NRW-Minister Stamp im Interview "Kitas werden bei Nachfrage bis 19 Uhr öffnen"

Düsseldorf · NRW-Familienminister Joachim Stamp spricht im Interview mit unserer Redaktion über Kinderbetreuung, Flüchtlingseinrichtungen und das Ende der Jamaika-Verhandlungen.

 Joachim Stamp (FDP) ist stellvertretender Ministerpräsident von NRW und Landesminister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration.

Joachim Stamp (FDP) ist stellvertretender Ministerpräsident von NRW und Landesminister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration.

Foto: Andreas Bretz

Herr Stamp, wie lautet Ihre erste Bilanz nach einem halben Jahr im Amt?

Joachim Stamp Wir haben erste Erfolge erreicht. Durch das Kita-Rettungspaket von einer halben Milliarde Euro haben wir dafür gesorgt, dass kein Kindergarten schließen muss. Jetzt arbeiten wir an einer grundlegenden Reform des Kinderbildungsgesetzes. Das ist wie auch die Neuordnung der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik eine große Herausforderung. Das geht nicht in wenigen Monaten. Aber das habe ich auch nicht erwartet. Ich freue mich aber, wie die Mitarbeiter in meinem Ministerium mitziehen.

An Kenntnissen dürfte es beim Kinderbildungsgesetz (Kibiz) im Ministerium nicht mangeln: Die Vorgängerregierung hat bereits lange daran gearbeitet. Wann werden Sie das neue Kita-Gesetz vorstellen?

Stamp Nur eine Grundidee ist aus der rot-grünen Zeit vorhanden, wir müssen bei der Kibiz-Reform ganz neu aufsetzen. Zunächst einmal sind die Kita-Träger über das 500-Millionen-Euro-Rettungspaket für die nächsten zwei Jahre erleichtert, wir haben die Schließung vieler Einrichtungen verhindert. Und nun müssen wir eine dauerhaft tragfähige Finanzierung hinbekommen.

Wie viel Geld brauchen Sie dafür?

Stamp Das hängt davon ab, inwieweit sich die Kommunen beteiligen und wie viel vom Bund kommt.

Wann also kommt das neue Gesetz?

Stamp Ob wir 2019/20 schon so weit sind oder noch ein weiteres Jahr brauchen, werden wir sehen.

Konkreter können Sie nicht werden?

Stamp Klar ist, dass es mehr Mittel geben wird. Aber es geht ja nicht nur um die Sicherstellung auskömmlicher Mittel, sondern auch um eine bessere Qualität der Kitas und um flexiblere Öffnungszeiten.

Warum dauert das so lange?

Stamp Das Problem ist, dass die Vorgängerregierung sich nicht getraut hat, mit den Kommunen und den freien Trägern sowie den Kirchen in die Diskussion zu gehen. Wir wollen einen Konsens mit den Trägern und Kommunen finden und sind jetzt in Vorsondierungen.

Aber die Zeit drängt doch: Es gibt noch immer zu wenige Erzieher, zu wenige Plätze für Unter-Dreijährige und immer noch zu unflexible Öffnungszeiten...

Stamp Wir wollen die Betreuung insgesamt verbessern und - das ist mein politischer Schwerpunkt - dabei einen stärkeren Akzent auf Sprachförderung legen. Dabei stellen uns nicht nur die Kinder aus Flüchtlingsfamilien vor besondere Herausforderungen. Wir stellen fest, dass es auch beim Alltagssprachgebrauch hiesiger Kinder Defizite gibt, das kann Folge von Reizüberflutungen und dem unreflektierten Umgang mit digitalen Medien sein. Wir müssen daher die Sprachförderung auf ein anderes Niveau bekommen.

Mit welchen Mitteln wollen Sie das hinbekommen?

Stamp Wir werden die Feststellung des Sprachstandes und die Sprachförderung verbindlicher machen und ein Instrument entwickeln, um das Sprachniveau für jedes Kita-Kind in NRW zu prüfen, bevor es in die Grundschule kommt. Sicher ist, dass wir nicht den Delfin-Test wieder einführen, für den seinerzeit Grundschullehrer eigens in die Kitas kamen. Einige Einrichtungen machen das schon gut, aber eben nicht alle, und deshalb wollen wir flächendeckend für Verbindlichkeit sorgen.

Wie lange sollen Kitas künftig geöffnet sein?

Stamp Die Öffnungszeiten müssen gerade in den Randzeiten flexibler werden. Allerdings ist der Bedarf regional sehr unterschiedlich, im ländlichen Bereich ist er viel geringer. Dort, wo die Nachfrage besteht, wird es die entsprechenden Angebote geben, etwa Öffnungszeiten bis 18 oder 19 Uhr.

Wie ist die Situation bei den Plätzen für Unter-Dreijährige?

Stamp Wir freuen uns darüber, dass mehr Kinder geboren werden, aber leider liefern uns die statistischen Ämter noch keine Datenbasis, die uns eine genaue Prognose erlauben würde. Wir werden aber den Platzausbau für den wachsenden Bedarf forcieren. Dabei wird auch die Kindertagespflege eine wichtige Rolle spielen. Die Tagesmutter kann eine sinnvolle Alternative sein für jene, die für ihre kleinen Kinder eine familiennahe Betreuungsform wünschen oder auch nicht so lange Betreuungszeiten benötigen. Hier bietet die Großtagespflege weitere Möglichkeiten: Mehrere Tagesmütter tun sich zusammen und schaffen damit Plätze.

Was können Sie dagegen tun, dass es so viele säumige Väter gibt, die ihren Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommen?

Stamp Da sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Kommunen sehr groß, je nach Sozialstruktur. Im Ruhrgebiet sind die Probleme am größten. Mittelfristig wird sich das Land zentral um das Eintreiben der säumigen Gelder kümmern, nicht mehr wie derzeit rund 180 Kommunen. Damit werden wir dann erfolgreicher sein.

Darüber hinausgehende Sanktionen sind nicht geplant, etwa Stadionverbote oder Führerscheinentzug?

Stamp Mit wesensfremden Strafen muss man vorsichtig sein.

Wollen Sie in diesem Zusammenhang auch über eine Bundesratsinitiative noch einmal das Unterhaltsrecht reformieren?

Stamp Nein, das ist derzeit nicht geplant, steht auch nicht im NRW-Koalitionsvertrag.

Sie sind ja auch der Minister für Flüchtlinge und Integration. Wissen Sie eigentlich, wie viele Flüchtlinge sich zurzeit in Nordrhein-Westfalen aufhalten?

Stamp Wir haben in dem Punkt von der Vorgängerregierung sehr, sehr viel Chaos übernommen und sind dabei, das weiter zu ordnen. Für Neuankömmlinge haben wir jetzt ein neues System mit der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Bochum. Dort wird demnächst eine systematische Registrierung in wenigen Stunden stattfinden. Diejenigen, die nicht einem Bundesland zugewiesen werden, kommen in Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes, wo das Asylverfahren eingeleitet wird. Perspektivisch sollen auch Rechtsberatung und Richter vor Ort sein, um die Verfahren zu beschleunigen. Zudem richten wir in jedem Regierungsbezirk eine Zentrale Ausländerbehörde ein. Die nächste ist in Münster geplant. Die ZAB haben eine doppelte Aufgabe: Ausländerrechtlich betreuen sie Flüchtlinge in den Landeseinrichtungen. Und sie unterstützen die kommunalen Ausländerbehörden bei der freiwilligen Ausreise und bei Abschiebungen. Ich werde zudem die Ausländerbehörden völlig neu aufstellen. Das wird einer meiner Schwerpunkte der kommenden Jahre sein.

Wie sollen die Kommunen auch ihre Verpflichtungen erfüllen, wenn Sie ihnen die Flüchtlingsintegrationspauschale des Bundes vorenthalten?

Stamp Wenn der Bund 2019 zusätzliche Mittel zur Verfügung stellt, werden wir die Pauschale an die Städte und Gemeinden weitergeben.

Warum nicht sofort, in der Opposition haben Sie als Abgeordneter der FDP genau das doch immer kritisiert?

Stamp Weil Rot-Grün entschieden hatte, für die Jahre 2016 und 2017 die Pauschale nicht weiterzugeben, und für 2018 war darüber hinaus keinerlei Vorsorge getroffen.

Sie hätten doch genau wie für die Kitas auch zusätzliches Geld für die Kommunen bereitstellen können?

Stamp Das hätte den Rahmen gesprengt. Die Landesregierung setzt 2018 bei der Stärkung der Kommunen einen anderen Schwerpunkt. Insgesamt sieht sie für die Kommunen allein wegen des Unterhaltsvorschuss-Gesetzes und Gemeindefinanzierungsgesetzes im Haushaltsentwurf 2018 vielfältige Verbesserungen vor. Auch bei der sozialen Flüchtlingsberatung wird keine Beratungsstelle zu kurz kommen.

Können Sie ausschließen, dass ein Terrorist wie Anis Amri sich zurzeit in NRW aufhält?

Stamp Nein, denn es gibt keine 100-prozentige Sicherheit. Aber ich kann alles versuchen, Gefährder und Kriminelle schneller und konsequenter abzuschieben, um dies zu verhindern. Ich habe seinerzeit den Rücktritt von NRW-Innenminister Ralf Jäger gefordert, weil er gesagt hatte, es habe keine Fehler gegeben.

Was genau machen Sie jetzt anders?

Stamp Wir holen uns zusätzliche Leute ins Haus, die die Ausländerbehörden unterstützen und Gefährder besser identifizieren können.

Herr Stamp, Sie waren auch an den Jamaika-Verhandlungen beteiligt. Seit dem Abbruch der Verhandlungen sinken die Umfragewerte auf mittlerweile bis zu acht Prozent - war Christian Lindners Entscheidung richtig?

Stamp Das war eine gemeinsame Entscheidung. Was am Ende auf dem Tisch lag, war weit von einer Einigung entfernt. Trendwenden bei den wichtigsten Themen wären so nicht möglich gewesen.

Wie oft hören Sie den Satz: Lieber 20 Prozent Inhalte umsetzen als gar keine?

Stamp Selten.

Wie erklären Sie sich dann das Umfrageminus für die Freien Demokraten?

Stamp Die Werte liegen je nach Institut zwischen acht und neun Prozent - nach 10,7 Prozent bei der Wahl. Der Rückgang hält sich also in Grenzen.

Und Armin Laschet ist auch nicht erbost darüber, dass Christian Lindner insinuiert hat, der Ministerpräsident habe in Berlin gegen die Interessen von NRW verhandelt?

Stamp Zwischen Armin Laschet und mir ist alles in Ordnung.

Mit Joachim Stamp sprachen Kirsten Bialdiga und Michael Bröcker.

(kib , brö)
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