Rückkehr zu G9 in NRW Eltern kritisieren neue Lehrpläne: Aus dem vergangenen Jahrhundert

Düsseldorf · Im nächsten Schuljahr kehrt NRW zum Abitur nach 13 Jahren zurück. Die Landeselternschaft der Gymnasien sieht bei den Lehrplänen noch großen Nachbesserungsbedarf.

 Bei der Rückkehr zu G9 lohnt ein genauer Blick auf die Lehrplanentwürfe. Foto: Bodo Schackow/dpa

Bei der Rückkehr zu G9 lohnt ein genauer Blick auf die Lehrplanentwürfe. Foto: Bodo Schackow/dpa

Foto: dpa/Bodo Schackow

Die Landeselternschaft der Gymnasien fordert bedeutende Nachbesserungen bei den neuen Lehrplänen für die neunjährige Gymnasialzeit (G9). Insbesondere das Fach Wirtschaft/Politik könne so nicht unterrichtet werden, sagte die Vorsitzende des Elternvereins, Jutta Löchner, „hier ist der Lehrplan wirklich sehr überarbeitungswürdig“. Das neue Fach sei einseitig ausgerichtet auf Unternehmertum und Verbraucherbildung, soziale und gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge hingegen kämen zu kurz. Die Elternvertreterin warf dem Schulministerium vor, damit gegen den Beutelsbacher Kompromiss aus den 1970er Jahren zu verstoßen, der die Grundsätze für politische Bildung in Deutschland festlegt. Dieser sieht unter anderem vor, dass Lehrer ein Thema kontrovers darstellen müssen und Schülern ihre Meinung nicht aufzwingen dürfen.

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) wies die Kritik zurück: „Die pauschale Kritik an der Arbeit der Lehrplankommission ist oberflächlich und nicht zielführend.“ Vielmehr sollten der Ministerin zufolge alle Beteiligten ein Interesse daran haben, dass die Umstellung auf G9 zum kommenden Schuljahr reibungslos funktioniere.

Die Einschätzung der Landeselternschaft deckt sich jedoch auch mit der Auffassung der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung NRW (DVPB). Dieser Fachverband für politische und ökonomische Bildung fordert, „dem im CDU-Regierungs- bzw. im FDP-Wahlprogramm formulierten eigenen Anspruch einer demokratischen Wertebildung gerecht zu werden und eine fundierte politisch-demokratische, gesellschaftliche Bildung im Kernlehrplan zu verankern, die über ‘Grundlagen‘ hinausgeht.“ Auch andere Wirtschaftssysteme und –theorien als die soziale Marktwirtschaft müssten gelehrt werden, allein aus Gründen der Internationalität. Unzufrieden ist die DVPB auch damit, dass das Fach künftig „Wirtschaft/Politik“ heißen soll und verlangt, die bisherige Fachbezeichnung „Politik/Wirtschaft“ beizubehalten, um der besonderen Bedeutung der politischen Bildung für die Demokratie gerecht zu werden.

Zu wenig Fachwissen und veraltete Inhalte sieht die Landeselternvertretung aber auch in den Lehrplanentwürfen für Deutsch, Naturwissenschaften (MINT), Latein und Kunst. „Die im Koalitionsvertrag versprochene Stärkung der MINT-Fächer haben wir zu unserem Bedauern vergeblich gesucht“, sagte Landeselternvorstand Dieter Cohnen. Chemie sei „in der Fachlichkeit des 20. Jahrhunderts verhaftet geblieben.“ Biochemie sei heute wichtiger als Erfindungen aus den 1960er Jahren. Informatik hätte aus Sicht der Landeselternschaft, die 445 der 625 NRW-Gymnasien und damit mehr als 750.000 Eltern vertritt, zumindest Pflichtfach werden müssen.

Das Fach Deutsch drohe mit Medienkompetenz-Themen überfrachtet zu werden - Literatur, Lyrik und Schreiben kämen künftig zu kurz. Und Latein, eigentlich wertvoll zur Schulung systematischen Denkens, werde zur reinen Übersetzungshilfe degradiert. Über alle Fächer hinweg sei festzuhalten, dass zu wenig Fachwissen vermittelt werde und stattdessen Kompetenzen weiterhin im Vordergrund stünden. „Der Zug geht zwar nicht in die falsche Richtung, aber wir hätten uns einen erheblich größeren Schritt gewünscht“, fasste Löchner zusammen. Denn der Lehrplan für die Sekundarstufe I der Gymnasien strahle auch auf alle anderen Schulformen aus.

Die Landeselternschaft bemängelte weiterhin, dass beim Wechsel zu G9 offenbar Schnelligkeit vor Qualität gehe und Wissenschaftler an der Ausarbeitung der neuen Kernlehrpläne kaum beteiligt würden. Die Schulministerin hingegen betonte: „Die vorliegenden Kernlehrpläne sehen eine deutliche Stärkung der Fachlichkeit vor und befinden sich derzeit in der Verbändebeteiligung.“ Neben vielen gesellschaftlichen Gruppen, Verbänden, Wissenschaft und Institutionen hätten dabei auch Lehrer die Möglichkeit, ihre Meinung zu den vorliegenden Kernlehrplanentwürfen zu äußern. Nach Auswertung aller Stellungnahmen würden die Lehrpläne unter Berücksichtigung dieser Rückmeldungen bei Bedarf überarbeitet und finalisiert.

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