Für Fälle wie den von Gisa M. „Ressourcen besser einsetzen“ – NRW-Justizminister stellt sich gegen Knast für Schwarzfahren

Düsseldorf · Die Strafbarkeit des Schwarzfahrens trifft vor allem ärmere Menschen, sagt der NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne). Er will, dass das Recht geändert wird. Verkehrsunternehmen halten dagegen.

 Schwarzfahren richtet bei Verkehrsunternehmen große Schäden an. Dass Menschen für das Delikt im Gefängnis landen können halten Kritiker allerdings trotzdem für falsch.

Schwarzfahren richtet bei Verkehrsunternehmen große Schäden an. Dass Menschen für das Delikt im Gefängnis landen können halten Kritiker allerdings trotzdem für falsch.

Foto: dpa/Arne Dedert

NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) hofft, dass Menschen bald nicht mehr fürs Schwarzfahren in Bus oder Bahn im Gefängnis landen können. „Ich setze mich dafür ein, dass die Vorschrift ,Erschleichen von Leistungen‘ aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird“, sagte er unserer Redaktion.

„Diese Strafbarkeit des Fahrens ohne Fahrschein birgt die Gefahr, dass gegen sozial Schwache, die sich weder ein Auto noch eine Fahrkarte leisten können, aber auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, Geldstrafen verhängt werden“, führte Limbach aus. „Wenn sie diese Geldstrafen nicht zahlen können, reagiert der Staat in letzter Konsequenz mit dem schärfsten Schwert, nämlich der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe. Solche kurzen Ersatzfreiheitsstrafen verbessern die Situation nicht. Wir können unsere Ressourcen in der Justiz besser einsetzen.“

Anlass zur Diskussion bieten aktuelle Fälle wie der der ehemals wohnungslosen 56-jährigen Gisa M., die derzeit in Haft sitzt. Zahlreiche Menschen fordern seit Wochen ihre Freilassung, Dienstag kamen Demonstranten zu einer Kundgebung vor dem Justizministerium zusammen.

Justizminister Limbach sieht abgesehen von den sozialen Aspekten auch juristische Gründe, das geltende Recht zu ändern: Es sei nicht üblich, dass zivilrechtliche Ansprüche mit dem Strafrecht durchgesetzt werden. „Wer ohne Fahrschein öffentliche Verkehrsmittel benutzt, verstößt erst einmal gegen den Beförderungsvertrag mit den Verkehrsbetrieben“, so Limbach. „Wie in vielen zivilrechtlichen Verträgen, sehen auch die Beförderungsverträge Sanktionen vor, nämlich das ,erhöhte Beförderungsentgelt.“ So werden beispielsweise 60 Euro fällig, wenn man ohne Ticket erwischt wird.

Mit seiner Haltung ist der NRW-Justizminister keineswegs allein. Bei ihrer Konferenz am 10. November kamen die Justizministerinnen und -minister der Bundesländer darin überein, „dass allein durch die Aufhebung der Strafbarkeit des Fahrens ohne Fahrschein die Rechtslage künftig nachhaltig und grundlegend verbessert werden kann“, so der gemeinsame Beschluss. Sie haben Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gebeten, einen entsprechenden Gesetzesvorschlag zu unterbreiten. Er setze darauf, dass Buschmann „im Zuge der geplanten Modernisierung des Strafrechts auch die Aufhebung der Strafbarkeit des Fahrens ohne Fahrschein angeht“, erklärte Benjamin Limbach.

Weniger erfreut wäre man darüber aufseiten von Verkehrsbetrieben. Die Strafbarkeit sei vollkommen richtig, sagte Volker Wente, Geschäftsführer des Verbands der deutschen Verkehrsunternehmen (VDV) in NRW. „Der Staat hat das Gewaltmonopol. Darum muss der Staat auch dafür sorgen, dass die Rechtsordnung eingehalten wird.“

„Wir können solche Überlegungen nicht unterstützen“, betonte auch Michael Vogel, Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Rhein-Sieg (VRS). „Auf die abschreckende Wirkung, die doch noch bei vielen mit dem potenziellen Begehen einer Straftat verbunden ist, darf nicht verzichtet werden.“ Nach Kalkulation des VDV entgingen den Anbietern vor der Corona-Pandemie durch Schwarzfahrten jährlich rund 250 Millionen Euro an Ticketeinnahmen. „Je geringer die Strafandrohung ausfällt, desto mehr wird Beförderungserschleichung bagatellisiert“, so Vogel.

Auch werde die öffentliche Hand nicht entlastet, die Arbeit werde nur verschoben: Statt bei der Staatsanwaltschaft würde der Aufwand der Verfolgung künftig bei den Kommunen liegen, argumentiert der VRS. Und man fürchtet, dass Kontrolleure in Bus und Bahn künftig nicht mehr das Recht hätten, Schwarzfahrer vorläufig festzuhalten. „Die Feststellung der Personalien wäre damit praktisch nicht mehr möglich.“

Das dürfe nicht passieren, heißt es auch beim Fahrgastverband Pro Bahn. „Wenn das Bahnpersonal das Recht hat, die Personalien festzustellen und ein erhöhtes Beförderungsentgelt nachzufordern, hätten wir im Prinzip nichts dagegen, wenn Schwarzfahren zu einer Ordnungswidrigkeit heruntergestuft wird“, erklärte der Bundesvorsitzende Detlef Neuß. Andernfalls sähe man es kritisch. „Die Leute, die ordentlich bezahlen und sich richtig verhalten, kämen sich zum Narren gehalten vor, wenn das Schwarzfahren nicht geahndet würde.“

Für Menschen, die lediglich versehentlich mal ohne richtigen Fahrschein unterwegs sind, wäre eine Neuregelung nach Einschätzung des Fahrgastverbands gleichgültig. Denn zumindest in Nordrhein-Westfalen landeten Fälle erst dann bei der Staatsanwaltschaft, wenn jemand mindestens dreimal binnen kurzer Zeit ohne Ticket erwischt wird.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort