Siemens-Chef beim Digital-Gipfel der RP "Google ist der Knecht im Auto"

Düsseldorf · Siemens-Chef Joe Kaeser verspricht beim Digital-Gipfel der Rheinischen Post, dass der Konzernumbau abgeschlossen ist. Die Ministerpräsidentin verspricht bis 2018 schnelles Internet für alle.

Das war der Digitalgipfel der RP
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Foto: Andreas Endermann

Die Ausgangslage beim Digitalgipfel konnte unterschiedlicher nicht sein: hier Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die gegen die stagnierende Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen ankämpfen muss, dort Siemens-Chef Joe Kaeser, der sich aktuell über florierende Geschäfte freut. Und doch eint die beiden das gleiche Schicksal: Reagieren sie zu langsam auf die Herausforderungen durch die Digitalisierung, verspielen sie die Zukunft von Land und Unternehmen.

Frau Kraft, die NRW-Wirtschaft stagnierte, weil traditionelle Branchen schwächeln. Müsste nicht gerade deswegen mehr beim Thema Digitalisierung passieren?

Kraft Zunächst mal: Wir haben viele Dax-Unternehmen aus dem Bereich der Grundstoffindustrie. Dort ist die Entwicklung auf den Weltmärkten nicht einfach, etwa beim Stahl. Auch der niedrige Öl-Preis trifft uns. Wenn diese Branchen schwächeln, ist es schwierig, in anderen Bereichen Wachstum zu generieren. Bei der Digitalisierung passiert aber schon eine Menge. Viele Konzerne sind digitalisiert, der Mittelstand tut sich aber teilweise noch schwer.

Was heißt das für Ihre Politik?

Kraft Aufgabe der Politik ist es, dafür zu sorgen, dass das Thema Digitalisierung in den Mittelpunkt rückt. Wir müssen unsere Hausaufgaben beim Ausbau und Erhalt der Infrastruktur machen, bei Bildung. Denn die Digitalisierung wird Auswirkungen auf viele Arbeitsplätze haben, wir müssen daher rechtzeitig für die nötige Qualifizierung sorgen.

Ist NRW gerüstet, Herr Kaeser?

Kaeser NRW hat eine Menge zu bieten - und eine große Chance, den digitalen Wandel erfolgreich zu meistern. Denn das Land hat einen Vorteil gegenüber anderen: Es hat das alles schon mal durch den Strukturwandel durchgemacht. Damals entwickelten sich nach der Blütezeit von Kohle und Stahl die Elektrotechnik und der Mobilfunk an Rhein und Ruhr. Die Stärken gibt es weiterhin, und es gibt nirgendwo so gute Facharbeiter wie hier in Deutschland.

Aber?

Kaeser Was heute nicht klar ist: Wird die Gesellschaft noch einmal willens und in der Lage sein, so einen Strukturwandel sozialpolitisch zu begleiten - und wird sie noch mal den Mut aufbringen ihn zu gestalten? Das geht nur mit einer regierenden Politik, den Unternehmen und Sozialpartnern - und nicht mit denen, die immer nur dagegen sind.

Kraft Stimmt, es geht nicht alleine.

Braucht es nicht vor allem schnelles Internet - auch auf dem Land?

Kraft Das bauen wir ja gerade aus. Wir schauen genau hin, wo was erforderlich ist. Es kann letztlich aber nicht nur die Aufgabe der öffentlichen Hand sein, den Ausbau zu finanzieren.

NRW investiert 500 Millionen in den nächsten zwei Jahren, Bayern 1,5 Milliarden Euro bis 2018.

Kraft Die Summe der Investitionen ist nicht ausschlaggebend, es geht darum, ob man das Geld zielgerichtet einsetzt. In NRW sind bereits mehr Haushalte mit schnellem Internet versorgt als in Bayern. Um aufzuholen, investiert Bayern ausschließlich in Vectoring (Aufrüstung von Kupferkabeln, d. Red.). Fachleute wissen, dass da irgendwann dead end sein wird, dass die Geschwindigkeit nicht mehr reicht.

Weil die alten Kupferkabel lediglich hochgerüstet werden, statt leistungsfähigere Glasfaserleitungen zu legen?

Kraft Richtig. Wir haben zugesagt, jedes Bundesförderprogramm zum Breitbandausbau zu kofinanzieren und geben zusätzlich Geld für die Gewerbegebiete, weil wir die mit Glasfaser anbinden wollen. Bis 2018 ist in NRW jeder ans schnelle Internet angeschlossen.

Reicht Ihnen, Herr Kaeser, das, was beim Breitbandausbau passiert?

Kaeser Natürlich brauchen wir jederzeit Zugriff auf unsere Daten - nicht nur an den 40 NRW-Standorten. Wir brauchen aber nicht das allerschnellste Internet für jeden. Es ist ein Unterschied, ob man einen Film im Internet guckt oder als Sanitäter Menschenleben retten muss.

Aber die Industrie braucht doch wohl das schnellste Netz.

Kaeser Natürlich, wer sehr viel mit Daten arbeitet, braucht auch schnellere Bandbreiten.

Viele große Digitalkonzerne profitieren von der Infrastruktur, die andere ihnen bereitstellen. Google und Co. verdienen mit den Daten das Geld, während Industriekonzerne zu Zulieferern werden.

Kaeser Nein, wir beherrschen die Technik, am Ende kommt alles aus der Hardware. Nehmen Sie den Goldrausch - nichts anderes ist ja die Digitalisierung. Wer ist denn da reich geworden? Die Goldsucher? Vielleicht ein paar. Reich geworden sind doch vor allem diejenigen, die den Goldsuchern die Schaufeln verkauft haben und die Hosen, die nicht so schnell durchscheuern. Der Goldrausch ist vorbei, die Hosenhersteller gibt es aber immer noch. Und warum? Weil sie sich gewandelt haben und jetzt einfach Modeartikel produzieren statt Arbeitshosen. Wir müssen einfach anpassungsfähig sein. Nehmen Sie unsere Turbinen, die wir in Mülheim bauen: Da sind inzwischen 1500 Sensoren drin. Wir sind gut aufgestellt.

Aber Autos würden ohne Verbindung zu Google gar nicht mehr verkauft.

Kaeser Ich bin gerne bereit, die Mystik durch die Fakten zu ersetzen. Die Automobilhersteller nutzen Google nur für ihre Systeme. Das heißt: Google ist der Knecht im Automobil. Das Navigationssystem ist der Dienstherr. Google würde das gerne umdrehen - deswegen wollen sie ja alle anderen Daten vom Motor oder der Bremse. Deswegen haben BMW, Daimler und Audi sich den Kartenanbieter Here gekauft. Damit haben sie ein Bollwerk geschaffen, damit die Knechte dort bleiben, wo sie sind.

Trotzdem sind Amazon, Google und Facebook mehr wert als die 30 größten deutschen Konzerne zusammen.

Kaeser Sie sprechen von Börsenwert, aber nicht vom Wert des Unternehmens. Aus meiner Sicht geht es auch darum, welchen Wert man für die Gesellschaft erwirtschaftet, darum wie viele Jobs man schafft. Natürlich sind uns die Amerikaner voraus, wenn es darum geht, das Internet für Konsumenten zu nutzen. Jetzt geht es aber um die Vernetzung der Industrie.

Was müssen Sie tun, Frau Kraft, um diesen Wandel zu begleiten?

Kraft Aufgabe des Landes ist in erster Linie die Bildungspolitik. Wir gehen das Thema hier auf allen Ebenen an, haben daher ja zuletzt auch einen Bildungsgipfel gestartet. Wir haben die Lehrerausbildung verändert, investieren in die Schulen, haben interaktive Schulbücher entwickelt. In Zukunft wird das fachübergreifende Denken immer wichtiger werden, darauf müssen sich die Schulen einstellen.

Kaeser Die Schulbildung ist extrem wichtig, wir müssen aber auch auf die Menschen schauen, die Mitte 50 sind und seit Jahren in den Betrieben arbeiten. Das Internet verkürzt die Wertschöpfungsketten, dadurch gibt es auch Verlierer. Die Schlussfolgerung ist: Man darf nicht das schwächste Glied der Wertschöpfungskette sein. Wenn man es aber ist, dann haben wir eine Pflicht als Unternehmen und als Regierung, dass wir für diese Menschen Alternativen schaffen, ihnen Perspektiven schaffen, wenn ihre Arbeitsplätze wegfallen sollten.

So wie in Mülheim, wo Sie Jobs gestrichen haben.

Kaeser Wir haben 2015 weltweit 34.000 Menschen eingestellt, davon 6500 in Deutschland. Natürlich tut es mir leid, dass wir die Menschen in Mülheim nicht mehr beschäftigen können. Umso wichtiger ist, dass es andere Arbeitsplätze für sie gibt.

Sie hatten zuletzt gesagt, die Umbauphase im Konzern sei weitgehend abgeschlossen. Gilt das auch für den Jobabbau in NRW?

Kaeser Der Konzernumbau ist abgeschlossen. Was niemals abgeschlossen sein wird, ist die ständige Erneuerung von Siemens. Dabei kommt es immer darauf an, vorne mehr hinzuzufügen, als man hinten wegnimmt. Das tun wir - auch in NRW.

Kirsten Bialdiga und Florian Rinke fassten das Gespräch zusammen.

(frin)
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