„Das ist ein Alarmsignal“ Jeder Sechste in NRW ist von Armut bedroht

Düsseldorf · Statistisch gesehen sind vor allem Menschen mit niedrigen Schulabschlüssen gefährdet. Arbeitgeber, Gewerkschafter und Opposition fordern mehr Bildungsanstrengungen.

 Menschen stehen mit gefüllten Tüten in einer Düsseldorfer Kirche, während dort Lebensmittel ausgegeben werden (Symbolfoto).

Menschen stehen mit gefüllten Tüten in einer Düsseldorfer Kirche, während dort Lebensmittel ausgegeben werden (Symbolfoto).

Foto: dpa/Caroline Seidel

Eine neue Statistik zum Armutsrisiko in NRW versetzt Sozialverbände, Gewerkschaften und Opposition in Alarmstimmung. Das Statistikamt IT NRW hatte Daten veröffentlicht, wonach drei Millionen Menschen Gefahr laufen, in Armut abzurutschen. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient. Die Armutsschwelle für einen Single lag demnach bei 968 Euro, für eine vierköpfige Familie bei 2034 Euro. Nach Angaben der Statistiker ist das Risiko in den vergangenen zehn Jahren gestiegen: Waren 2007 nur 14,5 Prozent der NRW-Bürger von Armut bedroht, stieg dieser Wert im vergangenen Jahr auf 17,2 Prozent.

„Ein Grund für das höhere Armutsrisiko in NRW dürfte sein, dass die Einkommensentwicklung deutlich schlechter ausfällt als im Rest der Republik“, sagte Christoph Schröder, Experte am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

„Das ist ein Alarmsignal“, sagte Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD) und warnte vor einem Auseinanderdriften der Gesellschaft: „Was wir jetzt brauchen, sind gezielte Hilfen für die betroffenen Menschen. Dazu gehören eine gute Qualifikation, faire Löhne, ein höherer Mindestlohn und ein sozialer Arbeitsmarkt, in dem nach Tarif bezahlt wird.“

Laut Statistik hat der Bildungsstand großen Einfluss auf die soziale Stellung. In der Gruppe der Hochschulabsolventen, Meister und Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen beträgt der Anteil armutsgefährdeter Personen nur 6,1 Prozent. Bei Menschen mit höchstens Fachhochschulreife, abgeschlossener Ausbildung oder Abi­tur beträgt er schon 14,2 Prozent. Bei denjenigen, die höchstens einen Haupt- oder Realschulabschluss vorweisen können oder die Schule abgebrochen haben, liegt die Quote bei 42,4 Prozent. IW-Forscher Schröder meint, dass NRW hier zurückliege, dürfte insbesondere am strukturschwachen Ruhrgebiet mit seinem großen Niedriglohnsektor und der überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquote liegen.

„Der beste Schutz vor Armut sind Bildung, eine qualifizierende Berufsausbildung und eine entsprechende Tätigkeit“, sagte Luitwin Mallmann, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands Unternehmer NRW. Er nannte als weiteren Faktor die Zuwanderung: „Viele neu Zugewanderte leben – noch – von Transferleistungen und fallen deshalb unter die Armutsschwelle. Hinzu kommt, dass diese Menschen nach deutschen Maßstäben oft keine höheren Qualifikationen aufweisen.“

NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte: „Der beste Schutz vor Arbeits- und Perspektivlosigkeit ist eine Ausbildung. Menschen in Arbeit zu bringen, ist daher Grundpfeiler von Armutsbekämpfung.“ Er ergänzt: „Unser Ziel muss sein, dass Armut nicht vererbt wird. Kinder brauchen in der Familie Vorbilder, die einem geregelten Arbeitsleben nachgehen. Hierauf konzentrieren wir uns bei unseren Projekten und auch beim sozialen Arbeitsmarkt. Mir ist allerdings auch wichtig festzuhalten, dass Armut in Deutschland zunächst einmal relative Armut ist. Unsere Grundsicherung schützt verlässlich vor existenzieller Armut. Wichtig ist, dass wir unsere Gesellschaft so gestalten, dass Menschen immer wieder eine Chance erhalten, um durch Bildung und Fleiß aus dieser Situation aufzusteigen.“

Die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Nordrhein-Westfalen, Anja Weber, forderte als Sofortmaßnahme eine grundlegende Neu-Bemessung der Hartz-IV-Regelsätze, die den tatsächlichen Bedarf deckten und wirksam vor Armut schützten. „Genauso wichtig ist es aber, präventiv zu handeln: Bildungsbenachteiligungen, Ausbildungs- und Arbeitslosigkeit müssen wirksam bekämpft werden“, forderte Weber. Zudem seien eine Ausbildungsgarantie, der soziale Arbeitsmarkt, eine Qualifizierungsoffensive für Geringqualifizierte und eine bessere Tarifbindung nötig.

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