Zukunftsstudie Rheinland legt im Vergleich besonders zu

Düsseldorf · NRW entwickelt sich zum Dienstleistungsland, wovon Düsseldorf besonders profitiert. Aber die Industrien sind der wahre Antreiber.

Wohin entwickelt sich NRW in Zukunft? Eine Antwort gibt das Druckunternehmen Lettern-Service Düsseldorf , kurz LSD. Eine Reihe großer Unternehmen gibt Texte und Motive ab, die dann als Druckvorlagen für die weltweite Produktion von Verpackungen und Etiketten genutzt werden. Auftraggeber sind Bayer, Nestlé, E-Plus, Axa, Intersnack oder auch 4711 aus Köln. "Abgestimmt über Arbeitsabläufe im Internet, senden wir die digitalen Vorlagen an Verpackungsdruckereien weltweit", sagt Geschäftsführer Klaus Finken, "aber die Qualität steuern wir mit unseren fast 140 Mitarbeitern von hier aus."

Immer digitaler, immer mehr kleine Firmen, immer mehr Dienstleistungen wie bei LSD - in diese Richtung bewegt sich auch das frühere Land von Kohle und Stahl, wenn man der neuen NRW-Studie des Forschungsinstituts Prognos glauben darf.

Welche Branchen und Industriestandorte sich wie entwickeln zeigt unsere umfangreiche Grafik, die Sie sich hier im PDF-Format anschauen können.

Dabei wachsen Industrie und Dienstleister immer enger zusammen. Das Rheinland gewinnt innerhalb von NRW weiter an Gewicht. So legt die Region Düsseldorf in den nächsten Jahren jeweils um mindestens 1,3 Prozent in der Wirtschaftsleistung (Bruttowertschöpfung) zu, die Regionen Köln-Bonn sowie Münster liegen ebenso gut, aber die Region Aachen, der Niederrhein und erst recht große Teile des Ruhrgebiets entwickeln sich schlechter.

Gleichzeitig verwandelt sich das ganze Land immer mehr in eine Dienstleistungsgesellschaft. "Dieser Wandel vollzieht sich unaufhaltsam", sagt der Düsseldorfer Prognos-Partner Axel Seidel, "aber dabei sind die Industriekonzerne oft die wichtigsten Auftraggeber der Dienstleister."

So prognostiziert Prognos den Dienstleistungen rund um Telekommunikation, Informationstechnik und Verkehr bis 2030 einen Zuwachs von 1,4 Prozent pro Jahr - also insgesamt mehr als 20 Prozent. Als Ganzes legen Dienstleistungen in diesem Zeitraum pro Jahr aber nur um 1,2 Prozent zu, weil gerade der öffentliche Dienst teilweise seine Ausgaben senkt.

Etwas weniger legt dagegen die Industrie mit im Schnitt 1,1 Prozent Zuwachs im Jahr zu, wobei aber die einzelnen Sektoren enorm auseinanderklaffen.

Um sensationelle 2,7 Prozent per annum könnte der sonstige Fahrzeugbau rund um Zulieferungen für Airbus und den Bau neuer Züge wachsen - das verheißt gute Zeiten für den Bau von ICE-Zügen von Siemens in Krefeld.

Um mehr als zwei Prozent wächst der Verkauf von Geräten rund um Elektronik und Optik - da können sich Unternehmen wie Aixtron in Aachen freuen. Als am drittstärksten wachsende Industrie in NRW legt Pharma alle zwölf Monate um 1,7 Prozent zu - gerade Bayer glänzt in diesem Bereich. Der Börsenwert der Leverkusener liegt mit 101 Milliarden Euro höher als der jedes anderen Unternehmens in Deutschland.

Und trotz hartem Preiswettbewerb sieht Prognos auch die vielen Chemieunternehmen der Region als Sieger: Im Schnitt legen die Essener Evonik, die Kölner Lanxess, und die vor der Abspaltung stehende Bayer-Chemie-Sparte (Material Science) bis 2030 um 1,6 Prozent pro Jahr zu. "Mit spezialisierten Angeboten werden wir auch künftig unsere Position auf den Märkten behaupten", sagt Daniel Brünink, Leiter Economic and Market Intelligence bei Evonik.

Doch wo viel Licht ist in NRW, ist auch viel Schatten im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands. So bedrohen die hohen Energiepreise die Standortsicherheit aller Chemie- und der Stahlkonzerne. Die Landesregierung will offiziell zwar Firmengründungen fördern, drangsaliert aber kleine Firmen mit rigiden Regeln bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Das Land würde NRW auch gerne noch mehr zum Zentrum der Logistikbranche machen - aber neue Flächen werden nur zurückhaltend ausgewiesen.

Hinzu kommt, dass keineswegs alle Branchen gleich stark wachsen. Der Maschinenbau und der Autobau wachsen mit jeweils 1,5 Prozent im Jahr zwar gut, aber nicht berauschend - Opel in Bochum hat geschlossen, Ford in Köln hatte zeitweise Kurzarbeit, beim Sprinter-Werk in Düsseldorf fallen 650 der 6500 Arbeitsplätze weg. "In der NRW-Autoindustrie fallen in der Produktion eher Stellen weg", warnt der Duisburger BWL-Professor Ferdinand Dudenhöffer, "das Land müsste da mehr tun."

Bei vielen Metallprodukten liegt der jährliche Zuwachs nur bei einem halben Prozent - Billigproduktion aus China verdrängt viele Angebote.

Und dass die Versorger auch nur etwas mehr als ein halbes Prozent zulegen pro Jahr, ist sowieso kein Wunder: Die früheren NRW-Vorzeigekonzerne RWE und Eon, aber auch viele Stadtwerke schwächeln, weil die zunehmende Produktion von Ökostrom die Großhandelspreise für Strom aus ihren Kraftwerken ruiniert hat, wogegen die jährlich mehr als 20 Milliarden Euro für Ökostromsubventionen überwiegend im Süden und Norden Deutschlands landen. "Die Energiewende läuft zuungunsten von NRW", heißt es bei Prognos, "denn hier gibt es viele traditionelle Kraftwerke, aber wenige Standorte für grünen Strom."

Sosehr sich die Lage der Branchen voneinander unterscheidet, so entwickeln sich auch die verschiedenen Landesteile auseinander. So bleibt es ein großes Problem der Landespolitik, dass große Teile des Ruhrgebiets, aber auch Südwestfalen, Ostwestfalen-Lippe und auch Teile des Niederrheins deutlich hinter dem Wachstum in der Rheinschiene und auch im Münsterland hinterherhinken.

Ein Grund ist, dass es viele junge Leute in die Metropolen Köln, Düsseldorf und die Universitätsstädte Bonn und Münster zieht, wogegen das nördliche Ruhrgebiet und einige andere Regionen Bevölkerung verlieren. "Da verstärken sich zwei Trends gegenseitig", sagt Prognos-Chefvolkswirt Michael Böhmer, "in bestimmten Städten locken erst einmal attraktive Arbeitgeber und die Hochschulen viele Leute an, und weil dann da viele gute Mitarbeiter und eine gute Infrastruktur sind, zieht das wiederum Unternehmen an und ermöglicht Neugründungen."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort