„Hass lauert im Netz“ Politische Gewalt in NRW ist laut Verfassungsschutzbericht deutlich gestiegen

Düsseldorf · Mehr Gewalt von links, eine Radikalisierung der rechten Szene und dschihadistische Hinterhof-Kitas für die Kleinsten: Die Gefahren für die Demokratie sind vielfältig und die politisch motivierte Gewalt nimmt zu.

 Herbert Reul (CDU), Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, stellt den neuen Verfassungsschutzbericht für NRW vor.

Herbert Reul (CDU), Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, stellt den neuen Verfassungsschutzbericht für NRW vor.

Foto: dpa/Guido Kirchner

Die politisch motivierte Gewalt in Nordrhein-Westfalen ist deutlich gestiegen. Nach 577 Gewalttaten im Jahr 2017 gab es im vergangenen Jahr 820 Taten - ein Anstieg von 42 Prozent. Das teilte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Mittwoch in Düsseldorf bei der Vorstellung des neuen NRW-Verfassungsschutzberichtes mit. Der Anstieg sei vor allem durch Taten von Linksextremisten im Bereich des Hambacher Forsts verursacht worden. Diese hätten schwerste Verletzungen von Polizisten in Kauf genommen. Die linksextremistisch motivierte Gewalt habe sich von 191 auf 447 Taten mehr als verdoppelt.

Aber auch die Zahl antisemitischer Gewalttaten sei sprunghaft von 6 auf 16 Taten gestiegen. Insgesamt wurden 350 antisemitische Straftaten registriert. 90 Prozent der aufgeklärten Taten hätten einen rechtsradikalen Hintergrund. „Es kann nicht sein, dass Juden in Deutschland sich unwohl fühlen müssen, wenn sie mit einer Kippa durch die Stadt gehen“, sagte Reul.

„Der Hass lauert im Netz. Von hier breitet er sich wie eine Krankheit aus“, sagte der Minister. Die Demokraten müssten sich endlich zu tiefgreifenden Änderungen durchringen, um den Extremisten das Wasser abzugraben. „Wir können solche Entwicklungen nicht weiter zulassen“, sagte Reul.

Eine „riesige Hilfe“ wäre es, wenn die Polizei bei Straftaten im Internet endlich an die IP-Adressen der Absender käme. Die Speicherfristen seien viel zu kurz. Die Portalbetreiber könnten zudem mehr gegen die Verbreitung von Hass im Netz tun: „Beim Löschen ist Luft nach oben.“ Reul sprach sich zudem für ein „Vermummungsverbot“ im Internet aus, eine Pflicht, sich unter tatsächlichem Namen zu äußern.

Was rechtsextreme Attentäter angehe, sei die Löschpflicht des Verfassungsschutzes problematisch, die einsetze, wenn sich Rechtsextremisten fünf Jahre lang unauffällig verhalten, sagte NRW-Verfassungsschutz-Chef Burkhard Freier. Sowohl der Attentäter auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker als auch der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) hätten eine rechtsradikale Vergangenheit, seien vor ihren Taten aber jahrelang unauffällig gewesen.

Die rechte Gewalt sei 2018 leicht von 206 auf 217 Taten angestiegen. Der Verfassungsschutz zählte im vergangenen Jahr 3255 Rechtsextremisten in NRW, davon wurden 2000 als gewaltbereit eingestuft. Ihre Zahl habe sich zwar kaum verändert, aber die Szene radikalisiere sich mehr und mehr, sagte Reul. Zu den 14 rechtsextremen Gefährdern in NRW, denen man Terroranschläge zutraue, kämen 120 rechtsextreme Intensivtäter.

Der politische Mord am Regierungspräsidenten Lübcke habe erschreckend vor Augen geführt, dass die Gefahr von rechts nicht zu unterschätzen sei. „Braune Gedanken sind in letzter Zeit leider wieder salonfähig geworden. Die Rechtsextremisten von heute kommen nicht mehr Baseballschläger schwingend daher“, sagte Reul. Ihre Aktivitäten hätten sich von verrauchten Hinterzimmern in digitale Chatrooms verlagert.

Die Zahl der Salafisten sei in NRW um 100 auf 3100 Menschen gewachsen. Sorge bereiteten Hinterhof-Kitas, in denen schon Kleinkinder mit Dschihad-Propaganda indoktriniert würden. Noch gefährlicher für die Demokratie seien aber aus Sicht des Verfassungsschutzes die Muslimbrüder, sagte Freier.

Sie wollten wie die Salafisten einen islamischen Staat nach dem Recht der Scharia, seien aber gut gebildet und keine „Underdogs“. Unter ihnen seien Zahnärzte und Wirtschaftsprüfer. Die Muslimbruderschaft übe einen großen Einfluss auf den Zentralrat der Muslime aus. Auch die türkisch-islamische Union Ditib, größter Dachverband der Moscheegemeinden in Deutschland, scheue die Zusammenarbeit mit den Muslimbrüdern nicht.

(ham/mba/dpa)
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