Zinswetten mit Schweizer Franken NRW-Städte verzockten 344 Millionen

Düsseldorf · Ausgerechnet die hoch verschuldeten Kommunen des Ruhrgebietes haben sich besonders gerne auf Franken-Währungswetten eingelassen. Nach Auskunft von NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) hatten 27 NRW-Kommunen sich zum Stichtag 31. Dezember 2014 mit insgesamt 1,678 Milliarden Schweizer Franken verschuldet.

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Das Problem: Wenige Tage später hob die Schweiz den seit Jahren gültigen Mindest-Wechselkurs von 1,20 Euro auf, so dass sich der Franken aus deutscher Sicht faktisch um rund 20 Prozent verteuert hat. Damit wird die Rückzahlung der Kredite für die NRW-Kommunen nach aktuellem Wechselkurs 344 Millionen Euro teurer als geplant.

Der Kommunal-Ausschuss des Landtages berät am Freitag über einen gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU und FDP, der den Kommunen derartige Spekulationsgeschäfte künftig verbieten will. Der Entwurf sieht "ein förmliches Verbot von spekulativen Finanzgeschäften für Kommunen" vor. Zusätzlich fordert die CDU eine neue "Kommunalfinanzagentur", die Kommunen beim Schuldenmanagement unterstützen soll. Dies könne "einen höheren Grad an Professionalität" gewährleisten, heißt es in der Begründung des Antrags.

Den aktuellen Zahlen zufolge ist die Stadt Essen am höchsten mit Franken-Krediten belastet. Sie hat ein Kreditvolumen in Höhe von 450 Millionen Franken in den Büchern stehen, muss also mit ungeplanten Verlusten in Höhe von rund 90 Millionen Euro rechnen. Es folgt Bochum mit einem Franken-Kredit in Höhe von knapp 221 Millionen Franken und Dorsten (125 Millionen).

Hintergrund: Bei den meisten NRW-Kommunen reicht das Geld in der Haushaltskasse hinten und vorne nicht mehr. Sie haben im Laufe der Jahre so massiv Schulden angehäuft, dass sie teilweise nicht einmal mehr selbst über ihren Haushalt verfügen dürfen. Um wenigstens ihre Zinslast zu senken, sind viele NRW-Kommunen hoch spekulative Geschäfte an den Finanzmärkten eingegangen. Neben den 27 Kommunen, die auf den Schweizer Franken gewettet haben, ließen sich über 100 auch auf so genannte Zinswetten ein, bei denen sie auf bestimmte Zinskurvenverläufe spekuliert haben. Zusammen mit den Franken-Wetten schätzen Experten den Gesamtverlust der NRW-Kommunen durch solche Geschäfte auf bis zu einer Milliarden Euro.

Pikanter Weise hat ausgerechnet die ehemalige Landesbank von NRW, die WestLB, besonders aktiv für Währungswetten auf den Schweizer Franken geworben. Das geht aus Schulungsunterlagen der WestLB für so genannte "Bürgermeisterseminare" hervor, die unserer Redaktion vorliegen. Dort wurden die hoch riskanten Kredite in der Schweiz empfohlen, weil dort ein "restriktives Bankgeheimnis" für Kapitalzuflüsse sorge. Außerdem könne man von einem dauerhaft günstigen Wechselkurs ausgehen, weil die Schweiz ein Eigeninteresse daran habe.

Das war auch jahrelang so - bis die Schweiz Anfang 2015 die Politik des künstlich billig gehaltenen Frankens aufgab. "Diese Möglichkeit bestand immer. Ich habe nicht den Eindruck, dass die WestLB ausreichend auf dieses Risiko hingewiesen hat", sagt der auf dieses Gebiet spezialisierte Rechtsanwalt Jochen Weck. Auch Finanzexperten glauben, die WestLB hätte den Kommunen niemals zu solchen Geschäften raten dürfen. Eine Verschuldung in Auslandswährung sei "fahrlässig bis zum Geht-nicht-mehr", sagt zum Beispiel Finanzprofessor Hans-Werner Sinn.

Sollte der Nachweis einer unzureichenden Beratung gelingen, droht den WestLB-Nachfolgern Schadensersatz. Wegen von der WestLB vermittelter Spekulationsgeschäfte trägt die EAA aktuell mit knapp 50 NRW-Kommunen Rechtsstreitigkeiten aus. Das Innenministerium rät den Kommunen, "mögliche Ansprüche gegen Vertragspartner zu prüfen, auch Schadenersatzansprüche". Der Städte- und Gemeindebund NRW sieht darin sogar eine kommunale Pflicht.Die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen hat vor wenigen Wochen ein Spekulationsverbot für Kommunen auf den Weg gebracht. In Sachsen gilt ein solches Verbot seit 2012, andere Bundesländer wollen nach dem Franken-Desaster zumindest Fremdwährungskredite verbieten.

Rot-Grün lehnt das in NRW bislang ab. Speziell Währungswetten hat Jäger noch Ende vergangenen Jahres erlaubt. In seinem Krediterlass vom 16. Dezember heißt es: "Die Gemeinden können (...) auch Kredite in fremder Währung aufnehmen. (...) Wegen des möglichen Wechselkursrisikos (...) bedarf es (...) der laufenden, eigenverantwortlichen Kontrolle."

(tor)