Nordrhein-Westfalen Sicherheitsverwahrte werden zu "KURS"-Fällen

Düsseldorf (RPO). Die Sicherungsverwahrung ist ein heißes Eisen die schwarz-gelbe Koalition. Die FDP will die Umsetzung des Straßburger Urteils und die nachträgliche Sicherungsverwahrung abschaffen. Die Union sucht eine Hintertür. Wird das europäische Recht umgesetzt, kämen auch viele Straftäter in NRW frei. Davor haben viele Bürger Angst. Das "KURS"-Programm der Landesregierung soll einen Rückfall in die Straffälligkeit verhindern.

 Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will ehemals Sicherheitsverwahrte mittels einer elektronischen Fußfessel überwachen.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will ehemals Sicherheitsverwahrte mittels einer elektronischen Fußfessel überwachen.

Foto: ddp

Düsseldorf (RPO). Die Sicherungsverwahrung ist ein heißes Eisen die schwarz-gelbe Koalition. Die FDP will die Umsetzung des Straßburger Urteils und die nachträgliche Sicherungsverwahrung abschaffen. Die Union sucht eine Hintertür. Wird das europäische Recht umgesetzt, kämen auch viele Straftäter in NRW frei. Davor haben viele Bürger Angst. Das "KURS"-Programm der Landesregierung soll einen Rückfall in die Straffälligkeit verhindern.

141 Sicherungsverwahrte von insgesamt 17.329 Inhaftierten gab es zum Stichtag 30. Juni in Nordrhein-Westfalen nach Angaben des Landesjustizministeriums. Darunter sind nicht nur Schwerverbrecher: Auch bei Dieben, Betrügern und Räubern kann eine Sicherungsverwahrung angeordnet werden, sollten sie Wiederholungstäter sein und ein Gutachter die Rückfallgefahr feststellen.

Wird ein Urteil des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom vergangenen Herbst umgesetzt, könnten einige von ihnen freikommen. Bundesweit sind es rund 80 Täter, die das Urteil betrifft und in Kürze freikommen dürften.

Das Gericht gab damals der Beschwerde eines Sicherungsverwahrten statt, der 1986 zu höchstens zehn Jahren Sicherungsverwahrung im Anschluss an seine Haftstrafe verurteilt worden war. Das entsprach damals der Gesetzeslage. Diese wurde dann aber 1998 dahingehend geändert, dass die Sicherungsverwahrung für bereits einsitzende Täter nachträglich verlängert werden konnte. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs verstößt das gegen ein zentrales Rechtsstaatsprinzip: Eine Strafe darf nicht durch Gesetzesänderung rückwirkend verschärft werden.

Unmittelbare Rechtswirkung entfalten Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur für die Kläger selbst. Deutsche Gerichte kommen aber nicht umhin, sie als allgemeine rechtliche Leitlinien zu berücksichtigten, da das Gericht der Hüter der Europäischen Menschenrechtskonvention ist, die für Deutschland bindend ist. So setzten mehrere vor 1998 verurteilte deutsche Sicherungsverwahrte inzwischen ihre Freilassung durch.

Bundesjustizministerin will Fußfessel

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will die entlassenden Straftäter mittels einer elektronischen Fußfessel überwachen. Die Gewerkschaft der Polizei lehnt das ab. Diese sei "völlig ungeeignet", Schwerkriminelle zu überwachen. Die Fußfessel sei nur eine "Beruhigungspille für die Bevölkerung" und "reine Science Fiction", sagte GdP-Chef Konrad Freiberg am Freitag in Berlin.

Die Fußfessel ist allerdings nicht die einzige Maßnahme, mit der ein Rückfall verhindert werden soll. Sämtliche der der entlassenden ehemals Sicherungsverwahrten werden in NRW zu "KURS-Fällen". Die Abkürzung steht eigentlich für "Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern in Nordrhein-Westfalen" — soll aber auf alle Straftäter aus ehemaliger Sicherungsverwahrung ausgeweitet werden.

Das Programm wurde nach dem Vorbild in anderen Bundesländern wie Niedersachsen noch von der alten schwarz-gelben Landesregierung angestoßen und soll auch unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft unverändert fortgesetzt werden, wie das Landesjustizministerium im Gespräch mit unserer Redaktion sagte.

Kurz nach der Entlassung sei die Gefahr eines Rückfalls am größten, weiß Michaela Heyer, Pressesprecherin des Landeskriminalamts (LKA) NRW. "Vier Monate vor der Entlassung setzen sich die für den Fall zuständigen Behörden zusammen und beraten mögliche Maßnahmen, um einen Rückfall des Straftäters zu verhindern", so die Sprecherin.

Dabei werden alle Informationen — wie beispielsweise Gutachten — bei der Zentralstelle KURS NRW gesammelt, um sich ein umfangreiches Bild von dem Straftäter zu machen. "Es geht sowohl darum, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten als auch darum, dem Entlassenden eine Reintegration in die Gesellschaft zu ermöglichen", so Heyer. Im Normalfall läuft das KURS-Programm über fünf Jahre.

Individuelle Maßnahmen sollen Rückfall verhindern

Als Beispiel nennt die LKA-Sprecherin den Fall eines Straftäters, der sich in der Vergangenheit bevorzugt ledigen Frauen mit jungen Kindern näherte, um die Kinder sexuell zu missbrauchen. In einem solchen Fall würde eine Observation angeordnet und die Frau beispielsweise durch die Behörden gewarnt, sobald der entlassende Täter in das alte Verhaltensmuster zurückfällt. E

ine derartige Überwachung muss den Straftätern "nicht unbedingt unlieb sein", sagt die LKA-Sprecherin. Viele Entlassenden seien einverstanden, wenn man sie in ihr Leben nach der Entlassung begleitet.

In jedem Fall werden aber einzelfallabhängig entschieden, in anderen Fällen könnte ganz andere Maßnahmen beschlossen werden. Das besondere an KURS sei die zentrale Austausch aller relevanten Behörde, die eine auf den einzelnen Straftäter individuell abgestimmtes Maßnahmenbündel erlaube, erklärt das LKA.

So könne einem Straftäter, der immer nur unter Alkoholeinfluss Straftaten begangen hat, zur Auflage gemacht werden, sich regelmäßig auf Alkoholverzehr testen zu lassen.

CDU sucht eine Hintertür

Die CDU würde die nachträgliche Sicherheitsverwahrung gerne trotz des Urteils beibehalten. Um klarzustellen, dass es sich dabei nicht um eine Strafe, sondern eine Schutzmaßnahme für die Bevölkerung handelt, soll stärker zwischen Haft und Verwahrung unterschieden werden.

Dafür brachte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Idee geschlossener Heime ins Gespräch. Der Vorschlag nimmt die grundsätzliche Kritik des Straßburger Gerichts an der mangelnden Unterscheidbarkeit von Haft und Sicherungsverwahrung auf.

Die Hoffnung: Wenn Betroffene in speziellen Einrichtungen mit besonderen Behandlungsmöglichkeiten einsitzen, entfällt die Basis für Klagen aus prinzipiellen rechtsstaatlichen Gründen. Laut Bundesjustizministerium kommen solche Heime für nun entlassene "Eilfälle" aber nicht mehr in Frage. Diese könnten sich höchstens freiwillig dorthin begeben.

Mit Material von AP

(sdr)
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