Wirbel um Rahmede-Brücke „Übernehmen Sie heute Verantwortung für das gesamte Brückendebakel“

Düsseldorf · Vertuschung, Lügen, kriminelle Energie: Heftige Vorwürfe gehen an Ministerpräsident Hendrik Wüst wegen seiner Rolle bei der Sperrung der maroden Rahmede-Brücke. Bei der Debatte im Landtag kochten Emotionen hoch udn gipfelten in der Forderung, Wüst müsse die Verantwortung übernehmen.

Lüdenscheid:  Sperrung der A45-Talbrücke Rahmede  - Chronik
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Ein Jahr Sperrung der A45-Talbrücke Rahmede

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Foto: dpa/Bernd Thissen

Lügen und Vertuschung warfen Abgeordnete dem Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) vor, es gab Aufruhr im Landtag und wütenden Protest: Die Aussprache zur Sperrung der Rahmede-Brücke der Autobahn 45 geriet zu einer Abrechnung mit dem Chef der schwarz-grünen Landesregierung.

„Die Menschen müssen dank Ihnen jeden Tag vor Wut und Verzweiflung ins Lenkrad beißen“, schmetterte SPD-Fraktionsvize Alexander Vogt dem Ministerpräsidenten entgegen. „Welches Verhältnis hat dieser Ministerpräsident eigentlich zur Wahrheit?“, fragte FDP-Fraktionschef Henning Höne. Klaus Esser (AfD) befand, die Löschung von möglicherweise belastendem Material zeige „eine gewisse kriminelle Energie“.

Mit der Sperrung der maroden Rahmede-Brücke der Autobahn 45 ist seit gut einem Jahr eine enorm wichtigen Verkehrsader, die Sauerland-Linie, unterbrochen. Die Folgen für Menschen und Wirtschaft sind dramatisch. Dabei ist seit 2014 klar, dass die Brücke ersetzt werden muss. Das geplante Neubau-Projekt wurde aber mehrfach verschoben. Schlussendlich musste die Brücke Ende 2021 dichtgemacht werden, ohne dass es einen Ersatz gab.

In den Jahren 2017 bis 2021 war der heutige Ministerpräsident Hendrik Wüst Verkehrsminister von NRW, und zuletzt hatten Recherchen von t-online ergeben, dass E-Mails zwischen Verkehrsministerium und Staatskanzlei aus dem Jahr 2020, die womöglich Aufschluss über die Entscheidungsprozesse hätten geben können, in beiden Häusern vollständig gelöscht wurden. Das war der letzte Funke, den es noch brauchte, um die Empörung der Opposition vollends zu entzünden.

In seine Amtszeit seien die Fehlentscheidungen gefallen, hielt die SPD dem Ministerpräsidenten vor. Er habe die Schuld erst auf seine Vorgänger im Verkehrsministerium, dann auf seine Mitarbeitenden geschoben, und nun versuche die Landesregierung es mit Vertuschung. „Übernehmen Sie heute Verantwortung für das gesamte Brückendebakel“, forderte Vogt.

„Die Unterlagen und die E-Mails, die stoppen genau an den Stellen, wo es spannend wird“, sagte FDP-Fraktionschef Henning Höne. „Sie müssen doch selber zugeben, dass das schon ein sehr großer und vor allem sehr angenehmer Zufall für diese Landesregierung ist.“

Sogar eine Rücktrittsforderung gab es aus den Reihen der AfD: „Tun Sie endlich was für unsere Unternehmen, für unsere Arbeitsplätze, oder räumen Sie Ihren Sessel“, rief der Abgeordnete Christian Loose in Richtung des Ministerpräsidenten Wüst.

Wüst selbst sprach nicht bei der Debatte. Für die Landesregierung trat zunächst Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) ans Mikrofon und setzte zu einem Gegenangriff an: Ungerechtfertigt seien die Vorwürfe, unredlich das Verhalten der Oppositionsfraktionen. Diese verbreiteten eine „Geschichte“ und hielten die Beschäftigen in den Behörden „mit unsinnigen und fragwürdigen kleinen Anfragen“ von der Arbeit ab.

Anschließend kämpfte er sich stimmlich durch die wütenden Protestrufe und den Tumult, den er damit provoziert hatte.

Krischer verwies auf die Verantwortung des Bundes. Wenn Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) in Berlin nicht schnell andere Prioritäten setze, „dann haben wir nicht nur einmal Rahmede im Land, dann haben wir Rahmede hoch Acht im Land. Und das, meine Damen und Herren, ist der eigentliche Skandal“, sagte er. 873 Autobahnbrücken in NRW müssten in den nächsten zehn Jahren saniert werden. Geschafft seien bislang 31 Brücken im Jahr 2021, 43 im Jahr 2022, „das ist nicht einmal die Hälfte dessen, was erforderlich ist“.

Nathanael Liminski (CDU) heute Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und heute wie in der vergangenen Legislaturperiode Chef der Staatskanzlei, wies den Vorwurf der Intransparenz „in aller Entschiedenheit“ zurück. Alles, was relevant sei, sei vollständig vorhanden. Bei den gelöschten Mails sei es lediglich um Informationen zur Vorbereitung eines Termins gegangen, und E-Mail-Fächer ehemaliger Mitarbeiter würden eben nicht bis ultimo aufbewahrt.

Die Opposition wischte das vom Tisch. „Wir werfen Ihnen vor, dass Sachen gelöscht wurden, die vorher veraktet waren“, sagte SPD-Sprecher Alexander Vogt.

Einigkeit bestand über eines: über die dramatischen Auswirkungen, die die Brückensperrung auf die gesamte Region hat. Die Umleitungsrouten tragen durch die Überlastung ebenfalls Schäden davon. Anwohner werden um den Schlaf und mit dem vielen Verkehr auch um ihre Sicherheit gebracht. Firmen lagern Standorte aus.

Der CDU-Abgeordnete Ralf Schwarzkopf, selbst Unternehmer aus Lüdenscheid, beschrieb eigene Erfahrungen. In seinem Betrieb hätten wegen der jetzt längeren Anfahrt bereits fünf Mitarbeiter gekündigt. Die Stadt Lüdenscheid müsse wegen längerer Fahrtrouten für einen hohen Millionenbetrag eine neue Feuerwache bauen. Er verwies auf ein älteres Gutachten, das von einem volkswirtschaftlichen Schaden von 1,8 Milliarden Euro für die gesamte Region ausging – sofern die Brücke in fünf Jahren neu gebaut sei.

  Bauarbeiten an der A45-Talbrücke Rahmede. Um die Sperrung der Sauerland-Linie und die Verantwortung des heutigen NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) ging es im Landtag.

Bauarbeiten an der A45-Talbrücke Rahmede. Um die Sperrung der Sauerland-Linie und die Verantwortung des heutigen NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) ging es im Landtag.

Foto: dpa/Dieter Menne

Er sprach auch von Bemühungen der Landesregierung: Das Schulministerium befasse sich bereits damit, wie man Berufsschülern helfen könne, die ins Ruhrgebiet pendeln müssen, und das Gesundheitsministerium mit Pflegediensten, die es nicht mehr zu ihren Klienten schaffen oder für die sich die lange Anfahrt nicht mehr lohnt. Schwarzkopf blickte bei der Frage nach der Verantwortung aber nicht einige Jahre, sondern Jahrzehnte zurück. Schon in den 90er Jahren sei erkennbar gewesen, dass die Brücken der 1970er Jahre für den zunehmenden Schwerverkehr nicht geeignet seien. Schon damals hätte es einen Masterplan geben müssen, sagte er.

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