NRW-Ministerpräsidentin Scharfer Gegenwind für Hannelore Kraft

Düsseldorf · Erstmals seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2010 sieht sich die NRW-Regierungschefin massiven persönlichen Angriffen ausgesetzt. Der Vorwurf lautet Wahlbetrug.

Richter und Staatsanwälte demonstrieren in Düsseldorf
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Richter und Staatsanwälte demonstrieren in Düsseldorf

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Hannelore Kraft genießt den Ausblick aus ihrem Büro in der Düsseldorfer Staatskanzlei. Von hier oben aus, in der zehnten Etage des gläsernen Hochhauses "Stadttor", bietet sich ein grandioser Ausblick auf die Uferpromenade der Landeshauptstadt und ihre Lebensader, den Rhein. Doch in dieser Woche dürfte der Blick nach draußen für die Ministerpräsidentin alles andere als erquicklich gewesen sein.

Gleich zu Wochenbeginn protestierten auf dem Rasengelände zwischen "Stadttor" und dem Landtag Hunderte aufgebrachte Richter und Staatsanwälte.. "Wir pfeifen auf Rot-Grün", stand auf den mitgebrachten Schildern zu lesen.

"Lügen-Hanni" skandieren Demonstranten

Am Mittwoch waren es sogar mehrere Tausend Beamte, die sich zum Protest gegen die Besoldungsbeschlüsse der Landesregierung an derselben Stelle versammelt hatten und ebenfalls ihren Unmut lautstark kundtaten.

Auch wenn Hannelore Kraft es in ihrem Büro wohl nicht verstehen konnte, so wurde ihr sicher umgehend zugetragen, was die wütenden Beamten immer wieder skandierten: "Lügen-Hanni, Lügen-Hanni". Das tut weh.

Spott-Song kursiert in den Ministerien

Der Protest geht weiter. In den Ministerien kursiert zur klammheimlichen Gaudi der Beschäftigten unter der Hand das Lied "Hanne". Nach der Melodie des Ärzte-Songs "Junge" heißt es darin: "Hanne, Hanne. Die Steuern sprudeln weiter, und wir geh'n wieder leer aus. Es ist noch nicht zu spät, um einen Rückzieher zu machen."

Kein Zweifel: Der an hohen Popularitätswerten gewöhnten SPD-Regierungschefin bläst zum ersten Mal seit ihrem Amtsantritt vor drei Jahren landesweit ein kräftiger Gegenwind ins Gesicht. In der Auseinandersetzung um die Gehaltserhöhung hat sie sich nicht nur mit den Beamten angelegt, sondern auch mit den Gewerkschaften. Das erinnert an deren Protestaktionen, als die damalige schwarz-gelbe Regierung unter Jürgen Rüttgers (CDU) die Mitbestimmung im Landesdienst eingeschränkt hat. Rot-Grün machte das rückgängig, doch das nutzt der Regierung im aktuellen Besoldungsstreit herzlich wenig.
Immer wieder hat die Landesregierung vorgerechnet, dass eine vollständige Übernahme des Tarifergebnisses auf die Beamten die Landeskasse mit 700 Millionen Euro zusätzlich belasten würde.

Mit Blick auf die Schuldenbremse, die es ab 2020 zu beachten gilt, hat sich Rot-Grün darauf verständigt, dass nur die Beamten der unteren Besoldungsgruppen eine Gehaltserhöhung wie die angestellten Landesbediensteten bekommen: in diesem Jahr 2,65 Prozent mehr und im nächsten Jahr weitere 2,95 Prozent.

Für die nach A 11 (ab 2678 Euro brutto Grundgehalt im Monat) und A 12 (ab 2878 Euro) eingruppierten Staatsdiener gibt es 2013 und 2014 dagegen jeweils nur eine einprozentige Aufstockung. Alle höheren Besoldungsgruppen sollen sich sogar mit einer zweijährigen Null-Runde abfinden. Diese Regelung gilt im Übrigen auch für die Versorgungsempfänger.

