Großes Wähler-Potenzial Alle Parteien umgarnen die Laubenpieper

Düsseldorf · Die Parteien haben den Schrebergärtner neu für sich entdeckt – er vereint vieles, was dem Zeitgeist voll und ganz entspricht. Bisher wird er in NRW vor allem mit Worten umworben. Das könnte sich aber bald ändern.

 „Willkommen!“ Der Eingang einer Schrebergarten-Anlage in Köln. (Archiv)

„Willkommen!“ Der Eingang einer Schrebergarten-Anlage in Köln. (Archiv)

Foto: dpa/Henning Kaiser

Der typische Schrebergärtner grillt Würstchen für Freunde und Gartennachbarn, isst dazu die Radieschen, die er selbst angebaut hat, liebt Gartenzwerge und hat am Eingang seiner Laube eine Deutschlandfahne gehisst. Er ist also gemeinhin ein soziales, nicht allzu wohlhabendes Wesen, freiheitsliebend, dabei natur-, heimat- und deutschlandverbunden – und hat auf diese Weise jeder Partei in ideologischer Hinsicht etwas zu bieten.

Der Schrebergärtner von heute könnte also ein Anhänger der Sozialdemokraten sein, genauso gut aber auch die Liberalen, Grünen, CDU, Linke oder AfD wählen. Die Parteien haben das jetzt erkannt, zumal das Wähler-Potenzial enorm ist. Bundesweit gibt es über eine Million Kleingärten, die von fünf Millionen Menschen genutzt werden. Das Interesse ist groß - vor allem in den Großstädten sind die Wartelisten der Vereine oft lang. In Nordrhein-Westfalen gibt es 118.000 Parzellen mit rund 500.000 Pächtern. NRW ist zugleich auch das einzige Bundesland, das die Förderung des Kleingartenwesens sogar in der Landesverfassung verankert hat.

So überschlagen sich die Parteien mit Schmeicheleien: Schrebergärtner erbrächten „wichtige Leistungen für das Allgemeinwohl und die Ökologie“, heißt es bei der SPD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen. Sie leisteten einen „wichtigen Beitrag zum Artenschutz in den Städten“, meinen die NRW-Grünen. Sie trügen durch die Integration von Migranten zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei, lobt die FDP. Die CDU erkennt im Kleingartenwesen gar eine „Rückzugs-Oase“ für die Bürger. Dazu öffentliches Grün, ökologische Vielfalt und gesundes Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten. Ähnlich äußert sich die AfD. Und die Linkspartei sieht in den Gärten überdies eine Chance für Arbeitslose oder arme Rentner, die sonst häufig ausgegrenzt würden.

Studien belegen, dass die Hobby-Gärtner dem Idealbild, das die Parteien von ihnen zeichnen möchten, zumindest teilweise entsprechen. Etwa in ökologischer Hinsicht: In Schrebergärten werden einer Untersuchung zufolge fast doppelt so viele unterschiedliche Obstsorten angebaut wie im Produktionsgartenbau und mehr als doppelt so viele wie in der Landwirtschaft. Noch deutlicher fallen die Unterschiede in Sachen Biodiversität beim Gemüse aus: In deutschen Kleingärten werden 114 verschiedene Arten angebaut, im Produktionsgartenbau sind es 35 und in der Landwirtschaft nur 25. Auch in sozialer Hinsicht erfüllen die Gärten eine wichtige Funktion. Verglichen mit der zunehmend deutlicheren sozialen Trennung zwischen armen und reichen Vierteln in Städten sind Schrebergärten beinahe ein Hort der Integration unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen: Dort treffen Arbeitslose auf Universitätsprofessoren, Familien mit Kindern auf Rentner und Migranten auf Einheimische, wie eine Studie des Bundesbauministeriums aus dem Jahr 2008 ergab.

Dass NRW die Kleingärten einst in der Verfassung verankerte, hat vor allem historische Gründe. Spätestens seit der Industrialisierung spielten die Gärten insbesondere im Ruhrgebiet eine wichtige Rolle. Mithilfe der einst Armengärten genannten Anlagen wollten Fabrikbesitzer und Landesherren im 19. Jahrhundert Hunger und Armut bekämpfen. 1826 gab es solche Gärten bereits in 19 deutschen Städten, darunter auch die so genannten Arbeitergärten, die zuerst in Berlin zusammen mit dem Deutschen Roten Kreuz entstanden. Sie sollten auch den Familiensinn stärken, indem etwa der Mann vom Wirtshausbesuch abgelenkt und die Renten aufgebessert wurden. Die meisten Kleingartenkolonien entstanden aber auf Initiative der Inhaber selbst. Sie legten einfach ihre zuvor ungeordnet entstandenen Grabelandflächen zusammen.

Große Bedeutung hatten die Gärten in Notzeiten. Nach dem Ersten Weltkrieg etwa, während der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er und nach dem Zweiten Weltkrieg dienten sie zudem als Unterschlupf für Flüchtlinge und der Versorgung mit Nahrungsmitteln. Insbesondere im Ruhrgebiet stieg die Zahl der Vereine sprunghaft.

Nordrhein-Westfalen förderte daher im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte den Grunderwerb von Kleingartenflächen durch zinslose Darlehen oder die Erschließung neuer Flächen durch Zuschüsse, wie es in einer Studie des damaligen nordrhein-westfälischen Umweltministeriums von 2009 heißt.

Doch seither ist nicht viel geschehen. Den freundlichen Worten der Politiker folgen bisher nicht allzu viele konkrete Vorschläge. Die SPD-Oppositionsfraktion im Düsseldorfer Landtag forderte kürzlich immerhin von der nordrhein-westfälischen Landesregierung ein Konzept, um das Kleingartenwesen in Zukunft zu stärken. Es müsse langfristig mehr Finanzmittel geben und eine Absicherung der Flächen bei neuen Bauvorhaben.

Ähnlich wie Spielplätze verbindlich in Neubaugebieten vorgesehen seien, soll dies auch für Kleingärten gelten: Die Sozialdemokraten verlangen, bei der Planung neuer Wohngebiete Kleingärten als unverzichtbaren Bestandteil der Quartiere zu berücksichtigen. Auch die Grünen unterstützen den Vorstoß.

Aus Sicht der in Düsseldorf regierenden CDU ist das jedoch wenig glaubwürdig, weil die rot-grüne Vorgängerregierung die Förderung der Kleingartenverbände zwischen 2010 und 2017auf zuletzt 403.000 Euro gekürzt habe. CDU und FDP hoben die Mittel nun auf 550.000 Euro an. Im Koalitionsvertrag allerdings sind Kleingärten gar nicht erst erwähnt.

Das mag an einem Zielkonflikt liegen, der sich nur schwer auflösen lässt. Mehr Schrebergärten bedeuten zugleich: weniger Fläche für neue Wohngebiete und damit auch weniger Wohnungen. Doch bei aller Sympathie für den Schrebergärtner – wie will das eine Partei ihren Wählern erklären?

(kib)
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