Anhörung im Landtag Experten für Kommunal-Stichwahl in NRW
Düsseldorf · Schwarz-Gelb will die Stichwahl bei Kommunalwahlen abschaffen. Der Widerstand dagegen wächst. Bei einer Expertenanhörung im Landtag sprechen Wissenschaftler erstaunlich deutlich ihren Unmut gegen das Vorhaben aus.
Das schwarz-gelbe Projekt „Abschaffung der Bürgermeister-Stichwahl“ muss einen herben Rückschlag hinnehmen. Der überwältigende Teil der Fachwelt, die sich dazu am Freitag bei einer Expertenanhörung im Landtag äußern wird, lehnt die vom Regierungslager angestrebte Änderung der derzeit gültigen Regelung ab. Das geht aus der Schriftform der 13 Stellungnahmen hervor, die unserer Redaktion vorliegen.
Noch gilt: Bekommt bei Kommunalwahlen kein Bürgermeister oder Landrat im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen, findet am zweiten Sonntag nach der Wahl eine Stichwahl unter den beiden Bewerbern statt, die bei der ersten Wahl vorne lagen. Durch dieses Verfahren kam beispielsweise 2014 der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) ins Amt. Im ersten Wahlgang lag er noch hinter Amtsverteidiger Dirk Elbers (CDU), der nach alter Regelung OB geblieben wäre. In der Stichwahl zog Geisel an ihm vorbei und eroberte damit das Amt.
CDU und FDP wollen diese Stichwahl abschaffen: Künftig soll wieder derjenige die Wahl gewonnen haben, der im ersten Wahlgang die einfache Stimmenmehrheit erhält. Die Regierungsparteien argumentieren mit der schlechten Wahlbeteiligung gegen die Stichwahlen und machen Kostengründe geltend. Die Opposition ist vor allem gegen die Abschaffung, weil ein im ersten Wahlgang nur knapp vorne liegender Kandidat nicht ausreichend legitimiert sei.
Die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW hat die umfangreichste Stellungnahme vorgelegt und votiert klar gegen die Abschaffung. Sie „führt zu einer Beschränkung der Partizipationsmöglichkeiten der Wähler“, heißt es in der Stellungnahme. Ohne Stichwahl würden Minderheiten-Bürgermeister gewählt, „die im ersten Wahlgang nur mit relativer Mehrheit weit unterhalb der Schwelle der absoluten Mehrheit gewählt worden sind“.
Ihre Legitimation sei „besonders gefährdet, da die Mehrheit der Wähler sich nicht für sie ausgesprochen hat, sondern andere Kandidaten gewählt hat“. Zudem führt Autor Frank Bätge aus: „In keinem Bundesland (…) wird die Wahl eines kommunalen Hauptverwaltungsbeamten in einem Wahlgang mit nur relativer Mehrheit (…) als ausreichend angesehen“, heißt es in der Stellungnahme.
Ähnlich argumentiert der Düsseldorfer Staatsrechtler Martin Morlok. Bei einer Vielzahl von Kandidaten erhalte der Gewinner der einfachen Mehrheit selten wirklich die Mehrheit aller Stimmen. „Deswegen wird eine Mehrheitsentscheidung mit relativer Mehrheit überwiegend praktiziert unter den Bedingungen eines deutlichen Zwei-Parteien-Systems, so im Vereinigten Königreich“, schreibt Morlok und kommt bezogen auf NRW zu dem Schluss: „Die Abschaffung der Stichwahl begründet ein erhebliches Demokratieproblem.“
Das kommunalwissenschaftliche Institut der Uni Münster enthält sich und formuliert lediglich Fragen, die vor einer Entscheidung zu klären seien. Unter anderem: „Wie hoch ist die prozentuale Wahlbeteiligung bei der ersten Stimmabgabe, wie hoch bei der Stichwahl?“
Eine empirische Annäherung dazu legt die Stadt Bielefeld vor, deren Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD) für die Beibehaltung der Stichwahl plädiert: „Die Zahlen der letzten Kommunalwahlen in den Jahren 2014/2015 belegen eindeutig, dass die absolute Stimmenzahl bei der Stichwahl in der Regel höher war als im 1. Wahlgang. In 59 der insgesamt 76 durchgeführten Stichwahlen hat der Wahlsieger mehr Stimmen erhalten als im 1. Wahlgang.“ In 20 der 76 Stichwahlen habe sich ein anderer Kandidat als im ersten Wahlgang durchgesetzt.
Die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände in NRW – das sind neben dem Städte- und Gemeindebund der Städte- und der Landkreistag NRW – ist unentschieden, „wobei etwa die Mitglieder des Vorstands des Landkreistages NRW mehrheitlich für die Abschaffung (…) votiert haben“, wie es in einer gemeinsamen Stellungnahme heißt.
Zu den wenigen klar für die Abschaffung votierenden Experten gehört der Landrat des Kreises Paderborn. Manfred Müller (CDU) führt den „erheblichen Aufwand“ gegen die Stichwahl an. Zudem sei die Stichwahl in NRW in früheren Jahren schon einmal abgeschafft worden, was der Verfassungsgerichtshof auch gebilligt habe. Tatsächlich hatte eine schwarz-gelbe Landtagsmehrheit die Stichwahl 2007 bereits einmal abgeschafft. 2011 wurde sie mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP wieder eingeführt.
CDU und FDP wollen ihren Gesetzentwurf zur Abschaffung der Stichwahl so rechtzeitig in den Landtag einbringen, dass die kommunalen Spitzen schon bei der nächsten Kommunalwahl 2020 ohne Stichwahl ermittelt werden. Das können sie mit ihrer hauchdünnen Stimmenmehrheit im Landtag erzwingen. Angesichts des jetzt erstmals dokumentierten, erheblichen Widerstandes der Fachwelt ist das politische Risiko allerdings groß.