Neue Doppelspitze der NRW-SPD “Hendrik Wüst ist abgetaucht“

Interview | Düsseldorf · Sarah Philipp und Achim Post sollen die NRW-SPD nach dem Wahldebakel im Mai 2022 wieder aufrichten. Im Interview sprechen die beiden über die Gefahren einer Wagenknecht-Partei, das Stimmverhalten der CDU in Thüringen und die Arbeit des Ministerpräsidenten.

 Sarah Philipp und Achim Post.

Sarah Philipp und Achim Post.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

In Umfragen verliert die SPD im Bund und im Land. Woran liegt das in NRW?

Philipp Die nächste Landtagswahl ist 2027. Dann zählt es im Land. Bei der Landtagswahl 2022 haben wir nicht gegen Hendrik Wüst und die CDU verloren, sondern gegen die Nichtwähler. Die mangelnde Mobilisierung war für die SPD ein großes Problem. Wir haben es nicht geschafft, den Leuten deutlich zu machen, dass es einen Unterschied macht, ob sie ihr Kreuz bei der SPD machen. Wir müssen es 2027 hinbekommen, neues Vertrauen zu gewinnen und damit eine Wechselstimmung zu erzeugen.

Post Als wir beide angetreten sind, um die neue Doppelspitze für die NRW-SPD zu werden, kannten wir die Ausgangslage: Umfragewerte von gut 20 Prozentpunkten für die SPD und Mitte 30 Prozentpunkte für die CDU. Für uns ist das ein Motivationsschub. Es ist unsere Aufgabe, das deutlich zu verbessern. Natürlich spielt bei solchen Umfragen auch eine Rolle, was in Berlin passiert.

Die Querelen der Ampel-Koalition.

Post Die Performance der Ampel ist gar nicht so schlecht: Vor allem haben wir mehrere Krisen bewältigt, drei Entlastungspakete aufgelegt. Aber wir verkaufen es nicht gut. Wenn drei Chef-Verkäufer eines Autohauses sich vor potenziellen Kunden über die Qualität des Fahrzeugs streiten, kaufen sie als Kunde ja auch woanders.

Sie sind die erste Doppelspitze für den Landesverband der SPD in NRW. Was bringt das Modell jetzt für Ihre Partei?

Philipp Bundes- und Landesebene finden sich in der Spitze wieder. Wir wollen mehr zusammenarbeiten, uns besser verzahnen. Da war Luft nach oben. Es ist wichtig, einen besseren Austausch hinzubekommen. Wir führen auf Bundesebene die Regierung an mit Bundeskanzler Scholz und müssen in NRW politischen Druck auf die lethargische Regierung aus CDU und Grünen machen. Diese herausfordernde Doppelrolle lässt sich in einer Doppelspitze besser ausfüllen.

Wie gefährlich wird eine Wagenknecht-Partei für die SPD?

Post Vielleicht wird die Europawahl dafür ein erster Testlauf. Frau Wagenknecht versucht, die alten Ideen von links und rechts zu vermischen. Sie argumentiert wirtschafts- und sozialpolitisch sehr links und bei Dingen wie Einwanderung, Migration, Asyl, sehr rechts. Eine solche Partei wird der AfD etwas wegnehmen und die Linkspartei in noch größere Schwierigkeiten bringen. Aber klar: Wenn wir nicht besser werden, kann sie es schaffen, auch der SPD Stimmen wegzunehmen. Wenn wir besser werden, dann schafft sie es nicht.

Die AfD ist in den Kerngebieten der SPD vergleichsweise stark. Woran liegt das?

Post Durch die Modernisierungsprozesse der letzten Jahre und Jahrzehnte gibt es in nicht wenigen Städten und Regionen, auch bei uns in NRW, Leute die sich durch die Politik im Allgemeinen und die SPD im Besonderen nicht mehr abgeholt fühlen. Viele von ihnen haben gar nicht mehr gewählt, einige überlegen jetzt, aus Protest rechts zu wählen. Alle demokratischen Parteien haben die Verantwortung, durch gute und klare Politik den Nährboden der AfD trocken zu legen.

In Thüringen haben CDU und FDP mit den Stimmen der AfD eine Steuersenkung durchgesetzt. Können Sie ausschließen, dass es ein gemeinsames Vorgehen von AfD und SPD gibt?

Post Ja. Das schließen wir aus. Wir werden keine Beschlüsse fassen, bei denen wir uns von Extremisten abhängig machen – schon gar nicht in NRW oder im Bund. Die CDU hat die gemeinsame Sache mit der AfD in einem Bundesland mindestens billigend in Kauf genommen. Und das ausgerechnet in Thüringen – da reden wir über einen Landesverband, der laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextrem ist.

