Umstrittene Lernmethode NRW-Regierung will „Schreiben nach Gehör“ nicht komplett verbieten

Düsseldorf · Weiter Ärger um „Lesen durch Schreiben“: NRW-Schulministerin Gebauer will trotz negativer Studien-Ergebnisse die umstrittene Lernmethode nicht komplett verbieten. Die Lehrerschaft ist gespalten.

 Ein Mädchen übt Rechtschreibung (Symbolfoto).

Ein Mädchen übt Rechtschreibung (Symbolfoto).

Foto: dpa/Jens Kalaene

Das NRW-Schulministerium will trotz negativer Studien-Ergebnisse an der Rechtschreibmethode „Schreiben nach Gehör“ im ersten Schuljahr festhalten. Nach dem Masterplan Grundschule, der noch in diesem Jahr vorgelegt werden soll, wird es weiter kein komplettes Verbot der umstrittenen Methode geben, die auch „Lesen durch Schreiben“ genannt wird. Gegenwärtig wird danach in den Klassen eins bis vier in NRW unterrichtet. Künftig sollen Lehrer aber die Anwendung auf „die Anfangsprozesse des Lesen- und Schreibenlernens begrenzen und von Anfang an zum normgerechten Schreiben hinführen“. Es soll zudem ein Grundwortschatz eingeführt werden, der eine Liste von Lernwörtern enthält und eine verbindliche Zielmarke für die Vermittlung von Deutschkenntnissen in den Grundschulen sein soll. Ansonsten aber sollen Schulen und Lehrer über die Methoden in eigener pädagogischer Verantwortung entscheiden.

NRW schlägt damit einen anderen Weg ein als Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg oder Hamburg, wo Lehrer die umstrittene Methode gar nicht mehr anwenden dürfen. Vergangene Woche waren erste Ergebnisse einer Studie der Universität Bonn bekannt geworden. Danach machten Kinder, die mit „Lesen durch Schreiben“ gelernt hatten, am Ende der vierten Klasse 55 Prozent mehr Rechtschreibfehler als jene, die mit der Fibel gelernt hatten. Bei der anderen untersuchten Methode, der „Rechtschreibwerkstatt“, lag die Fehlerquote sogar um 105 Prozent höher. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) erklärte, die Ergebnisse der Studie müssten nun schnell in der Praxis Anwendung finden. Der Deutsche Lehrerverband verlangte daraufhin ein bundesweites Verbot der Methode.

Eltern und Lehrer in NRW sind jedoch anderer Auffassung. „Es ist sicherlich nicht der richtige Weg, die Methode ganz zu verteufeln“, sagte Regine Schwarzhoff vom Elternverein NRW. Sie forderte aber, dass dabei die Rechtschreibung von Anfang an korrigiert wird. „Kinder nehmen es nicht übel, wenn sie auf Fehler aufmerksam gemacht werden - sie wollen von Anfang an richtig schreiben lernen.“ Nach ihrer Einschätzung wird „Schreiben nach Gehör“ in NRW zurzeit in Klasse eins bis vier flächendeckend angewandt, wenn auch in unterschiedlicher Intensität.

Ähnlich äußerte sich Anne Deimel vom Lehrerverband VBE in NRW: „In Reinform wird die Methode nur extrem selten eingesetzt.“ Sie warnte vor voreiligen Schlüssen, bevor die Bonner Studie nicht in Gänze veröffentlicht sei. Eine Fibel mit ihrem kleinteiligen Ansatz und statischen Vorgehen sei heute nicht mehr das richtige Lehrmittel, mit der größeren Vielfalt in den Klassenzimmern umzugehen und dem einzelnen Kind gerecht zu werden. Nur eine einzelne Lehrmethode herauszugreifen, werde dem Problem nicht gerecht: „Grundschulen in NRW sind in ganz Deutschland die Schulform, in die am wenigsten Geld fließt.“ Da könne es nicht verwundern, dass Kinder im Leistungsvergleich insgesamt schlechter abschneiden. Entscheidend für den Erfolg einer Lehrmethode sei, dass die Pädagogen hinter ihr stünden.

Genau dies ist aber offenbar häufig nicht mehr der Fall. So berichten etwa ältere Grundschullehrer aus der Praxis, dass die Rechtschreibleistung von Viertklässlern früher per Diktat getestet wurde, dies aber heute nicht mehr üblich sei. Auch werde von Deutsch-Lehrern immer häufiger eine Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) diagnostiziert. Dies führe dazu, dass die Rechtschreibung nicht mehr in vollem Umfang in die Benotung einfließe. „Wir fordern Diktate“, sagte auch Elternvertreterin Schwarzhoff. Die zunehmende Diagnose von LRS sei eine Folge des „Schreibens nach Gehör“.

(kib)
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