Als Ministerpräsidentin Kraft, ihre Stellvertreterin Sylvia Löhrmann (Grüne) und Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) diesen Plan Mitte März vor der Presse verkündeten, brach ein Sturm der Entrüstung los. Sehr rasch war von Wortbruch die Rede. Tatsächlich hatten sowohl Kraft als auch Walter-Borjans gegenüber dem Deutschen Beamtenbund (DBB) deutlich zu erkennen gegeben, dass es bei den Landesbeamten keine weiteren Einschnitte geben solle. Als beide dies Ende 2011 schriftlich zu Protokoll gaben, war allerdings noch nicht abzusehen, dass es im Mai 2012 zu vorgezogenen Neuwahlen kommen würde. Gleichwohl ist jetzt bei den Protestkundgebungen immer wieder von "Wahlbetrug" die Rede. Der knorrige Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Karl-Josef Laumann, haut in dieselbe Kerbe. Die Beamten, so beharrt er, müssten sich auf gemachte Zusagen verlassen können.

Vielleicht bereut es die Landesregierung längst, keine einheitliche Anhebung sämtlicher Beamtengehälter beschlossen zu haben. Der Erhöhungssatz wäre dann allerdings deutlich unter dem Ergebnis für die Tarifangestellten geblieben. Dann hätte es zwar auch Murren in der Beamtenschaft gegeben, doch Kraft & Co. hätten sich nicht den Vorwurf gefallen lassen müssen, die Beamten zu spalten — in eine Gruppe, die mehr bekommt, und eine, die kaum etwas oder gar nichts zu erwarten hat.

Eine Umkehr erscheint jetzt, da das Kind in den Brunnen gefallen ist, nicht mehr möglich. Das Land kann den Beamten der unteren Besoldungsgruppen doch nicht etwas wegnehmen, um es den "Besserverdienenden" zuzuleiten. Mit ihnen ist das allerdings so eine Sache: Wer beispielsweise aus familiären Gründen nur eine Teilzeitstelle übernehmen kann, dürfte sich nicht unbedingt als "Besserverdienender" verstehen.
Rot-Grün mit Hannelore Kraft an der Spitze hat jetzt jedenfalls die große Masse der Landesbeamten gegen sich aufgebracht.

DGB-Landeschef Andreas Meyer-Lauber ist tosender Applaus der Demonstranten gewiss, wenn er ihnen zuruft: "Wir lassen nicht zu, dass die Beamtinnen und Beamten zum Sparschwein der Landesregierung werden."

Der Vorsitzende des Beamtenbundes NRW, Meinolf Guntermann, schwingt die ganz dicke Keule, wenn er vorhersagt, dass die Beamtenschaft in NRW "aus dem System der Sozialen Marktwirtschaft herauskatapultiert" wird. Wenn auf Dauer nicht einmal ein Inflationsausgleich gewährt werde, sei dies nichts anderes als "Enteignung".

Die Gewerkschaften sind aber auch deshalb in Rage, weil die Regierung Kraft im Vorfeld ihrer Sparbeschlüsse nicht das Gespräch mit ihnen gesucht habe. Der DBB empfindet das als "Diskriminierung der Gewerkschaften". Reiner Lindemann, der Vorsitzende des Richterbundes NRW, hat gegenüber unserer Redaktion Verhandlungsbereitschaft zu erkennen gegeben — "aber dann hätte man mit uns darüber reden müssen".

Jetzt will der Richterbund gegebenenfalls die Landesregierung verklagen, weil sie ihrer Fürsorgepflicht nicht nachkomme und die Bediensteten ungleich behandle. Nicht auszuschließen, dass die Causa Kraft sogar vor dem NRW-Verfassungsgerichtshof landet. Keine schönen Aussichten für die Ministerpräsidentin dort oben im zehnten Stock des "Stadttors".

(hüw)
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