Fleischindustrie im Fokus Razzien in sechs Sammelunterkünften in NRW

Geldern · NRW geht gegen niederländischen Leiharbeitsfirmen für die Fleischindustrie vor, die ihr Personal aus Osteuropa im deutschen Grenzgebiet unterbringen. Opposition und Gewerkschafter fordern weitergehende Maßnahmen.

 Polizisten während der Razzia in der Gemeinschaftsunterkunft in Geldern.

Polizisten während der Razzia in der Gemeinschaftsunterkunft in Geldern.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Kräfte von Polizei, Feuerwehr, Arbeits- und Gesundheitsschutz haben am Wochenende sechs Gemeinschaftsunterkünfte in Geldern und Emmerich kontrolliert. Untergebracht sind dort Arbeitskräfte aus Rumänien und Bulgarien, die in der niederländischen Fleischindustrie eingesetzt werden.

Dabei bestätigte sich nach Informationen der NRW-Landesregierung der Verdacht einer „organisierten Einschleusung von Arbeitnehmern, sowie Mieter- und Arbeitnehmerausbeutung“ durch Unternehmen der Leiharbeit. In den Unterkünften wurden unter anderem erhebliche Brandschutzmängel, Schimmel, Schädlingsbefall, fehlende Stromversorgung sowie weitere bau- und wohnungsrechtliche Mängel festgestellt. Einige der Unterkünfte sollen geschlossen werden.

Grundlage für das Geschäftsmodell der Firmen ist eine unterschiedliche Rechtslage in Deutschland und den Niederlanden: So sind im Nachbarland Lohnabzüge für die Unterkunft nur bis zu 25 Prozent zulässig und auch dann nur, wenn der Arbeitnehmer angemessene Wohnbedingungen bietet. Hierzulande gibt es solche Beschränkungen nicht.

NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) sagte unserer Redaktion am Rande der Razzia in Geldern, eine entsprechende Reform sei Sache des Bundes. Gleiches gelte für Änderungen des Melderechts. Auch dort gebe es Lücken, die von der alten Bundesregierung nicht geschlossen worden seien. So habe NRW beispielsweise vorgeschlagen, die Leiharbeitsfirmen analog zu Reedern zu behandeln. Die Inhaber von Schiffen müssten die Menschen an Bord ebenfalls anmelden. Der Vorschlag sei aber „nicht gangbar“ gewesen. „Das muss aber geändert werden. Denn diese Leute machen Geschäfte mit Menschen“, so Scharrenbach.

Der Opposition geht das nicht schnell genug. „Ich bin einigermaßen verwundert, dass das Land hier nicht mehr Druck macht und auf halber Strecke stehenbleibt“, sagte der arbeitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Josef Neumann, mit Blick auf eine mögliche Bundesratsinitiative. „Es darf nicht sein, dass niederländische Arbeitgeber die rigiden Vorgaben für die Wohnunterkünfte in ihrem Land mit Hilfe unserer laxen Regelungen umgehen. Das Land darf es nicht weiter den Städten überlassen, die sich mit baurechtlichen oder hygienischen Vorwänden behelfen müssen, um Missstände vor Ort abzustellen.“

Auch der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Nahrungsmittel-Genuss-Gaststätten (NGG), Mohamed Boudih, blickt sorgenvoll auf die Gemeinschaftsunterkünfte für die Arbeiter mit Einsatzort in den Niederlanden. „Da wünschen wir uns entschiedeneres Handeln.“ Ihm zufolge ist aber auch bei den Beschäftigten aus Osteuropa, die hierzulande eingesetzt werden, längst noch nicht alles in Ordnung. Dort hatte der Gesetzgeber nach den massiven Corona-Ausbrüchen bei Westfleisch und Tönnies den Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen grundsätzlich verboten: „Es ist natürlich eine immense Herausforderung, mehrere Tausend Menschen in einen Konzern zu integrieren, nicht zuletzt wegen der Sprachbarriere.“ Die Landesregierung solle deshalb etwa die Finanzierung flächendeckender Sprachkurse übernehmen, so Boudih.

Wie viele Werkvertragsnehmer aus Osteuropa in NRW arbeiten, dazu gibt es zwar keine Statistiken. Die Anzahl der Ausländer aus Staaten der EU-Erweiterung seit 2004, die in NRW sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, beträgt rund 244.000. Diese sind vor allem im verarbeitenden Gewerbe (18 Prozent), in der Logistik (13 Prozent), am Bau (zwölf Prozent) sowie in der Leiharbeit (zehn Prozent) zu finden. Das NRW-Arbeitsministerium von Karl-Josef Laumann (CDU) erklärte, seit Januar 2021 fördere das Land in jedem Kreis und jeder kreisfreien Stadt eine Beratungsstelle Arbeit (BSA). Diese berieten auch Menschen, die von Arbeitsausbeutung bedroht oder betroffen seien. Seit Dezember stehe für die BSA ein aus EU-Mitteln finanzierter Beratungspool mit Arbeitsrechtlern für konkrete Fallfragen zur Verfügung. Auch auf die Dienste eines Dolmetscher- und Sprachmittlerpools könnten sie bei Bedarf zugreifen. Zudem verwies das Ministerium auf ein NRW-weites Beratungsnetzwerk gegen Arbeitsausbeutung.

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