Infrastrukturprojekte unter Schwarz-Gelb Im Land der Baustellen

Düsseldorf · Rekordinvestitionen treffen in NRW auf einen Mangel an Planern und eine marode Infrastruktur. Die Herausforderungen sind gewaltig.

 Die A45-Talbrücke Rahmede ist seit Dezember gesperrt. Unser Bild zeigt sie Ende Februar mit einer Anti-Kriegs-Botschaft.

Die A45-Talbrücke Rahmede ist seit Dezember gesperrt. Unser Bild zeigt sie Ende Februar mit einer Anti-Kriegs-Botschaft.

Foto: imago/Hans Blossey / imago

Das wohl bekannteste Beispiel für das jahrzehntelange Leben von der Substanz, was die Verkehrsinfrastruktur angeht, ist die A45-Talbrücke Rahmede. Die Nachricht, dass die Brücke bei Lüdenscheid voll gesperrt werden müsse, führte am 2. Dezember zu Schockwellen. Bahn-Experten weisen bereits darauf hin, dass bei zahlreichen Eisenbahn-Brücken im Land die Lage ähnlich dramatisch sei.

Die Landesregierung reagierte, brachte Anfang April eine Bundesratsinitiative auf den Weg, in der Berlin gebeten wird, Gesetze anzupassen und Bürokratie abzubauen, um dringend notwendige Infrastrukturmaßnahmen schneller umsetzen zu können. „Auf Planfeststellungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfungen soll – wo immer möglich und vertretbar – verzichtet werden“, erklärte eine Sprecherin des NRW-Verkehrsministeriums. Das gelte etwa dann, wenn es sich bei einem Infrastrukturprojekt um einen Ersatzneubau handele, wie es zum Beispiel beim Wiederaufbau vieler Straßen und Brücken nach der Hochwasserkatastrophe war.

Die schwarz-gelbe Landesregierung war 2017 angetreten, vieles zu beschleunigen und mehr Mittel nach NRW zu holen. Schon unter Rot-Grün hatte der damalige Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) ein „Jahrzehnt der Baustellen“ ausgerufen, unter Schwarz-Gelb gewann das Vorhaben aber noch einmal merklich an Fahrt. Im Corona-Jahr 2020 flossen knapp 1,4 Milliarden Euro in Nordrhein-Westfalens Bundesfernstraßen – gegenüber dem Jahr 2015 fast eine Verdopplung. Das Land gibt zudem Rekordsummen für seine Landstraßen aus: 293,8 Millionen im vergangenen Jahr – 80 Prozent mehr als noch im Jahr 2015.

Doch der Fokus soll nicht einzig auf Straßen liegen: „Eine moderne Verkehrspolitik ist der beste Klimaschutz“, so die Sprecherin von Ministerin Ina Brandes (CDU). „Zu einer modernen Verkehrspolitik gehört unter anderem die Verlagerung von Verkehren von der Straße auf klimafreundliche Verkehrsträger wie die Bahn und das Fahrrad.“ Damit aber mehr Menschen umstiegen, müsse das Angebot attraktiver werden.

Für den Radwegebau werden pro Jahr seit Amtsantritt von CDU und FDP schwankend zwischen 46 und in der Spitze 62,2 Millionen Euro jährlich investiert. Die Landesmittel für den ÖPNV stiegen gegenüber 2015 um knapp 700 Millionen auf 2,24 Milliarden Euro im laufenden Jahr. Hinzu kommen Mittel von rund vier Milliarden Euro, die im Land bis 2031 für Projekte wie etwa die Modernisierung der Stadtbahn-Flotten, den Bau der Kölner Westspange oder einfachere Tarifsysteme eingeplant sind.

Dabei sind die Herausforderungen durchaus unterschiedlich: In Städten und Ballungsräumen müsse durch kluge Planung und bessere Technik eine höhere Taktung im Nahverkehr erreicht werden, so das Ministerium. In ländlichen Regionen sei das Ziel, Nahverkehr auf Bestellung oder auch Schnellbuslinien voranzutreiben und bestehende Angebote digital besser zu vernetzen.

