Analyse zum Fall Sami A. Ein Kabinett verplappert sich

Düsseldorf · Es ist wie immer: Nicht die Fehler, die Integrationsminister Stamp bei der Abschiebung von Sami A. gemacht hat, sind das Problem. Erst die verunglückte Kommunikation im Nachgang hat die Landesregierung in Nöte gebracht.

Das sind die NRW-Minister im Kabinett von Armin Laschet
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Das ist das Kabinett von Armin Laschet

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Foto: dpa/Federico Gambarini

Mit dem Begriff „Regierungskrise“ sollte man sparsam umgehen. Er meint eine Lage, in der die ordnungsgemäße Regierung eines Landes gefährdet ist. Davon ist NRW weit entfernt. Aber nach der verunglückten Abschiebung des Gefährders Sami A. verrennen sich immer mehr Mitglieder der schwarz-gelben Landesregierung in kaum haltbare Positionen. So sehr, dass SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty – vor Kurzem immerhin noch NRW-Justizminister – bereits eine „Verfassungskrise“ ausmacht. Vielleicht ist auch dieser Begriff zu hoch gehängt. Aber weit entfernt davon ist das Land nicht.

Es muss einiges passieren, bis eine Bundeskanzlerin öffentlich einen Landesminister zur Ordnung ruft – noch dazu einen Parteifreund. Dazu sah Angela Merkel (CDU) sich vor wenigen Tagen genötigt, als NRW-Innenminister Herbert Reul das Oberverwaltungsgericht (OVG) maßregelte. „Es gilt für uns, dass die Entscheidungen von unabhängigen Gerichten zu akzeptieren sind“, stellte Merkel mit Blick auf Reul klar. Zuvor hatte das OVG die von NRW-Vizeministerpräsident Joachim Stamp (FDP) betriebene Abschiebung des Gefährders Sami A. für rechtswidrig erklärt. Das hatte Reul mit der Forderung quittiert, Gerichte müssten auch das „Rechtsempfinden der Bevölkerung“ beachten.

Es muss auch einiges passieren, bis die Präsidentin des obersten Verwaltungsgerichts in NRW das Vertrauensverhältnis zwischen Behörden und Justiz für gestört erklärt. Dazu sah Ricarda Brandts sich genötigt, weil die Behörden dem damals zuständigen Gericht aus ihrer Sicht Informationen vorenthalten und damit ein wirksames richterliches Vorgehen gegen die Abschiebung verhindert hatten. „Hier wurden offensichtlich die Grenzen des Rechtsstaates ausgetestet“, bilanzierte Brandts und riet Richtern, sich auf Zusagen von Behörden vorerst nicht mehr in jedem Fall zu verlassen. Der Fall wirft für sie auch „Fragen zu Demokratie und Rechtsstaat – insbesondere zu Gewaltenteilung und effektivem Rechtsschutz – auf“. Derart harte Kritik einer Richterin ist ein seltener Vorgang in der Landesgeschichte.

Als wäre der Schaden damit nicht groß genug, verstrickte sich die Landesregierung dann auch noch in ein offenbar unkoordiniertes Kommunikationschaos. In den gut 40 Tagen seit der Abschiebung haben mehrere Kabinettsmitglieder mit unglücklichen bis verunglückten Äußerungen ihre Reputation riskiert.

Joachim Stamp Das vom Vizeministerpräsidenten geführte Integrationsressort hat dem damals zuständigen Verwaltungsgericht Gelsenkirchen den Abschiebetermin von Sami A. bewusst vorenthalten. Schon dieses Vorgehen offenbart Stamps fragwürdiges Verhältnis zur Justiz. Als das Oberverwaltungsgericht die Abschiebung später für rechtswidrig erklärte, hob Stamp den Graben noch tiefer aus. Er werde die angeordnete Rückholung umsetzen. Stamp fügte aber trotzig hinzu: „Ich bin anderer Rechtsauffassung als das Gericht.“ Die Gerichtsverhandlung wäre der Ort gewesen, in dem die Landesregierung ihre Rechtsauffassung hätte vertreten lassen müssen. Wenn der Vizeministerpräsident aber einen letztinstanzlichen Gerichtsbeschluss nachträglich und fachlich infrage stellt, untergräbt die Exekutive die Autorität der Judikative. Das zeugt von mangelndem Respekt vor der Gewaltenteilung und damit vor dem Grundgesetz.

Herbert Reul Die Kritik des Innenministers an der Judikative wiegt weniger schwer, weil Reul kein konkretes Urteil angreift, sondern die Gerichte allgemein zu mehr Rücksichtnahme auf das Empfinden der Bevölkerung auffordert. Eine krude Position. Aber anders als Stamps fachliche Kritik an einem ranghohen Gericht ist Reuls Bemerkung als allgemeine Meinungsäußerung legitim. Wenngleich man sich von Reul, der ja auch Verfassungsminister ist, eine differenziertere Position gewünscht hätte. Verunglückt ist erst Reuls Versuch, der heftigen Kritik an seiner Bemerkung auszuweichen. In seiner nachgereichten Präzisierung heißt es: „Ich habe die große Sorge, dass die Bürgerinnen und Bürger die Entscheidungen staatlicher Institutionen immer weniger verstehen.“ Es ist nicht primäre Aufgabe von Gerichten, sich verständlich zu machen. Sie müssen für Rechtssicherheit sorgen. Diesen Unterschied dem Publikum zu erklären, wäre die eigentliche Aufgabe von Verfassungsminister Reul gewesen.

Armin Laschet Der Ministerpräsident hat behauptet: „Wir als Politiker haben nach Recht und Gesetz zu entscheiden, das hat die Landesregierung gemacht.“ Hat sie nicht. Außerdem sagte er: „Im Ergebnis können wir froh sein, dass der Gefährder nicht mehr in Deutschland ist.“ Dieser Satz offenbart ein problematisches Politikverständnis: In Demokratien kommt es nicht nur auf das Ergebnis an, sondern auch auf den Weg dorthin. Politik muss Ergebnisse regelkonform erreichen, sonst wird sie unkontrollierbar. Das Unglück der Regierung verdichtete sich am Donnerstag in einem weiteren Zitat des Ministerpräsidenten. Unter der Überschrift „Machtwort im Fall Sami A.“ zitierte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ ihn so: „Ich lege allerhöchsten Wert darauf, dass die von mir geführte Regierung vorbehaltlos höchstrichterliche Entscheidung akzeptiert und umsetzt.“ Es spricht Bände, dass ein Ministerpräsident diese Klarstellung für notwendig hält.

Peter Biesenbach Der Justizminister, der eigentlich wie ein Schiedsrichter zwischen Regierung und Justiz vermitteln müsste, schweigt seit Tagen. Und bringt damit die Richter in Rage: „Es geht nicht an, dass unabhängige Gerichte von einem Justizminister vertreten werden, der nicht den Mumm hat, ihre Unabhängigkeit zu verteidigen“, klagt die Neue Richtervereinigung. Montag ist Biesenbachs vielleicht letzte Chance, diesen Eindruck zu korrigieren. Dann kommt der Rechtsausschuss zu einer Sondersitzung zusammen.

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