Gastbeitrag zum Thema G8/G9 NRW, mach's wie Bayern!

Düsseldorf · Eine große Mehrheit der Eltern will zurück zum Abitur nach neun Jahren, ohne Wenn und Aber. Was aber die Parteien anbieten, ist weit davon entfernt, meint unser Autor – und empfiehlt einen Blick nach Süden.

 Ulrich Czygan (59), Intensivpfleger an der Uniklinik Bochum und Vater von sechs Gymnasialkindern, ist seit 2015 Vorsitzender der Landeselternschaft der Gymnasien. Sie vertritt nach eigenen Angaben fast 500 Schulpflegschaften. In Nordrhein-Westfalen gibt es 626 Gymnasien.

Ulrich Czygan (59), Intensivpfleger an der Uniklinik Bochum und Vater von sechs Gymnasialkindern, ist seit 2015 Vorsitzender der Landeselternschaft der Gymnasien. Sie vertritt nach eigenen Angaben fast 500 Schulpflegschaften. In Nordrhein-Westfalen gibt es 626 Gymnasien.

Foto: Andreas Endermann

Eine große Mehrheit der Eltern will zurück zum Abitur nach neun Jahren, ohne Wenn und Aber. Was aber die Parteien anbieten, ist weit davon entfernt, meint unser Autor — und empfiehlt einen Blick nach Süden.

Seit gut einem Jahr liegen die Ergebnisse der wissenschaftlich begleiteten Umfrage der Landeselternschaft der Gymnasien in NRW zum Themenkomplex G8/G9 vor. An der Eindeutigkeit der Ergebnisse gibt es keinen Zweifel — die Eltern wollen zurück zu G9. In NRW unterbreiten die im Landtag vertretenen Parteien Vorschläge und Ideen, die zwar weit entfernt vom Willen der Eltern sind, dafür aber umso abstruser. Es scheint so, als kralle sich die Politik an G8 fest, indem allerlei Verzierungen und Variationen dafür sorgen, der Wählerschaft eine G9-Illusion vorzugaukeln.

Anstatt Bayern nachzueifern, einem Bundesland mit erstklassigem Bildungssystem und daraus resultierenden Bildungserfolgen, zögert hier die Politik vor klaren Entscheidungen und der Übernahme der Verantwortung. Das möchte man lieber den Schulen vor Ort oder den Eltern und Schülerinnen und Schülern überlassen. Kein Wahlprogramm der fünf Parteien erfüllt die Forderung der Eltern nach einer klaren Entscheidung für ein flächendeckendes G9 mit der Möglichkeit der Schulzeitverkürzung für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler.

Der Ansatz von SPD und Grünen führt bei Einbeziehung von Inklusion, alleinigem Elternwillen beim Übergang auf die weiterführende Schule, Vermeidung von Sitzenbleiben und Schulformwechsel zu einer leistungsschwachen Einheitsschule mit dem Etikett Gymnasium als Zierschild. Die Vorschläge von CDU und FDP beinhalten durchaus Forderungen nach Qualität und Inhalt, belasten aber die Schulen vor Ort mit unnötigen Strukturdebatten und erzeugen einen Flickenteppich ungleichmäßig verteilter G8- und G9-Schulen, wodurch es oft allein dem Zufall überlassen bleiben wird, welches Modell besucht werden kann, und ein Wohnortwechsel erschwert wird. Zudem führt eine Parallelität von G8 und G9 innerhalb einer Stadt entweder zu zwei Qualitäten des Abiturs oder lediglich zu einer Verlängerung der Schulzeit ohne qualitativen Mehrwert für die Schülerinnen und Schüler.

Wenn jetzt auch noch Bildungsforscher wie der Kieler Professor Olaf Köller die Wünsche und Rufe der Eltern nach G9 mit Äußerungen von Donald Trump vergleichen und den Willen der Eltern als postfaktisches Gerede abqualifizieren, wird die Debatte endgültig bizarr und zeigt nur einmal mehr, wie weit sich manche selbst ernannten Eliten von der Bevölkerung entfernt haben.

Dabei liegen die tatsächlichen Fakten auf der Hand: Fehlende Studierfähigkeit bei zu vielen Abiturienten, viel zu geringer Wortschatz in den Fremdsprachen (verglichen mit früheren Untersuchungen), teilweise desaströse Fähigkeiten in Mathematik. Und wer Gelegenheit hat, heutige Bewerbungsschreiben zu lesen, dem erschließt sich sofort, wovon hier die Rede ist — muttersprachliche Fähigkeiten auf einem Niveau, das sprachlos macht.

Dies jedoch ist nicht allein das Ergebnis oder die Folge von G8. Bereits in den Grundschulen fängt das Problem an: zu große Klassen, zu wenig Lehrer, zu geringe Sachmittelausstattung und immer mehr Aufgabenbereiche für die Lehrerinnen und Lehrer, denen keine Entlastung in Aussicht gestellt wird. So geht es in allen anderen Schulformen weiter, egal ob Haupt-, Real-, Gesamtschule oder Gymnasium auf dem Türschild steht. Jede neue Lernstandserhebung zeigt, wie tief wir mit unserem nordrhein-westfälischen Schulsystem gesunken sind, was bei derartigem Unterrichtsausfall in nahezu allen Schulformen niemanden ernsthaft verwundert. Lediglich Berlin und Bremen liegen noch hinter uns. Glaubt man aber den Politikern in unserem Land, dann ist bei uns jedoch alles bestens.

Am kommenden Sonntag haben wir als Eltern die Möglichkeit, etwaige Veränderungen auf den Weg zu bringen. Ob flächendeckendes G9 oder Ausstattung und Ausgestaltung aller Schulformen, Lehrermangel und Unterrichtsausfall, fachlich notwendige Inhalte und vieles mehr: Es steht mir nicht zu, eine Wahlempfehlung zu geben. Als Vater von sechs Kindern erlaube ich mir aber, allen Eltern einen Vorschlag zu unterbreiten. Bevor Sie Ihr Kreuz machen und die Wahlentscheidung fällen, sollten Sie kurz über die Zukunft Ihrer Kinder nachdenken. Nur ein leistungsstarkes Schulsystem sichert die guten Aussichten, die wir Eltern uns für den Nachwuchs wünschen, und bietet zudem mehr Chancengerechtigkeit für Kinder aus sozial schwachen Familien.

Niveauabsenkung, Leistungsfeindlichkeit und Gleichmacherei dagegen können wir in NRW nicht gebrauchen. Gute Bildung ist die einzige Ressource, über die unser Land verfügt. Diese Quelle darf nicht versiegen. Sie muss in Zukunft wieder richtig sprudeln.

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