Der Opposition ist all dies nicht genug. So sprach SPD-Fraktionsvize André Stinka von einem desaströsen Zustand, für den Hendrik Wüst verantwortlich sei: „Als Verkehrsminister hat er sich nicht um verlässliche Mobilität gekümmert.“ Die Landesregierung erfülle ihre Gewährleistungspflicht für reibungslose Mobilität und eine intakte sowie leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur in NRW nicht. Stinka forderte unter anderem ein besseres Brücken-Monitoring: „Mit einem verlässlichen Frühwarnsystem kommen wir vor die Lage und verhindern plötzliche Brücken-Lockdowns wie an der A45.“ Staus ließen sich abbauen, indem Güterverkehr schneller von der Straße auf die Schiene oder auf das Wasser verlagert werde. Zudem monierte er, dass die Landesregierung in der Vergangenheit lediglich knapp zehn Prozent der Förderung von Öffentlichem Personennahverkehr und Schienennahverkehr aus eigenen Mitteln bestritten habe. „Der Rest bestand in der Durchleitung von Bundesmitteln.“

Ein viel gravierenderes Problem als die Mittelbeschaffung ist inzwischen allerdings die Frage, wer das Geld denn verbauen soll. Der Fokus müsse noch stärker auf der Ausbildung von Palnerinnen und Planern, Ingenieurinnen und Ingenieuren liegen, damit Brücken, Straßen und Schienen schneller gebaut werden könnten, erklärte das Land.

Mehr und schneller gebaut werden müsste auch im Wohnungsbereich. Die Zahl der Baugenehmigungen ging 2021 gegenüber dem Pandemiejahr 2020 um knapp 1000 auf knapp 60.900 zurück – und lag damit sogar unter dem letzten Wert der Vorgängerregierung von 66.600 Genehmigungen im Jahr 2016. Dabei hatte Schwarz-Gelb die gesetzliche Grundlage angepasst und den Kommunen scharfe Fristen gesetzt, um Genehmigungen zu beschleunigen. Vom NRW-Kommunal- und Bauministerium hieß es dazu, zu oft treffe Digital auf Analog. Dabei will das Land mithilfe seines Bauportals das komplett digitale Baugenehmigungsverfahren vorantreiben, um die 212 unteren Bauaufsichtsbehörden zu entlasten. 

„Mehr Wohnraum ist das beste Rezept gegen steigende Mieten“, sagte Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) unserer Redaktion mit Blick auf die größten Herausforderungen für die nächste Landesregierung. Seit 2017 habe die Landesregierung „den alten Muff der Vorgängerregierung aus Gesetzen geschmissen und richtig durchgelüftet“, sagt die CDU-Politikerin. „Seitdem wird wieder mehr gebaut, und die Mietenanstiege flachen deutlich ab.“ Scharrenbach spricht von richtigen Rahmenbedingungen der Landesregierung, die dies ermöglicht hätten. „In rund 90 Prozent der Städte liegen die Wiedervermietungsmieten zwischen 4,53 Euro und 8,00 Euro. Bei der öffentlichen Wohnraumförderung haben wir mehr als 42.500 neue mietpreisgebundene Wohnungen schaffen können – das ist eine Zunahme von sieben Prozent gegenüber 2012 bis 2017.“ Baupolitik brauche Verlässlichkeit in den rechtlichen wie in den finanziellen Rahmenbedingungen.

Christian Dahm, SPD-Fraktionsvize, macht eine andere Rechnung auf. „Der Bestand mietpreisgebundener Wohnungen ist unter Schwarz-Gelb deutlich zurückgegangen. 2018 gab es noch 457.563 mietpreisgebundene Wohnungen. 2020 waren es nur noch 452.030.“ Unter schwarz-gelber Wohnungspolitik litten vor allem Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen. „Die Landesregierung hat nichts gegen die unzumutbare Belastung der Menschen getan. 2021 wurden nur 5239 neue mietpreisgebundene Wohneinheiten geschaffen. 2016 waren es noch 7872.“ Die Landesregierung bringe sich dabei nur mit einem minimalen Anteil bei gefördertem Wohnraum in NRW ein, kritisierte der SPD-Politiker und führt einen ähnlichen Vorwurf an wie sein Parteifreund Stinka im Verkehrsbereich: Von einem Programmvolumen von 1,1 Milliarden Euro jährlich habe das Land weniger als 100 Millionen Euro getragen. „Der Rest kam aus Finanzhilfen des Bundes oder aus Mitteln der NRW-Bank.“ Auch bei der Eigentumsförderung sei die Bilanz schlecht. Im Durchschnitt werde jährlich nicht einmal eine Wohneinheit in jeder der 396 Kommunen im Land gefördert. Die Sozialdemokraten versprechen, jedes Jahr 100.000 neue Wohnungen in NRW zu bauen. 25.000 davon sollen mietpreisgebunden sein.

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