Reul zu tödlichen Polizeischüssen in Dortmund „Dauerfeuer ist unzulässig“

Düsseldorf · Innenminister Herbert Reul hat sich im Hauptausschuss des Landtags zu den tödlichen Schüssen auf einen 16-jährigen Senegalesen in Dortmund geäußert. Der Inspekteur der Polizei schildert, dass die Umstellung von Einzel- auf Dauerfeuer bewusst erfolgen muss – und verboten sei.

Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, geht am Dienstag durch den Landtag zum Hauptausschuss.

Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, geht am Dienstag durch den Landtag zum Hauptausschuss.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Innenminister Herbert Reul (CDU) hat sich im Hauptausschuss des Landtags zu den tödlichen Schüssen auf einen 16-jährigen Senegalesen in Dortmund geäußert. Er fühle sich nicht wohl in seiner Haut, gestand der Minister. Er würde gerne so viel sagen, dürfe aber nicht: „Die Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei dauern an. Viele Informationen sind noch nicht gesichert. Da geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit“, verteidigte er seine Einsilbigkeit, um sich dann mit Hilfe eines Tricks doch zu äußern: der Flucht ins Hypothetische.

Es gebe bestimmte Lebenssachverhalte, die den Einsatz der Bodycam ausschlössen, verteidigte Reul den Umstand, dass die Kameras während des Einsatzes nicht liefen. So sei laut NRW-Polizeigesetz die Aufzeichnung personenbezogener Daten dann unzulässig, wenn sie dem „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ zuzurechnen sei, erklärte der Minister – beispielsweise in einer Schlafzimmer-Situation. „Aber ich kann mir vorstellen, dass auch existenzielle Situationen, wie zum Beispiel Suizidgedanken ebenfalls unter diesen Kernbereich privater Lebensgestaltung fallen können.“

Der Jugendliche soll gedroht haben, sich mit einem Messer das Leben zu nehmen, ehe er die Beamten angegriffen haben soll. „Jetzt stellen Sie sich doch bitte einmal vor, Sie sind emotional sehr aufgewühlt und halten sich ein Messer an den Bauch. Wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihnen in dieser Situation auch noch mitgeteilt wird, dass Sie gerade dabei gefilmt werden?“ Reul fügte jedoch an: „Ob das im konkreten Fall tatsächlich die Motivation der eingesetzten Beamten war, weiß ich nicht.“

Ins Zentrum der Diskussion rückt nun vor allem die Schussabfolge. Insgesamt sechs Schüsse aus einer Maschinenpistole wurden abgegeben, fünf trafen den jungen Mann. Reul erklärte, das NRW-Polizeigesetz mache keinerlei Unterschied zwischen einer Pistole und einer Maschinenpistole. „Auch die Trefferwirkung ist grundsätzlich in beiden Fällen identisch.“ Bei beiden Waffentypen werde die gleiche Munition verwendet. Die Maschinenpistole gehöre zur Standard-Ausstattung jedes Streifenbeamten und sei nicht etwa eine Spezialwaffe, die nur von Spezialeinheiten oder in besonderen Terrorlagen verwendet würde. Allerdings fügte Reul an: „Nach Erlasslage ist mit der Maschinenpistole aber nur die Abgabe einzelner Schüsse zulässig.“

Damit rückt der Beamte, der schoss, in den Fokus. Gegen ihn wird wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt. Auch der Inspekteur der Polizei, Michael Schemke, erläuterte den Ausschussmitgliedern auf Nachfrage noch einmal die einzelnen Handgriffe, mit denen bei der Maschinenpistole von Einzel- auf Dauerfeuer umgestellt werden kann. Schemke schloss mit den Worten: „Wer heute auf Dauerfeuer stellt, muss es ganz bewusst machen – und das ist nicht erlaubt.“

Der innenpolitische Sprecher der FDP, Marc Lürbke warf die Frage auf, ob der Jugendliche schon einen Tag vorher die Polizeiwache Nord aufgesucht habe und seine Suizidabsicht kundzutun. Reul verwies auch diesbezüglich auf die Ermittlungen. „Der Fakt ist klar, dass er in der Klinik war und entlassen worden ist.“

Die SPD-Abgeordnete Christina Kampmann erklärte, es sei schon verwunderlich, dass der Leiter der Einrichtung, an der sich der Vorfall abgespielt habe, der Polizei mitgeteilt habe, dass der junge Mann Französisch spreche, die Beamten ihn aber nur auf Deutsch, Englisch und Spanisch angesprochen hätten. Reul antwortete zunehmend gereizt. Bedauerlicherweise gebe es keine Rufbereitschaft für Übersetzer. Es könne also Zeit dauern, ehe jemand hinzugezogen werden könne. „An jeder Dienststelle einen Dolmetscher vorzuhalten, der passend ist, werden wir nicht einlösen können“, sagt er. Die Polizisten könnten mittlerweile aber alle Englisch.

Vor allem der Vorwurf des SPD-Abgeordneten Sven Wolf, er verzögere, brachte Reul hörbar in Rage. „Mich in eine Ecke zu bringen, ich sei der große Abwarter – Herr Wolf, wo waren Sie in den letzten fünf Jahren?“ Allerdings wirft die Opposition dem Minister vor, ein an die Medien gelangten Polizeibericht datiere auf den 9. August. Also zwei Wochen Zeit für die Prüfung. Die noch junge Legislaturperiode hat mit dem Fall ihre erste politische Großbaustelle.

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