Informationsdefizite Pflegende Angehörige in NRW nehmen Entlastungen selten in Anspruch

Düsseldorf · 86 Prozent der Pflegebedürftigen werden in NRW zu Hause betreut. Für die Angehörigen ist dies eine schwere Belastung – zumal viele gar nicht wissen, welche Entlastungen ihnen eigentlich zustünden.

1,2 Millionen Menschen gelten in NRW als pflegebedürftig – Tendenz steigend.

1,2 Millionen Menschen gelten in NRW als pflegebedürftig – Tendenz steigend.

Foto: dpa-tmn/Oliver Berg

An diesem Mittwoch kommen im Düsseldorfer Landtag Experten zu einer mehrstündigen Anhörung zusammen, um über den größten Pflegedienst des Landes zu beratend: die pflegenden Angehörigen. Nach Angaben des statistischen Landesamtes IT.NRW werden von den 1,2 Millionen Pflegebedürftigen in Nordrhein-Westfalen 86 Prozent zu Hause betreut. Für die Angehörigen oft eine immense Herausforderung. Die SPD-Landtagsfraktion hat die Landesregierung deshalb dazu aufgefordert, sich stärker für die Belange der Pflegenden einzusetzen.

Die Pflegewissenschaftlerin Christa Büker schreibt in ihrer Stellungnahme: „Drei Viertel der Angehörigen empfinden die Belastungen als stark bis sehr stark.“ Büker, die an der FH Bielefeld lehrt, verweist darauf, dass nur ein geringer Teil der Angehörigen bereits bestehenden Entlastungsangebote in Anspruch nimmt. So nutze lediglich ein Fünftel der Familien die Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst in Form von Pflegesachleistungen oder Kombinationsleistungen. „Leistungen der Tagespflege und Kurzzeitpflege werden ebenfalls nur in geringem Maße angenommen.

Ein häufiger Grund dafür liegt in Informationsdefiziten.“ Der Sozialverband VdK verweist darauf, dass von den Pflegebedürftigen 655.000 ausschließlich Pflegegeld beziehen und von Angehörigen, Freunden, Nachbarn und Bekannten versorgt würden. „Die Dunkelziffer derer, die die Pflege in Eigenregie und ohne staatliche Hilfen versuchen zu organisieren, dürfte wesentlich höher sein“, so Büker.

Thorsten Klute, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion warnte: „Pflegende Angehörige gehen oft auf dem Zahnfleisch. Nach vielen Fortschritten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Bezug auf Kinder ist es an der Zeit, auch mehr für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Bezug auf Pflegebedürftigkeit zu leisten.“ Gerade bei der Beratung Pflegender Angehöriger sei noch viel zu tun. „Der VdK hatte letztes Jahr vorgerechnet, dass Jahr für Jahr zwölf Milliarden Euro an Mitteln zur Unterstützung Pflegebedürftiger und ihrer Angehöriger nicht abgerufen werden. Der Grund liegt auf der Hand: Viele kennen die Möglichkeiten gar nicht.“

Die SPD verlangt deshalb, dass das Land mehr in aufsuchende Seniorenarbeit investiert. Als Beispiel dienen Erfahrungen aus dem Nachbarland Rheinland-Pfalz, das schon seit einiger Zeit ein Programm namens Gemeindeschwester Plus umsetzt, bei dem pflegende Angehörige aktiv aufgesucht und beraten werden. „Wir wollen die Seniorentagespflege besser unterstützen, die es zurzeit besonders schwer hat. Und wir wollen den Bundesgesundheitsminister in seiner Haltung stärken, dass das Pflegegeld erhöht werden muss“, sagt Klute.

Der Verband der freien Wohlfahrtspflege mahnte zudem an, der Ausbau von Kurzzeit-, Tages-, und Nachtpflegeplätzen, sowie einen Ausbau von Pflegehotels sei zum Auffangen hochkritischer Belastungsspitzen pflegender Angehöriger sinnvoll. Mehrere Experten fordern zudem, dass die Erhöhung des Pflegegeldes und der Pflegesachleistungen, damit der schleichenden Entwertung dieser Leistungen begegnet werde.

Rückendeckung gibt es dafür auch von Claudia Middendorf, der Patienten- und Behindertenbeauftragten der Landesregierung. Sie spricht sich dafür aus, Maßnahmen zu entwickeln, „um weitere bürokratische und finanzielle Entlastungen zu schaffen sowie die Vereinbarkeit von Pflege, Familien und Beruf weiter zu verbessern und mehr Menschen zu ermöglichen“. So begrüßt sie eine von der SPD geforderte Bundesratsinitiative, die neben der Anrechnung der Pflegezeit auf die Rente auch die Ermöglichung eines Lohnausgleichs bei einer Reduzierung der Arbeitszeit für pflegende Angehörige als wichtige Forderung ansieht.

Pflegewissenschaftlerin Büker nennt die Stärkung pflegender Angehöriger angesichts des sich weiter verschärfenden Pflegenotstands für unerlässlich. „Professionell Pflegende werden in Zukunft nicht mehr in hinreichender Anzahl zur Verfügung stehen. Bereits gestaltet sich die Personalgewinnung für stationäre und ambulante Pflegeeinrichtung schwierig. Bei einer gleichzeitigen Zunahme älterer, pflegebedürftiger Menschen zeichnet sich eine prekäre Entwicklung ab, die mehr denn je den Erhalt des Pflegepotenzials in der Familie erforderlich macht.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort