Neujahrsempfang der NRW-CDU „Erklär' uns mal Euren neuen Kanzler“

Düsseldorf · EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert Zuversicht in schwierigen Zeiten und trifft dabei genau die Tonlage ihres Gastgebers Hendrik Wüst. Der arbeitet sich in seiner Rede an Bundeskanzler Olaf Scholz und dessen Wahrnehmung im Ausland ab.

Ursula von der Leyen (l.) neben Hendrik Wüst und Mona Neubaur beim CDU Neujahrsempfang.

Ursula von der Leyen (l.) neben Hendrik Wüst und Mona Neubaur beim CDU Neujahrsempfang.

Foto: dpa/David Young

Der Kölner Jugendchor St. Stephan hat gerade auf der Bühne im Robert-Schumann-Saal des Düsseldorfer Kunstpalastes den Gospel-Hit „Oh Happy Day“ geschmettert. Und ein bisschen mehr Happiness können sie beim Neujahrsempfang der CDU NRW gerade wahrlich gebrauchen. Nicht nur wegen des Kriegs in der Ukraine, der Energie- und Wirtschaftskrise und drei langen Corona-Jahren. Nein, acht Monate nach dem deutlichen Sieg bei der Landtagswahl ist die CDU NRW in den Mühen der Ebene angekommen. Nach dem chaotischen Haushaltsverfahren zum Jahresende und der zuletzt massiven Kritik am Ministerpräsidenten wegen seiner möglichen Verantwortung beim Brückendesaster an der A45 waren die letzten Tage alles andere als fröhlich. Umso wichtiger für die Partei, sich hier in Düsseldorf ihrer selbst zu vergewissern.

Der Bundesvorsitzende ist dafür nicht angereist, der macht dem Vernehmen nach Wahlkampf in Berlin. Der Sauerländer Friedrich Merz, so sagt es ein führendes NRW-CDU-Mitglied, fehle ohnehin öfter bei Veranstaltungen seines Landesverbands. Auch bei der Landesgruppe im Bundestag sei das schon aufgefallen. „Nicht klug“, so der Kommentar. Merz wird von keinem der Redner mit nur einer Silbe erwähnt.

Doch an prominenter Unterstützung für den Landesvorsitzenden Hendrik Wüst mangelt es an diesem Vormittag auch so nicht. Als Gastrednerin hat Wüst EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) gewonnen. Die ist wohl auch hier, weil trotz des gefühlt noch fernen EU-Wahltermins 2024 schon die Diskussion um ihre Nachfolge losgetreten worden ist. Da kann ein bisschen Präsenz in einem Bundesland, das anhand seiner schieren Größe auf Platz sieben der bevölkerungsreichsten EU-Länder liegen würde, durchaus nicht schaden.

Und von der Leyen scheint wiederum als Publikumsmagnet zu funktionieren. 1000 Anmeldungen gab es dem neuen Generalsekretär der CDU-NRW, Paul Ziemiak, zufolge. Für den Neujahrsempfang der Partei sei das Rekord. Vitali Klitschko grüßt die Gäste zu Beginn per Videobotschaft. Besonders lobt er Wüsts Satz, dass jeder, der vor Putins Krieg fliehe, in NRW willkommen sei. „Diese Worte bedeuten uns sehr, sehr viel. Du bist ein wahrer Freund der Ukraine.“

Nachdem der Jugendchor noch Beethovens „Ode an die Freude“ geschmettert hat, betritt von der Leyen die Bühne und präsentiert sich als Optimismusbeauftragte in schweren Zeiten. Auf den ersten Blick gebe es nur wenig Grund für Zuversicht, sagt sie. Es sei Tag 339 dieses Krieges. Doch Putin habe den Mut und die Widerstandskraft der Menschen in der Ukraine unterschätzt, sagt sie. „Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen.“ Die Kommissionspräsidentin kündigt an, in der kommenden Woche mit allen EU Kommissaren nach Kiew zu reisen, um dort die Regierung zu treffen.

Den Bogen zurück nach NRW schlägt die CDU-Politikerin, indem sie sagt, schon mit der Montanunion für Kohle und Stahl habe Europa bei seiner Gründung ein Stück NRW im Herzen getragen. NRW nehme nun wieder eine herausragende Stellung ein. „Wir wollen in Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent sein. Ohne NRW und seine Industrie kann Europa seine Klimaziele nicht erreichen.“ Gleichzeitig habe das Land die Chance, mit der Wasserstoffindustrie bis zu 130.000 Arbeitsplätze zu schaffen. Ein Zurück zu fossilen Brennstoffen könne es nicht mehr geben. „Das ist jetzt unsere Generationenaufgaben, die wir meistern müssen.“ Ihr sei nicht bange um die Zukunft, sagt von der Leyen zum Abschluss. Der Applaus fällt lang und herzlich aus.

Dann startet die Wüst-Show. Ein Video wird eingespielt, dass noch einmal den Weg zum Wahlerfolg und zur Vereidigung des ersten schwarz-grünen Kabinetts in NRW zeigt. Überwiegend ist dabei der Ministerpräsident selbst zu sehen. „Weiter machen, worauf es ankommt“, heißt es zum Schluss in Abwandlung von Wüsts Wahlkampf-Mantra. „Ist ja immer wieder schön zu sehen, oder?“, witzelt er, als er ans Pult tritt und seiner Vorrednerin für ihre „starke und kraftvolle Rede“ dankt. Der erste Corona-Fall liege nun drei Jahre zurück. Trotz vieler anderslautender Rufe habe sich die Gesellschaft aber nicht spalten lassen. „In Summe sind wir gut durch diese schwierige Zeit gekommen“, sagt Wüst und versucht wie schon von der Leyen positiv in die Zukunft zu blicken. „Zu Beginn des Jahres gibt es gute Gründe, optimistisch zu sein.“ Man habe die Chance, die Pandemie weitgehend hinter sich zu lassen. Und auch die Chance, nach dem Schock durch den Krieg nun klarer zu sehen und ein Stück weit ökonomisch durchzustarten. Der Staat könne die Energiepreise zwar nicht wieder auf das Vorkriegsniveau drücken. Aber die Unternehmen hätten jetzt wieder mehr Planungssicherheit. Wenn die Preisbremsen erst einmal da seien, dann gebe es Verlässlichkeit und dann gebe es auch wieder einen Schub für die Wirtschaft, verspricht der Ministerpräsident. „Inflation runter, Wachstum hoch.“

Wüst lobt die überzeugte Europäerin an der Spitze der Kommission. „Wenn richtig ist, was die Biografen schreiben, warst Du in Brüssel auf der gleichen Schule wie Boris Johnson“, sagt Wüst und fügt nach einer Kunstpause hinzu: „Naja, aber aus Dir ist was geworden.“ Im Februar des vergangenen Jahres hätten sie gemeinsam bei von der Leyen im Büro gesessen, quasi am Vorabend des Krieges. Da habe sich von der Leyen schon um die Energiesicherheit gesorgt und für die ersten Kontrakte mit LNG-Schiffen gesorgt, erinnert sich Wüst. „Es tut gut, zu sehen, dass mit Dir eine deutsche Politikerin mit Weitsicht an den Problemen Europas arbeitet.“

Der Blick der Nachbarn auf Deutschland falle hingegen oft kritischer aus, sagt Wüst und startet zum Generalangriff auf die Ampel. Er sei bei einem Benelux-Gipfeltreffen von Kollegen beiseite genommen und aufgefordert worden: „Erklär‘ uns mal Euren neuen Kanzler. Der Olaf ist uns ein Rätsel“. Das klinge witzig, sei es aber nicht, sagt Wüst, als das Publikum lacht.

Das deutsch-französische Verhältnis sei schon mal deutlich besser gewesen. „Auf meinem Zettel steht ramponiert, aber hier sind zu viele feine Leute anwesend.“ Es sei Krieg in Europa, deswegen sei es so schwierig, wenn zwischen Deutschland und Frankreich Sprachlosigkeit und teils Dissens herrsche. „In Fragen des Krieges nachdenklich zu sein, ist richtig“, sagt Wüst mit Blick auf Scholz abwartende Haltung bei Leopard-Lieferungen an die Ukraine. „Aber auch bei der letzten Entscheidung sah es nicht nach partnerschaftlicher Abstimmung aus. Da ist viel Vertrauen auf der Strecke geblieben.“ Große Fragen wie Klimaschutz, verlässliche Versorgung mit bezahlbarere Energie, Migration, Freiheit und Verteidigung der Demokratie könnten aber nur gemeinsam angegangen werden. „Deutschland darf nicht bremsen, sondern muss Motor bei all diesen Themen sein“, verlangt Wüst.

Dann wiederholt er noch einmal seine Forderungen, die er in der vergangenen Woche bereits vor der Landeshauptstadt-Presse kundgetan hatte: Das Land brauche eine echte Unternehmenssteuerreform mit hohen Abschreibungsmöglichkeiten kurz nach Beginn der Investition. So werde der Standort attraktiver für private Investitionen. Das stehe so auch im Koalitionsvertrag der Ampel, sei also längst geeint. „Es muss nur gemacht werden und zwar am besten schnell.“ Zudem verlangt Wüst, müsse Berlin den Fuß von der Bremse bei Planungsbeschleunigungen nehmen. Und er versprach, das Land werde alles tun, um beim Ausbau der Erneuerbaren voranzukommen.

Großes Lob hatte er auch für den Koalitionspartner im Gepäck. Im Publikum saßen unter anderem seine Stellvertreterin, NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, sowie die Landesvorsitzenden Yazgülü Zeybek und Tim Achtermeyer. „Es ist der erste Neujahrsempfang, wo wir die Gäste der Grünen nicht nur als Gäste, sondern als Partner begrüßen“, sagt Wüst. „Wer hätte das vor einem Jahr gedacht. ,Schwarz und Grün an Rhein und Ruhr – uiuiui.‘ Aber es geht.“

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