Philipp Es gibt immer verschiedene Möglichkeiten unter Demokraten, sich Mehrheiten zu beschaffen. Man kann im Vorfeld verhindern, dass man sich plötzlich an der Seite der AfD sieht. Diese Möglichkeit hat es auch in Thüringen gegeben. Die CDU hat aber lieber mit einer rechtsextremistischen AFD Politik gemacht.

Und in Kommunalen Gremien? Gibt es eine Vorgabe, dass so etwas nicht passieren darf?

Philipp Wir müssen in der SPD aufgrund unseres historischen Selbstverständnisses nicht von oben vorgeben, dass wir nicht mit Rechtsaußen kooperieren. Wenn so etwas, warum auch immer, vorkommen sollte, dann werden wir als Landespartei unseren Standpunkt klar machen. Die zeitlichen Abstände, in denen man in der CDU solche Kooperationen eingeht, werden immer geringer. Das ist keine gute Entwicklung und sehr besorgniserregend.

Bei Kritik an der Landesregierung schießen Sie sich besonders auf Innenminister Herbert Reul und Schulministerin Dorothee Feller ein. Reul entzaubern und Feller vorführen – ist das Ihre Strategie?

Philipp Da gibt es auch noch andere. Ich denke da an die Ministerin für Familien und Flucht, Josefine Paul. Eltern können sich nicht sicher sein, ob sie ihre Kinder morgen oder nächste Woche in der Kita abgeben können. Bei der Sorge für Geflüchtete ist das Land gegenüber den Kommunen unzuverlässig. Da läuft gerade einiges falsch im Ministerium. Aber nur, weil ein Ressort besonders schlecht läuft, laufen die anderen natürlich nicht besser. Der Lehrermangel wird immer schlimmer und Frau Feller findet kein Konzept dagegen. Es gibt zudem große Verunsicherung über Finanzierung und Personalausstattung im Ganztag an Grundschulen. Und Herbert Reul redet viel über Clans, und wenn man ihn auf Probleme anspricht, sagt er auch nach sechs Jahren im Amt, dass er nicht zaubern könne. Ich kann Ihnen als Duisburgerin sagen: Clankriminalität ist ein Thema. Bei Organisierter Kriminalität muss der Staat Stärke zeigen. Also muss Reul jetzt auch mal liefern.

Wie sehen Sie die Rolle von Ministerpräsident Hendrik Wüst?

Philipp Bei all den Problemen, die seine Minister in ihren Ressorts haben, tritt Hendrik Wüst einfach gar nicht in Erscheinung. Ich kann mich an kein Statement erinnern, mit dem er sich mal grundsätzlich zum Thema Bildung, Wohnungsnot, Innere Sicherheit geäußert hat. Er taucht ab. Dieses präsidiale Auftreten wird auf Dauer nicht reichen. Er ist der Chef des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. Die Leute erwarten zurecht, dass ein Ministerpräsident auch mal in großen Debatten Stellung bezieht und selbst aktiv wird.

Olaf Scholz zögert beim Industriestrompreis. Wünschen Sie ihn sich für Nordrhein-Westfalen?

Post Ja. Ich bin für einen Industriestrompreis. Und wir sind mit Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner auch in konstruktiven Gesprächen darüber, wie man wettbewerbsfähige Strompreise für Betriebe und Beschäftigten sichern kann. Es muss jetzt schnell eine Lösung her, deswegen reden wir auch über weitere Entlastungsinstrumente. Uns geht es darum, den Wettbewerbsnachteil für die energieintensive Industrie in Deutschland, gerade in Nordrhein-Westfalen, zu beseitigen oder zu minimieren. Der Bundeskanzler hat gesagt, er ist gegen eine Dauersubvention des Strompreises. Und da hat er Recht, die wollen wir auch nicht. Wenn es genug erneuerbare Energien gibt - und das wird in einigen Jahren der Fall sein – sinken die Preise. Dann brauchen wir diese Maßnahmen nicht mehr.

Was sagen Sie der Familie, die den billigeren Strom auch gerne hätte?

Post Bei den aktuellen Diskussionen geht es darum, dass man zielgerichtet den Kern unseres Wohlstandes und unserer Beschäftigung in Nordrhein-Westfalen erhält. Natürlich denken wir auch an die Menschen, deren Stromrechnung zu hoch ist. Deswegen haben wir zum Beispiel für die Energiepreisbremse 200 Milliarden Euro auf den Tisch gelegt. Und wir haben Bürgergeld, Wohngeld und Kindergeld deutlich gestärkt, auch das hilft.

Die Warnungen vor einer Deindustrialisierung in NRW sind also fundiert?

Philipp Das muss man ernst nehmen. Wenn diese Jobs weg sind, kommen sie so nicht mehr wieder. Und man muss in der Industrie viele Transformationsprozesse auf den Weg bringen. Meine Heimatstadt Duisburg ist Europas Stahlstandort Nummer eins, da geht es um die Umstellung auf grünen Stahl und große Investitionen. Die Landesregierung müsste dafür viel mehr tun. In Nordrhein-Westfalen gibt es zu wenige öffentliche Investitionen in Industrie, aber auch in Wohnungsbau und Bildung. Unser Bundesland wird abgehängt.

Post Warum kann das Saarland einen Transformationsfonds auflegen und NRW nicht? Auf Bundesebene haben wir den Klima- und Transformationsfonds eingerichtet. So schaffen wir es trotz der anspruchsvollen Haushaltslage, im nächsten Jahr insgesamt 112 Milliarden Euro in die Zukunft zu investieren. Das gab es in der bundesdeutschen Geschichte so noch nie. Solche mutigen Investitionen vermisse ich auf Landesebene hier.

Zur Industrie gehören die Gewerkschaften. Passt die Forderung nach einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich in diese Zeit?

Philipp Diese Diskussion ist nur ein Teilaspekt, wenn es um die Zukunft der Arbeit geht. Darüber darf und muss in der SPD als Partei der Arbeit auf jeden Fall diskutiert werden. Man muss natürlich schauen, in welchen Branchen das überhaupt möglich ist. Wir werden solchen Debatten in der NRW-SPD Raum geben.

2024 ist die Europawahl. Wie viel Prozent will die SPD in NRW holen?

Post Mehr als beim letzten Mal. Da waren es in NRW 19,2 Prozent, auf Bundesebene 15,8 Prozent. Das Ziel ist: Da wollen wir jetzt schon jeweils fünf Prozent oben draufpacken.  Auch indem wir die richtigen Themen setzen: gute Arbeit, zukunftsgerichtete Wirtschafts- und Industriepolitik, sozialer Zusammenhalt und der Kampf für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus.

Die Mitgliederzahlen der SPD gehen zurück. Wie wollen sie junge Leute wieder binden?

Philipp Wir müssen uns genauer anschauen: Wo sind eigentlich die jungen Leute, für die wir eigentlich Politik machen und mit denen wir doch nicht zusammenkommen? Es gibt viele Auszubildende in Betrieben mit einem hohen Organisationsgrad bei Gewerkschaften – die kommen nicht mehr automatisch zu uns. Auch da stellt sich für uns die Frage: Wie kommen wir wieder in die Betriebe?

Post Ich würde die Kraft der beiden großen Volksparteien nicht unterschätzen. Natürlich sind die Mitgliederzahlen nicht mehr so wie früher. Als ich eingetreten bin, 1976, hatte die SPD eine Million Mitglieder. Jetzt haben wir 400.000 in ganz Deutschland. Doch richtig ist auch:  In den neuen Fraktionen in Bund und Land sind jetzt für die SPD viele richtig gute, jüngere Abgeordnete dabei. Und die AfD zum Beispiel – da reden gerade alle über die Wahlprognosen, aber die hat 30.000 Mitglieder in ganz Deutschland. Die SPD hat allein in NRW dreimal so viele. Und natürlich werden wir uns dafür ins Zeug legen, dass möglichst viele neue, gerade auch jüngere, noch dazu kommen.

Wen wünschen Sie sich als Kanzlerkandidaten der Union – Friedrich Merz oder Hendrik Wüst?

Post Das entscheiden CDU und CSU ja selbst, sie wissen bloß noch nicht so genau, wie. Ich schätze, nach der Wahl in Bayern, bei der die CSU doch mittlerweile ziemlich unter Druck steht, ist zumindest der dortige CSU-Ministerpräsident Markus Söder nicht mehr der Favorit.

Philipp Mir persönlich ist das wie den meisten anderen Menschen im Land völlig egal. Ich bin nur gespannt, ob sie es für die Öffentlichkeit genau so dramatisch und unterhaltsam gestalten wie beim letzten Mal.

Wie entscheiden Sie, wer von Ihnen beiden Spitzenkandidat für NRW wird?

Post Wer aus den Reihen der SPD antritt, entscheiden wir, wenn es ansteht, und machen dann einen gemeinsamen Vorschlag.

Wie ist die Einigkeit in der SPD?

Philipp Sehr gut.

Post Könnte nicht besser sein.

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