Politischer Absturz in 72 Stunden Norbert Röttgen - Chronik eines Niedergangs

Düsseldorf · In nicht einmal 72 Stunden hat Norbert Röttgen mit einem desaströsen Ergebnis die NRW-Landtagswahl und seinen CDU-Landesvorsitz verloren. Nur wenig später wurde er von Bundeskanzlerin Angela Merkel aus dem Bundesumweltministerium geworfen. Der Absturz ist beispiellos. Eine Chronik des Niedergangs.

Norbert Röttgen: Der Werdegang des Politikers
11 Bilder

Der politische Werdegang von Norbert Röttgen

11 Bilder
Foto: dpa/Kay Nietfeld

Sonntag 18 Uhr, Düsseldorf
Für den Spitzenkandidaten der NRW-CDU Norbert Röttgen endet die Prognose des Ergebnisses der Landtagswahl um 18 Uhr in einem Debakel: Nicht 30, nicht 28, am Ende werden es gar nur 26,3 Prozent sein. Die Christdemokraten an Rhein und Ruhr fahren ihr historisch schlechtestes Ergebnis ein. Röttgen übernimmt die Verantwortung und gibt wenig später den Vorsitz der Landes-CDU ab. Der Anfang vom Ende für den gebürtigen Meckenheimer.

Montag, 13 Uhr, Berlin
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Röttgen treten gemeinsam vor die Presse. Die Regierungschefin erklärt, sie halte an Röttgen als Bundesumweltminister fest. Merkel macht deutlich, dass der Spitzenkandidat der NRW-CDU seinen Ministerposten in Berlin behalte. Um die Energiewende erfolgreich zu gewährleisten, sei eine "Kontinuität der Aufgabenerfüllung notwendig", sagt die CDU-Vorsitzende.

Röttgen ergänzt, in den Spitzengremien der CDU sei sehr offen und fair über die Wahlniederlage diskutiert worden, "in einem bei aller Bitterkeit sehr, sehr guten Gemeinschaftssinn". Dies sei für ihn persönlich eine erfreuliche Erfahrung.

Montag, 18 Uhr, Berlin
Am Montagabend lässt CSU-Chef Horst Seehofer seinem Unmut über Röttgen in einem langen Interview des "heute-journals" freien Lauf. Der bayerische Ministerpräsident nennt den Wahlausgang in NRW "für die Union eine politische Katastrophe, die mich wirklich aufwühlt. Es ist ein Desaster mit Ansage". Auch stellt er das Gelingen der Energiewende infrage. Der bayerische Löwe brüllt - und es hallt bis Berlin.

Dienstag, 13.30 Uhr, Düsseldorf
Die CDU-Landtagsfraktion wählt Karl-Josef Laumann erneut zu ihrem Vorsitzenden. Röttgen ist vor Ort. Als sich Fotografen und Fernsehteams vor den Türen der Landtagsfraktion in Düsseldorf aufbauen, um Norbert Röttgen abzufangen, finden sie nur noch ein Loch in der Wand vor. Um bohrenden Nachfragen nach der Zukunft der NRW-CDU zu entgehen, hat sich der scheidende Landesparteichef durch einen im Mauerwerk verdeckten Notausgang davon gemacht.

Dienstag, 17 Uhr, Berlin
Merkel und Röttgen sitzen zusammen. Fast eineinhalb Stunden sollen sich beide nach Informationen unserer Redaktion im Büro der Kanzlerin verschanzt haben. Angeblich gibt es eine heftige Auseinandersetzung zwischen den beiden. Röttgen will demnach sein Amt nicht aufgeben. Er soll Merkel vorgeworfen haben, ihn nach der Attacke von CSU-Chef Horst Seehofer am Montag in einem TV-Interview nicht verteidigt zu haben. Merkel sieht indes die Autorität Röttgens beschädigt.

Mittwoch, 9 Uhr, Berlin
Am Mittwoch setzt sich das Kabinett zusammen. Ein Bundesminister beschreibt die Szenerie folgendermaßen: Röttgen sei schon in der Sitzung "völlig durch den Wind" gewesen. So mancher habe sich danach gefragt, ob der Umweltminister überhaupt sein Amt weiter ausüben könne. Die Kabinettssitzung sei im übrigen sehr entspannt verlaufen, hieß es aus Regierungskreisen weiter.

Die Kanzlerin habe sogar Scherze gemacht - etwa über die sonderbare Verfassungslage in Griechenland bezüglich Regierungsbildung und Parlamentswahl. Auch Vizekanzler, FDP-Chef Philipp Rösler, habe gewitzelt. Röttgen habe hingegen sehr abwesend gewirkt, sich nicht einmal zu Wort gemeldet, sondern meist betrübt zu Boden geschaut. Im Anschluss an die Sitzung, so übereinstimmende Quellen, habe die Kanzlerin Röttgen dann seine Entlassung mitgeteilt. Über diesen Schritt hatte sie zuvor kaum jemanden informiert.

Mittwoch, 15.19 Uhr, Berlin Der Terminhinweis an die Presse ist kurz und knapp : "Statement von Bundeskanzlerin Angela Merkel, 16.05.2012, 16:30 Uhr". Bis dahin ist der Tag vor Christi Himmelfahrt politisch betrachtet eher ruhig verlaufen in der Bundeshauptstadt - quasi ein erstes Durchatmen nach der Hektik um die beiden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.

Mittwoch, 16.30 Uhr, Berlin
Merkel tritt - allein, ohne Röttgen - vor die blaue Wand im Kanzleramt, die Nachrichtensender schalten live. "Guten Tag meine Damen und Herren, ich habe heute Vormittag mit dem Herrn Bundespräsident gesprochen und ich habe ihm gemäß Artikel 64 des Grundgesetzes vorgeschlagen, Norbert Röttgen von seinen Aufgaben als Bundesumweltminister zu entbinden und so in diesem Amt einen personellen Neuanfang möglich zu machen."

Mittwoch, 17 Uhr, Berlin
Kurz drauf lädt die Unions-Fraktion zum Statement von Peter Altmaier. Der twittert erst "Danke an Alle für die Glückwünsche zu meiner Berufung als Umweltminister. Ich brauche Ihre/Eure Unterstützung jetzt erst recht! Bis bald!" Dann stellt sich der bereits designierte Umweltminister in einer Pressekonferenz vor. Er freue sich auf "die Herausforderungen".

Er sei sich der großen Verantwortung bewusst. Die Energiewende sei eine "gesamtgesellschaftliche Herausforderung", von der viel abhänge. Er wolle sich "mit ganzer Kraft und vollem Engagement" darum kümmern, sagte der designierte Umweltminister. So geht die vierte Kabinettsumbildung der schwarz-gelben Bundesregierung über die Bühne. Altmaier war mal einer von Röttgens besten Freunden.

(RP/mit Agenturmaterial/nbe/sap)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort