus sozialdemokratischer Sicht wirklich zu begrüßen, dass ein Teil der Schüler im Homeschooling durch Eltern unterrichtet wird und ein anderer Teil gar nicht mehr?

Kutschaty Das will ja auch keiner, und schon gar nicht die SPD. Das Solinger Schulkonzept sieht das auch nicht vor. Im Gegenteil: Es geht doch gerade darum, den Präsenzunterricht zu sichern. Durch wechselnde Präsenzschichten und digitalen Unterricht sollen die Lerngruppen verkleinert werden. Solingen hat dafür extra 3.500 Endgeräte für bedürftige Kinder angeschafft. Das ist vorbildlich und vorausschauend – im Gegensatz zur Landesregierung. Von der Regierung Laschet gibt es bis heute keinen Plan B, wie der Schulbetrieb bei steigenden Infektionszahlen aufrecht erhalten werden soll. Wir hätten auch längst Lüftungsgeräte haben können und digitale Geräte für jedes Kind, das zu Hause keines hat.

Die Versäumnisse in der Schulpolitik datieren doch auch noch aus rot-grüner Regierungszeit…

Kutschaty Es ist unbestritten, dass in der Vergangenheit zu wenig für die Digitalisierung der Schulen getan wurde. Aber seit dreieinhalb Jahren regiert in NRW die CDU mit der selbst-ernannten Digital-Partei FDP. Fest steht, dass wir heute beim digitalen Unterricht nicht auf dem Stand sind, den wir haben müssten.

Was schlagen Sie also vor?

Kutschaty Geld vom Bund weiterzureichen, ist noch keine Digitalisierung. So lädt man die Verantwortung bei den Schulen und Trägern vor Ort ab. Wir brauchen im Land dringend eine zentrale und koordinierende Servicestruktur für den digitalen Support an unseren Schulen. Dazu müssen auch langfristige Finanzierungsfragen endlich geklärt werden. Es geht aber auch noch um etwas anderes: Es muss viel mehr getestet werden. Die Test-Strategie ist der Schlüssel, um aus dieser Situation herauszukommen. Priorität müssen Menschen haben, die sich berufsbedingt leicht anstecken können oder Risikogruppen sind – je mehr, desto besser. Stattdessen wird an Schulen und Kitas in NRW die Zahl der kostenlosen Testungen bis zu den Weihnachtsferien zurückgefahren. Da ist der Ministerpräsident als Geisterfahrer unterwegs.

Wer soll die vielen kostenlosen Tests bezahlen?

Kutschaty Wir machen oft den Fehler, Gesundheit und Wirtschaft gegeneinander auszuspielen. Es gibt da keinen Konflikt. Für den Steuerzahler sind die Folgeschäden höher, wenn wir jetzt nicht genug tun. Wir brauchen dringend eine flächendeckende Testinfrastruktur. Die Landesregierung sollte deshalb schnell einen Corona-Testgipfel einberufen.

Wie soll es nach November weitergehen?

Kutschaty Wir müssen aus dieser Stopp-and-Go-Politik der Landesregierung herauskommen: Lockern, Lockdown, lockern – so kann es nicht weiter gehen. Auch dabei kann eine vernünftige Teststrategie helfen. Vor allem aber müssen wir uns die Akzeptanz der Bevölkerung erhalten. Zu Beginn der Pandemie war das Bundesinfektionsschutzgesetz ein probates Mittel, um schnell per Erlass reagieren zu können. Jetzt brauchen wir eine gesetzliche Grundlage wie das Saarland oder Bremen. Jede Verordnung der Landesregierung darf künftig nur mit Zustimmung des Parlaments erfolgen. Ich habe alle Fraktionen eingeladen, um einen solchen Parlamentsvorbehalt durchzusetzen.

Werden Sie dafür im Landtag die nötige Mehrheit bekommen?

Kutschaty Die FDP-Fraktion ist da doch ganz unserer Meinung. Auch die Liberalen wollen das Parlament in der Krise stärken. So habe ich sie jedenfalls in der letzten Landtagssitzung verstanden. Es gibt verschiedene Modelle, dies zu tun. Ich bin daher zuversichtlich, für unseren Vorstoß im Landtag eine Mehrheit zu bekommen.

(kib)
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